Justin Gatlin (35) hat es immer wieder versucht, bei Titelkämpfen am Lack des besten 100-m-Sprinters aller Zeiten zu kratzen. 2014 in Peking hat es der Ami bis auf einen Hundertstel gepackt. Am Samstag fliegt er drei Hundertstel vor dem Jamaika-Blitz ins Ziel. Endlich hat Gatlin den Titel.
Warum das besser sein soll, als wenn Christian Coleman – ebenfalls ein Ami – direkt in London in Usains grosse Fussstapfen getreten wäre? Für Coleman wäre WM-Gold und die Tatsache, als Einziger den Übersprinter geschlagen zu haben, eine Hypothek für die ganze Karriere. Der Mann ist erst 21, kommt fast aus dem Nichts, hat erst kürzlich vom College-Sportler zum Profi gewechselt. Der Druck, den ihm ein Erfolg über Bolt für die nächsten Jahre gebracht hätte, wäre gigantisch.
De Grasse nahe an Fabelzeiten
Gatlin kann damit leben. Es ist ohnehin absehbar, dass seine Karriere bald zu Ende geht. Und dann kann Coleman unbelastet erben, und ohne den ständigen Bolt-Schatten seinerseits zu einer grossen Karriere ansetzen.
Coleman wird nicht der Einzige sein. Wahrscheinlich kommt Andre de Grasse dereinst Bolts Fabelzeiten am nächsten. Der 22-jährige Kanadier ist im Juni in Stockholm schon 9,69 Sekunden gelaufen, mit zu viel Rückenwind allerdings. In London fehlt er, weil er sich kurz vor der WM am Oberschenkel verletzte. Sein Körper ist für einen Sprinter optimal – mental ist er sackstark. Und dann haben 2017 auch schnelle Südafrikaner im Sog ihres Stars Wayde van Niekerk 100-m-Ambitionen angemeldet, darunter der 23-jährige Akani Simbine, feingliedrig, schnell – am Samstag in London Fünfter.
Doch vorerst hält Sprint-König Bolt noch einmal die Stellung. Gestern bei der 100er-Siegerehrung gehört das Olympia-Stadion noch einmal vollständig ihm und nicht seinen Bezwingern.