Gut achtzehn Stunden hat Alex Wilson nach seinem Bronze-Lauf im Olympiastadion warten müssen, bis er am Freitagnachmittag auf der Fan-Meile bei der Gedächtniskirche seine EM-Medaille überreicht bekommt. Das 3000 Leute fassende City-Stadion ist fest in Schweizer Hand.
Endlich kommt der grosse Moment, auf den nicht bloss der 27-jährige Sprinter, sondern auch seine Familie, seine beiden britisch-jamaikanischen Trainer und alle rot gekleideten Fans warten. Alex strahlt: «Es ist meine erste Medaille!» Dann übermannen ihn die Emotionen: «Diese Medaille habe ich nicht für mich, sondern für mein ganzes Team gewonnen. Für all die, die immer an nicht geglaubt haben.»
Während er dies sagt, fliessen Tränen. «Aber ich habe die Medaille auch für die gewonnen, die an mir gezweifelt haben und meine Sprüche nicht glauben wollten. Auch sie haben mich stark gemacht. Ihnen will ich’s mit dieser Medaille zeigen.»
Alex hier, Alex da! Alle wollen ein Handy-Föteli von unserem Bronze-Mann. «Unglaublich, wie schnell man plötzlich bekannt ist», staunt Wilson. «So etwas habe ich gar nicht erwartet. Ich hatte noch nicht einmal Zeit, mit meinen Liebsten wenigstens einen Kaffee zu trinken.» Dann gehts ab. Von der Gedächtniskirche zum Berliner «Alex-Wilson-Gedenkplatz» – dem Alexanderplatz. Alex auf dem Alex.
Auch da lassen ihn Touristen keine zwei Minuten in Ruhe. «Wer sind Sie?», fragen sie den Mann im Suisse-Trainingsanzug. «What did you win?» Alex’ Antwort: «Bronze über 200 m.» – «Dürfen wir ein Foto machen?» Nein sagt Wilson nie. Er lächelt, obwohl er in der Nacht noch so aufgewühlt war, dass er kaum geschlafen hat.
Zweite Hälfte in 9,68 Sek.
«Siehst du, ich bin der Sieger der Herzen», sagt Wilson schliesslich. «Unglaublich, um die beiden, die vor mir waren, gab es keinen solchen Rummel. Schade, dass ich nicht unter zwanzig Sekunden gelaufen bin.»
Dann strahlt Alex beim Abschied vom «Alex» noch einmal mit sportlichem Stolz. «Bei meinem Final bin ich die 100 Meter durch die Kurve in 10,36 Sekunden gelaufen, war nur der Sechstschnellster. Die zweite Hälfte habe ich in 9,68 Sekunden geschafft, da war nur der Sieger schneller.»