So tickt der aktuell schnellste Mann Europas
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Basler Sprinter Wicki:So tickt der aktuell schnellste Mann Europas

Psychologiestudent und Muskelpaket aus Basel
So tickt der aktuell schnellste Mann Europas

Nach Jahren voller Verletzungen und Krankheiten ist der Basler Silvan Wicki endlich gesund – und läuft allen davon. Die aktuelle Nr. 1 Europas sagt: «Ich setze mir keine Limiten.»
Publiziert: 24.07.2020 um 14:29 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2020 um 11:07 Uhr
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Er ist der aktuell schnellste Mann Europas!
Foto: STEFAN BOHRER
Emanuel Gisi (Text) und Stefan Bohrer (Fotos)

Behutsam tastet sich der Fuss von Silvan Wicki (25) vor. Der Sprinter misst von der Startlinie her anderthalb Fusslängen ab, bis der rechte Fussballen auf dem linken Startblock zu liegen kommt. Die Position stimmt. Wicki dreht sich um, geht hinunter in die Startposition, katapultiert sich ein letztes Mal an diesem Abend nach vorne, hinaus auf die 100-m-Bahn.

Dann ist der Trainingstag des schnellsten Mannes von Europa im Basler Schützenmatte-Stadion vorbei. Richtig gelesen: Der Basler Silvan Wicki (25) führt die kontinentalen Saisonbestenlisten über 100 m und 200 m an. Klar, noch standen nicht alle Konkurrenten in dieser verrückten Corona-Saison im Einsatz. Aber Wicki ist schnell: Mit den 10,11 Sekunden, die er vor zwei Wochen über 100m lief, fehlen ihm noch drei Hundertstel auf den Schweizer Rekord von Alex Wilson (29).

Dabei deutete vor einem Jahr wenig darauf hin, dass sich Wicki nach und nach den absoluten Topzeiten nähern würde. «Ich bin während der Saison plötzlich nicht mehr auf Touren gekommen», erinnert er sich. «Ich habe mich angestrengt, konnte aber meine volle Leistung nicht mehr bringen.» Beim Citius-Meeting in Bern wurde ihm nach dem 100-m-Lauf schwindlig. «Ich habe nur noch geschwitzt und gekeucht.» Die Diagnose: Pfeiffersches Drüsenfieber. Bis Ende Jahr war er ausser Gefecht, musste sich mühsam wieder herankämpfen.

Am Freitag tritt Wicki wieder beim Citius-Meeting an. Diesmal ist er parat, hat seine Spritzigkeit bewiesen. Doch die Aufmerksamkeit wird gross sein, nun, wo er der Schnellste auf dem Kontinent ist. «Er kann damit sehr gut umgehen», sagt seine Mutter Sabine, die auch seine Trainerin ist. «Er hatte in den letzten Jahren viele schwierige Phasen zu bewältigen. Das hilft ihm jetzt.» So gab es zuletzt keine Saison, auf die er sich vollkommen gesund vorbereiten konnte. Mal war es das Knie, mal der Fuss, die ihn plagten. Und schon 2017 fing er sich einmal das tückische Pfeiffersche Drüsenfieber ein. Diesen Frühling aber konnte er voll trainieren. «Wir haben im Lockdown die Saison vorbereitet, als ob es im Mai losgehen würde. Das zahlt sich jetzt aus», sagt Sabine Wicki.

«Wir Sprinter sind wie Boxer»

Was ihn so stark macht? «Ich bin unter Druck besonders gut», sagt der Sohn über sich. Der Student der angewandten Psychologie an der ZHAW glaubt: «Wenn einer neben mir ist, der Druck macht, hilft mir das, schnell zu sein. Oder wenn es um etwas geht. Ich mag diesen Adrenalinkick.»

Dass er keine Angst vor grossen Namen hat, bewies Wicki vor zwei Wochen, als er nach seinem Super-Sprint in Bulle FR dem derzeit verletzten Konkurrenten Wilson «fehlenden Sportsgeist» unterstellte. Viel mag er dazu nicht mehr sagen. «Wir Sprinter sind wie Boxer», erklärt er. «Wie bei Tyson gegen Holyfield, wenn der Gong erklingt. Wir beissen uns nicht gerade das Ohr ab. Aber wenn der Startschuss knallt, rennst du um dein Leben.»

Baller-Games nach Feierabend

Der Sprint als Bühne für Alphatiere, für die Männer mit dem grossen Ego. Dass das manch einem in den falschen Hals geraten könnte, ist ihm egal. «Ich sage, was ich denke, mache mein Ding, verstelle mich nicht. Auf der Bahn, aber auch daneben. Wenn mich deswegen jemand nicht mag, kann ich damit leben.» Ohne Umschweife steht er auch zu einem seiner Hobbies: Nach Feierabend spielt er online mit Freunden oder Bruder Nils (32) Egoshooter-Videospiele. Ein Erfolgsgeheimnis? Ballergames als Psychotrick des Psychologiestudenten? «Nein», sagt Wicki und lacht. «Es macht mir einfach Spass. Das ist alles.»

Wicki hat sechs Kilo zugelegt

Das Rezept, schnell zu sein, mutet dagegen einfach an: «Harte Arbeit.» Limiten setzt er sich sportlich keine mehr, seit er sich vor zwei Jahren selber überraschte. Er begann, regelmässig unter 10,30 Sekunden zu laufen. «Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, was eigentlich möglich ist. Bis dahin wusste ich gar nicht, was ich leisten kann.»

Auch dank Patrick Saile, der seit vier Jahren zum Trainerteam gehört. Mit ihm feilt Muskelpaket Wicki vor allem an Kraft und Technik, hat seither sechs Kilo zugelegt. «Er hat auf jeden Fall noch mehr Potential», so Mutter Sabine. «Er schöpft noch nicht alles komplett aus. Daran arbeiten wir.»

Der grosse Traum: Irgendwann 9,99 Sekunden oder schneller zu laufen. «Ich habe das in mir drin», sagt Wicki. «Auch wenn die Leute keine Ahnung haben, wie schnell das ist. Es ist verdammt schnell. Dafür müsste alles passen.» Die richtige Herausforderung für einen, der den Druck liebt.

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