Als Al Joyner am Morgen des 21. September 1998 im kalifornischen Mission Viejo seine Frau wecken wollte, war es halb sieben, also eigentlich früh genug, und doch zu spät. Leblos lag sie im Bett.
Plötzlicher Herztod, hiess es. Andere sprachen von einem Schlaganfall, ausserdem kam eine seltene Hirnerkrankung ins Gespräch, und auch vom Ersticken nach einem epileptischen Anfall war die Rede.
Über Nacht war da ein vermeintlich blühendes Leben erloschen, die berühmte Tote war gerade erst 38 und ihr Körper auf Höchstleistung getrimmt. Die märchenhaftesten Zeiten war sie gelaufen, und weil das Ende so rätselhaft war, fragen sich viele noch heute, am zwanzigsten Todestag: Ist die schnellste Frau der Welt an den Nebenwirkungen ihrer unfassbaren Rekorde gestorben – an anabolen Steroiden, am Wachstumshormon Testosteron?
«Vorbild für alle Mädchen und Frauen»
Wer das laut sagt, hat gute Chancen, von ihren alten Anhängern wegen Störung der Totenruhe belangt zu werden. Doping? FloJo? Diese vom US-Olympiakomitee zum «Vorbild für alle Mädchen und Frauen» gekürte Göttin? Okay, andere vielleicht, aber nicht FloJo.
Florence Griffith-Joyner, kurz: «FloJo», war als schillernder Superstar einfach zu schön, um nicht wahr zu sein. Sie war die erste Diva der Laufbahn, verknüpfte ihre Extraklasse mit der Extravaganz.
Und mit ihrem Hauch von Hollywood «brachte sie uns ein ganzes neues Flair», schwärmte fasziniert Evelyn Ashford, die alte Lady des Sprints – dass deren 100-Meter-Weltrekord von FloJo anno `88 bei der US-Olympiaqualifikation pulverisiert wurde, nahm Ashford als gottgegeben in Kauf, so war das halt in jenem 88er-Sommer des Rekordwahns.
Die Laufbahn war Flojos Laufsteg
Es war FloJos Sommer. Sie war das charismatische Covergirl der Leichtathletik. Wie eine Fahne im Wind flogen ihre schwarzen Haare hinter ihr her, wenn sie in ihren selbstgenähten, schrillen, grellbunten, hautengen Rennanzügen die Konkurrenz in Grund und Boden lief. Die Laufbahn war FloJos Laufsteg, ihre Rennen waren Modeschauen.
Als Krönung trug die Königin farbige Fingernägel, länger als Raubtierkrallen – bei Olympia in Seoul 1988 hat sie sich die Nägel sogar in den US-Nationalfarben lackiert, und Amerika weinte gerührt.
Zehn Jahre später waren es andere Tränen, aber unsterblich blieben ihre Rekorde. Ihre 10,49 Sekunden über 100 Meter könnten für die Ewigkeit sein wie ihre Fabelzeit im olympischen 200 Meter-Finale - 21,34 Sekunden.
«Ich trainiere wie ein Mann»
Menschlich war das nicht mehr, sie war von einem anderen Stern, und alle Welt kannte ihre Geschichte. Mit zehn Geschwistern war sie in heiklen Verhältnissen in Los Angeles aufgewachsen, der Vater war irgendwann abhanden gekommen, aber die strenge Mutter sorgte dafür, dass «keiner von uns Drogen nahm», hat FloJo erzählt, «und keiner ist erschossen worden.»
Bei diesem wohlerzogenen Mädchen hätte sich Amerika die Hand dafür abhacken lassen, dass alles mit Müsli und rechten Dingen zuging, und wenn jemand auf ihre imposanten Muskeln deutete, sagte FloJo: «Ich trainiere wie ein Mann.»
Ihre Trainingsgruppe war der mit gemischten Gefühlen beäugte «Joyner-Kersee-Clan». Ausser ihr und ihrem Mann, dem Dreisprung-Olympiasieger Al Joyner, gehörten zur Familienbande dessen Schwester Jackie und deren Ehemann, der Trainer Bob Kersee – und während Jackie Joyner-Kersee zur besten Fünfkämpferin der Welt aufstieg, sorgte FloJo für eine der unbegreiflichsten Leistungssteigerungen der Sportgeschichte.
Ihre Muskeln wuchsen, die Rekorde purzelten, und bei dem über 100 Meter staunte der Laufgott Carl Lewis als Augenzeuge fassungslos: «Die Götter waren mit ihr.» Nur die Götter?
Rücktritt fünf Monate nach Seoul 1988
Gerüchte gab es genug, vor allem nach ihrem jähen Rücktritt: Fünf Monate nach Seoul gab sie ihn bekannt, im besten Alter und zu einem Zeitpunkt, als die Dopingjäger mit strengeren Kontrollen drohten. Wie auch immer, ihr Denkmal blieb stehen wie eine Eins, sie wurde Weltsportlerin und hielt Einzug in der Halle des Ruhms.
Das Glamourgirl wurde Model, spielte in einer TV-Serie mit, schrieb Kinderbücher, gründete eine Sportmodefirma und wurde Fitnesstrainerin von US-Präsident Bill Clinton, mit dem sie auf Reisen morgens durch die Parks joggte.
Im April 1996 erlitt sie dann während eines Flugs von Los Angeles nach St. Louis einen kleinen Schlaganfall, den sich niemand so richtig erklären konnte, so wenig wie zwei Jahre später ihren Tod.
Florence Griffith-Joyner hat ihre Geheimnisse, falls sie welche hatte, mit ins Grab genommen, und Clinton fand die passenden Worte: «Wir wurden geblendet von ihrer Geschwindigkeit, überwältigt von ihrem Talent und im Bann gehalten von ihrer Ausstrahlung», verabschiedete sich der US-Präsident vor zwanzig Jahren im Namen aller von der schnellsten Frau der Welt, die das womöglich bis zum Ende der Welt vollends bleiben wird.