Unter zwei Stunden
Irrer Weltrekord-Versuch im Marathon

Kenias Marathon-König Eliud Kipchoge (34) kann in Wien die 2-Stunden-Marke durchbrechen. Sportlich ist das Labor-Rennen ohne Wert – im Kopf jedoch sprengt es Grenzen. Auch beim 23-jährigen Genfer Julien Wanders?
Publiziert: 11.10.2019 um 16:02 Uhr
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Aktualisiert: 11.10.2019 um 19:06 Uhr
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Eliud Kipchoge aus Kenia ist bereit für den Wien-Marathon.
Foto: keystone-sda.ch
Carl Schönenberger

So viel vorweg: Eliud Kipchoge, der dreifache Vater aus Kapsabet (Kenia), kann die 42,195 Marathon-Kilometer unter zwei Stunden – in 1:59 oder 1:58 – laufen. Aber es ist nicht die sportlich grösste Leistung, die man von einem Marathonläufer jemals gesehen hat.

Weltrekordhalter will mehr

Viel eindrücklicher nämlich, wie Kipchoge sich 2018 beim Berlin-Marathon nach 26 Kilometern vom letzten seiner drei Tempomachern verabschiedete, die verbleibenden 16 Kilometer mausbein allein bis zum Brandenburger Tor durchzog und mit 2:01:39 Stunden den aktuellen Weltrekord realisierte. Oder der 37-jährige Kenenisa Bekele (Äthiopien), der am vergangenen Sonntag ebenfalls in Berlin und auch lange alleine bis auf zwei Sekunden an Kipchoges Zeit herankam.

Das Spektakel von Wien vom Samstagmorgen, hat mit einem echten Marathon ausser der Distanz nichts gemeinsam. Es ist ein Labor-Rennen. Auf einer viermal zu laufenden topfebenen und bolzengeraden 9,6 km langen Umkehrstrecke im Wiener Prater. Die Startzeit wird erst kurzfristig – zwischen 5 und 9 Uhr morgens – bestimmt, wenn laut Wissenschaftlern Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Wind am idealsten sind.

Damit das Unterfangen für Kipchoge beim zweiten Anlauf gelingt – am 6. Mai 2017 auf der Formel-1-Piste von Monza ist er bei 2:00:25 Stunden geblieben – wurde der Prater-Kurs extra neu asphaltiert und beim Wendepunkt «Lusthaus» eine Art Steilwandkurve gebaut. Kipchoge soll bei seinem Tempo von 21,09 km/h, die er für den Zwei-Stunden-Traum im Durchschnitt braucht ja nicht unnötig Sekunden verlieren.

Wunder-Schuhe sollen helfen

Nach dem Motto «No Human is limited» – kein Mensch hat Grenzen – wird Erlaubtes und Unerlaubtes ausgereizt. So trägt Kipchoge Hightech-Schuhe, die man an den Füssen anbinden muss, damit sie nicht selbst davon rennen. Eine in der Schaumstoff-Sohle verbaute Karbonplatte ermöglicht die effizientere Kraftübertragung auf den Boden, verlängert den Schritt und bewirkt, dass die Beinmuskulatur weniger stark ermüdet.

Der grösste Bruch mit den Leichtathletik-Regeln sind die Tempomacher. Während sie im Normalfall vom Start weg mitlaufen müssen, unterwegs nicht aus- und wieder einsteigen dürfen, gibts im Prater eine richtige Hasen-Jagd. 41 Weltklasse-Läufer, die bei internationalen Titelkämpfen – WM oder Olympia – zusammen 55 Medaillen gewannen, unterstützen Kipchoge beim Sturm der Zwei-Stunden-Mauer. Darunter alle drei norwegischen Ingebrigtsen-Brüder. In Fünfer- oder Sechser-Gruppen werden sie Kipchoge während 5-km-Abschnitten lotsen und ihm Windschatten geben. Dann steigen sie aus, werden durch frische Tempomacher ersetzt und kommen später erholt zurück.

Wanders mischt auch mit

Dass auch der 23-jährige Genfer Julien Wanders zu den Hasen gehört, ist erstaunlich. Der gleiche Wanders, der am letzten Sonntag beim WM-10000er auf der Bahn von Doha noch kommentarlos aufgegeben hat, spürt offensichtlich wieder schnelle Beine. Hat sich Wanders in Doha für Wien geschont, weil eine stattliche Hasen-Prämie lockt? Sein Trainer Marco Jäger will davon nichts wissen: «Julien ist Geld nämlich scheissegal», sagt Jäger zu BLICK. «Er weiss nicht einmal, wie viel er bei seinen Rennen kassiert.» In Doha sei es der Kopf gewesen, der dem ehrgeizigen Wanders im Weg stand. «Nach dem 5000er ist er komplett am Boden gewesen – enttäuscht von sich selbst», sagt Jäger. Und im Zehner habe er dann nicht mehr an sich geglaubt.

Alles Kopfsache also? Richtig! Und genau deshalb startet Eliud Kipchoge mit all seinen Helfern das Projekt im Wiener Prater. Wenn ein Rekord offiziell auch nicht zählt – mental wissen die Cracks, dass unter zwei Stunden bei einem Marathon körperlich möglich sind. Drum sagt Marco Jäger zu Wanders’ Wien-Auftritt: «Julien kann bezüglich mentaler Stärke während der paar Tage mit Kipchoge für den weiteren Verlauf seiner Karriere sehr viel lernen.»

Chemie-Konzern finanziert Weltrekordversuch

Wenn am Wochenende in Wien der kenianische Olympiasieger Eliud Kipchoge als erster Mensch die Zwei-Stunden-Marke im Marathon unterbieten will, dann rennt Ineos auch dort an vorderster Front mit. Der Chemiegigant bezahlt 40 Tempomacher, hat Teile der Stecke neu asphaltieren und beim Wendepunkt eine Art Steilwandkurve einbauen lassen, mit der man wertvolle Sekunden gewinnen will.

Es sind Zahlen, bei denen einem schwindlig wird: 60 Mrd. Dollar betrug der Umsatz des Petrochemie-Giganten Ineos im vergangenen Jahr. Daneben ist FCB-Präsident Bernhard Burgener, dessen Vermögen von der Basler Zeitung auf 400 Mio. Franken geschätzt wird, fast schon ein armer Schlucker.

Ineos Merheitsaktionär Jim Ratcliffe war 2018 mit einem Vermögen von umgerechnet 29 Mrd. Franken der reichste Brite.

Doch womit verdient Ineos eigentlich sein Geld? Der Konzern hat sich auf chemische Produkte aus Erdgas und Erdöl spezialisiert: Vereinfacht gesagt bohrt Ineos nach Schiefergas und Öl und stellt Kunststoffe her. Für Klimaaktivisten und Umweltpolitiker verkörpert Ineos das Böse schlechthin.

Durch den Umzug des Hauptsitzes von London nach Rolle VD im Jahr 2010 sparte der Konzern laut Fachleuten rund 100 Mio. Franken Steuern  – im Jahr, wohlgemerkt! Inzwischen ist der Hauptsitz wieder in London.

Weil Merheitseigner Jim Ratcliffe ein Sportfan ist, und um das Image des Konzerns in der Öffentlichkeit aufzupolieren, engagiert sich Ineos seit Jahren im Sport: Neben dem Fussballklub Lausanne Sport und dem Hockey Club Lausanne investieren die Briten auch in verschiedene kleinere Waadtländer Sportvereine und in Nachwuchsprojekte. Im vergangenen August kaufte Ineos den französischen Fussballklub OGC Nizza für 100 Millionen Euro.

Das Ineos Team UK segelt beim America’s Cup 2021 mit. Im letzten Mai übernahm Ineos das britische Radteam Sky und holte bei der diesjährigen Tour de France gleich den Doppelsieg mit den Ineos-Fahrern Egan Bernal und Geraint Thomas.

Wenn am Wochenende in Wien der kenianische Olympiasieger Eliud Kipchoge als erster Mensch die Zwei-Stunden-Marke im Marathon unterbieten will, dann rennt Ineos auch dort an vorderster Front mit. Der Chemiegigant bezahlt 40 Tempomacher, hat Teile der Stecke neu asphaltieren und beim Wendepunkt eine Art Steilwandkurve einbauen lassen, mit der man wertvolle Sekunden gewinnen will.

Es sind Zahlen, bei denen einem schwindlig wird: 60 Mrd. Dollar betrug der Umsatz des Petrochemie-Giganten Ineos im vergangenen Jahr. Daneben ist FCB-Präsident Bernhard Burgener, dessen Vermögen von der Basler Zeitung auf 400 Mio. Franken geschätzt wird, fast schon ein armer Schlucker.

Ineos Merheitsaktionär Jim Ratcliffe war 2018 mit einem Vermögen von umgerechnet 29 Mrd. Franken der reichste Brite.

Doch womit verdient Ineos eigentlich sein Geld? Der Konzern hat sich auf chemische Produkte aus Erdgas und Erdöl spezialisiert: Vereinfacht gesagt bohrt Ineos nach Schiefergas und Öl und stellt Kunststoffe her. Für Klimaaktivisten und Umweltpolitiker verkörpert Ineos das Böse schlechthin.

Durch den Umzug des Hauptsitzes von London nach Rolle VD im Jahr 2010 sparte der Konzern laut Fachleuten rund 100 Mio. Franken Steuern  – im Jahr, wohlgemerkt! Inzwischen ist der Hauptsitz wieder in London.

Weil Merheitseigner Jim Ratcliffe ein Sportfan ist, und um das Image des Konzerns in der Öffentlichkeit aufzupolieren, engagiert sich Ineos seit Jahren im Sport: Neben dem Fussballklub Lausanne Sport und dem Hockey Club Lausanne investieren die Briten auch in verschiedene kleinere Waadtländer Sportvereine und in Nachwuchsprojekte. Im vergangenen August kaufte Ineos den französischen Fussballklub OGC Nizza für 100 Millionen Euro.

Das Ineos Team UK segelt beim America’s Cup 2021 mit. Im letzten Mai übernahm Ineos das britische Radteam Sky und holte bei der diesjährigen Tour de France gleich den Doppelsieg mit den Ineos-Fahrern Egan Bernal und Geraint Thomas.

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