«Eine Schweizer Tradition, die man aufrechterhalten muss»
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Immer weniger am Waffenlauf:«Eine Schweizer Tradition, die man aufrechterhalten muss»

Waffenlauf, wie weiter?
Bühne frei für das Waffentheater

Früher war der Waffenlauf Kult. Und heute? Da kämpft er gegen die Bedeutungslosigkeit. Wie konnte es so weit kommen?
Publiziert: 16.11.2021 um 18:55 Uhr
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Mit dem Gewehr auf dem Rücken rennen – ist das noch zeitgemäss?
Foto: PHILIPP SCHMIDLI | Fotografie
Daniel Leu (Text) und Philipp Schmidli (Fotos)

Wer wissen möchte, welche Höhen und Tiefen der Waffenlauf im letzten halben Jahrhundert erlebt hat, der sollte mit Toni Fluri reden. Jahrgang 1951, Wohnort Oensingen SO, Mitglied der Läufergruppe Matzendorf. Er hat am vergangenen Sonntag seinen 450. Waffenlauf bestritten, den ersten lief er vor 50 Jahren kurz nach der RS. Nun fehlen ihm nur noch acht, um den bisherigen Rekordhalter einzuholen.

Nach dem Lauf steht Fluri frisch geduscht und in Zivil vor der Sporthalle Lehnfluh in Niederbipp BE und lacht. «Jaja, der Waffenlauf wurde in den letzten Jahrzehnten immer wieder für tot erklärt. Doch er bleibt am Leben. Seit einigen Jahren gibt es sogar einen leichten Aufwärtstrend. So schnell geben wir Waffenläufer nicht auf!»

Rückblende. Drei Stunden zuvor. Nach und nach trudeln die Sportler in Niederbipp ein. Was sofort auffällt: Man kennt und grüsst sich höflich. Die äusseren Bedingungen aber sind garstig. Die Temperatur liegt nur knapp über dem Gefrierpunkt, der Nebel hält sich hartnäckig, und zusätzlich zieht noch die Bise übers flache Land. Nur gerade knapp 120 Athleten wollen am 9. Niederbipper Waffenlauf starten.

Die Szenerie ähnelt einem Freilichtmuseum, einer Theateraufführung über die guten, alten Zeiten, einem Ballenberg des Sports.

In den 70ern und 80ern war das noch anders. Damals nahmen über 1000 vorwiegend Männer an den Wettkämpfen teil, und der Waffenlauf war ein Dauergast im «Sport am Wochenende». Ein wichtiger Teil des Erfolgsrezepts war die frühe Startzeit am Sonntagmorgen, wie einst Beni Thurnheer (72) verriet. «So konnten die Filme rechtzeitig nach Zürich gebracht und dort entwickelt werden. Dadurch schafften sie es abends in die Sendung. Das war das Geheimnis dieses Sports.»

Waffenlauf-Legende Albrecht Moser: «Die Sportart ist nicht mehr zeitgemäss.»

Herr Moser, zuerst gleich die wichtigste Frage: Tragen Sie noch Bart?
Albrecht Moser: Ja, den gibts noch, er ist mittlerweile einfach schneeweiss. Ich könnte problemlos als Samichlaus auftreten.

Wann waren Sie das letzte Mal an einem Waffenlauf?
Das war vor ein paar Jahren in Niederbipp. Ich bin da bloss zügig mitmarschiert. Ich hätte nie gedacht, dass es mal so weit kommen könnte, aber ich habe irgendwann einfach die Lust verloren, schnell zu laufen. Vielleicht bin ich übersättigt.

Wie sehen Sie den Zustand des Waffenlaufs?
Ich möchte niemanden beleidigen, aber der Waffenlauf ist bedeutungsarm geworden, aber zum Glück noch nicht bedeutungslos. Die Sportart ist leider nicht mehr zeitgemäss. Auch weil sich die Gesellschaft verändert hat. Heute tragen Pöstler kurze Hose, und in vielen Berufen wird keine Krawatte mehr getragen, im Waffenlauf aber haben sich die Kleidervorschriften kaum geändert, es gibt noch immer den Zwang zur Uniform. Auch deshalb gibt es wohl kaum Nachwuchs.

Sie sind mittlerweile 76 Jahre alt. Wie sieht Ihr Alltag aus?
Ich war ja 20 Jahre lang Gemeindeverschönerungsangestellter. Heute habe ich privat noch etwa 30 Kunden, denen ich im Garten helfe. Rasen mähen, Hecken schneiden. Da komme ich schon so auf bis zu 30 Stunden wöchentlich. Dazu treibe ich immer noch ein bisschen Sport, Walken und Velofahren.

Letzte Frage: Gibt es in zehn Jahren den Waffenlauf noch?
Ein leiser Zweifel ist da. Doch ich bin ein positiver Mensch. Deshalb hoffe ich, dass es ihn noch geben wird. Auch für die Menschen, die immer noch gerne Waffenläufer sind.


FOTO: BLICK SPORT / STEFAN BOHRER ORT: PIETERLEN - 20.1.2017: ALBRECHT MOSER, EX WAFFENLAUEFER.
FOTO: BLICK SPORT / STEFAN BOHRER ORT: PIETERLEN - 20.1.2017: ALBRECHT MOSER, EX WAFFENLAUEFER.
STEFAN BOHRER

Herr Moser, zuerst gleich die wichtigste Frage: Tragen Sie noch Bart?
Albrecht Moser: Ja, den gibts noch, er ist mittlerweile einfach schneeweiss. Ich könnte problemlos als Samichlaus auftreten.

Wann waren Sie das letzte Mal an einem Waffenlauf?
Das war vor ein paar Jahren in Niederbipp. Ich bin da bloss zügig mitmarschiert. Ich hätte nie gedacht, dass es mal so weit kommen könnte, aber ich habe irgendwann einfach die Lust verloren, schnell zu laufen. Vielleicht bin ich übersättigt.

Wie sehen Sie den Zustand des Waffenlaufs?
Ich möchte niemanden beleidigen, aber der Waffenlauf ist bedeutungsarm geworden, aber zum Glück noch nicht bedeutungslos. Die Sportart ist leider nicht mehr zeitgemäss. Auch weil sich die Gesellschaft verändert hat. Heute tragen Pöstler kurze Hose, und in vielen Berufen wird keine Krawatte mehr getragen, im Waffenlauf aber haben sich die Kleidervorschriften kaum geändert, es gibt noch immer den Zwang zur Uniform. Auch deshalb gibt es wohl kaum Nachwuchs.

Sie sind mittlerweile 76 Jahre alt. Wie sieht Ihr Alltag aus?
Ich war ja 20 Jahre lang Gemeindeverschönerungsangestellter. Heute habe ich privat noch etwa 30 Kunden, denen ich im Garten helfe. Rasen mähen, Hecken schneiden. Da komme ich schon so auf bis zu 30 Stunden wöchentlich. Dazu treibe ich immer noch ein bisschen Sport, Walken und Velofahren.

Letzte Frage: Gibt es in zehn Jahren den Waffenlauf noch?
Ein leiser Zweifel ist da. Doch ich bin ein positiver Mensch. Deshalb hoffe ich, dass es ihn noch geben wird. Auch für die Menschen, die immer noch gerne Waffenläufer sind.


Die Tradition soll aufrechterhalten werden

Früh gestartet wurde am vergangenen Sonntagmorgen auch in Niederbipp. Die Augen der wenigen Zuschauer sind auf die Nummer 305 gerichtet, auf Marc Rodel. Er kann sich zum Schweizer Meister küren. Der Thurgauer steht bereit. Er trägt den Tarnanzug 90. In seiner Packung ein alter Karabiner und Steine, um auf das Mindestgewicht von 6,2 Kilogramm zu kommen.

Am Sonntag wurde ein Halbmarathon ausgetragen. Nach dem Start verschwinden Rodel und seine Kollegen gleich im Nebel. Nach knapp eineinhalb Stunden kehren sie bei strahlendem Sonnenschein zurück. Der 39-Jährige verliert zwar den Sprint um den Tagessieg, der Meistertitel aber ist ihm sicher.

Doch warum hat sich Rodel ausgerechnet für den Waffenlauf entschieden und nicht für eine andere Laufdisziplin? «Das ist eine alte Schweizer Tradition, vergleichbar mit dem Schwingsport», erklärt der Bankangestellte, «ich möchte, dass diese Tradition aufrechterhalten wird. Deshalb laufe ich auch mit einem alten Karabiner und nicht mit dem Sturmgewehr 90.»

Rodels grosses Ziel: Er möchte einmal den Frauenfelder gewinnen, quasi das Wimbledon des Waffenlaufs. 1934 wurde dieser zum ersten Mal ausgetragen. Dieses Jahr hätte er bereits zum 86. Mal stattfinden sollen, doch wegen Corona wurde er abgesagt. Übrigens: Wer glaubt, dass nur eingefleischte Militaristen Waffenlauf betreiben, der täuscht sich. Rodel zum Beispiel ist dienstuntauglich.

Wo ist der Nachwuchs?

Auch Rahel Held war nie im Militär. Sie fällt in Niederbipp sofort auf, weil sie jung und eine Frau ist. Wie kommt eine 23-Jährige ausgerechnet zum Waffenlauf? «Durch meinen Mann», antwortet die Emmentalerin und erzählt, was sie an dieser Sportart fasziniert: «Es ist schön, dass hier Jung und Alt gemeinsam starten und alle friedlich miteinander umgehen. Und wer im Waffenlauf erfolgreich sein will, der muss sich durchbeissen und zäh sein. Das gefällt mir.»

An diesem Tag bestreitet Held ihren vierten Waffenlauf. Bei der improvisierten Siegerehrung auf dem Parkplatz zeigt sich, was momentan das Hauptproblem ihres Sports ist: Es fehlt der Nachwuchs. Die ersten drei Frauen auf dem Holz-Podest? Alle weit über 50!

Auch Emil Berger ist sich dessen bewusst. Der 54-Jährige ist an diesem Tag alles: Organisator, Läufer, Speaker, Aufräumer. In seiner Karriere hat er schon 1347 Läufe bestritten, darunter 295 Waffenläufe. Ist der Waffenlauf noch zeitgemäss? «Zeitgemäss? Was heisst das schon?», entgegnet er, «schon vor 30 Jahren hiess es, dass der Waffenlauf keine Zukunft mehr habe. Aber wir sind noch immer da. Mittlerweile gibt es auch wieder ein paar Junge. Es wird uns deshalb auch in zehn Jahren noch geben.»

Zurück zu Toni Fluri, dem Jubilar. Während sich die Mehrzahl seiner Kollegen auf den Heimweg macht und man sich mit «überwintert gut» verabschiedet, weibelt er noch einmal für seine Sportart. «Jeder Läufer sollte in seinem Leben mal einen Waffenlauf bestreiten, damit er weiss, wovon wir reden.»

Eine letzte Frage noch: Kann man als Waffenläufer auch ein bisschen Geld verdienen? Fluri lacht. «Einmal habe ich beim Frauenfelder die Ü60-Kategorie gewonnen. Dafür erhielt ich 160 Franken, das macht bei vier Stunden Laufzeit umgerechnet einen Stundenlohn von 40 Franken. So viel habe ich zuvor und danach beim Waffenlauf noch nie verdient.»

Sagt es, lacht erneut und verabschiedet sich Richtung Klubheim des FC Niederbipp. Bereit für den geselligen Teil des Tages.

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