Wenn Glück ein Augenblick ist zwischen den kleinen und grossen Tragödien im Leben, dann ist das Glück. Ein milder Sommertag im Engadiner Paradies, mächtig die Berge, dräuend der Cumulus-Himmel, schimmernd der See. Ich treffe die weltbeste Triathletin, Daniela Ryf (30). Genauer: Ich darf mittrainieren, ein Privileg sondergleichen. Wer kann mal mit Lindsey Vonn Ski fahren, mit Serena Williams Tennis spielen? Trotz Professionalisierung und Kommerzialisierung, Triathleten bilden eine Gemeinschaft, die sich ein Stück Bodenständigkeit bewahrt hat. Grandios.
Plötzlich steht sie auf der Tartanbahn, ganz unscheinbar. «Hallo, bist du vom BLICK?»
Daniela Ryf schaut mir in die Augen, lächelt charmant und wechselt gleich in den Trainingsmodus. «Ich laufe kurz ein, dann zwölf Runden auf der Bahn, die Geraden schnell, die Kurven moderat – dann 2,5 km auslaufen»
Weltmeisterin trifft Age-Grouper (bald 60), nur keinen peinlichen Ehrgeiz zeigen, so mein Vorsatz. Ein paar Runden renne ich mit, am Limit, dann steige ich aus und später wieder ein.
Kurzes Gespräch am Rande der Bahn mit Trainer Brett Sutton. Am 9. Juli will Ryf in Roth (De) die Ironman-Weltbestzeit angreifen. «Ist Daniela in Weltrekord-Form?» Sutton verdreht die Augen: «Seit Wochen versuche ich, ihr Roth auszureden! Sie war verletzt, das hat sie weit zurückgeworfen.» Er müsse Daniela bremsen, sagt Sutton, ihren Fokus auf Hawaii richten und längerfristig planen. «Nur so kann sie den Ironman noch jahrelang dominieren.»
Letzte Intervall-Runde auf der Bahn, danach werde ich Zeuge, wie der Trainer und seine Athletin, zwei starke Charaktere, sich produktiv zusammenraufen. «Genug für heute, lauf noch 2,5 km aus», sagt Sutton. Daniela verzieht den Mund, widerspricht: «Nein, ich will noch um den See laufen, 20 Minuten.» Daniela (zeigt auf mich): «Ich habs versprochen, komm, wir laufen los!» Sagts, läuft auf und davon – zum Run & Talk rund um den St. Moritzersee.
BLICK: Daniela, du warst verletzt, wie geht es dir?
Daniela Ryf: Na ja, es geht aufwärts, aber nicht so schnell, wie ich es gern hätte.
Was ist passiert?
Im März bekam ich plötzlich Probleme mit meinem Rücken …
… Probleme?
Eine Muskelverhärtung, wie ein Hexenschuss, aber zum Glück war kein Knochen verletzt.
Zu viel trainiert?
Nein. Manchmal verletzt man sich, ohne genau rauszufinden warum.
Trotzdem hast du im April den Ironman Südafrika gewonnen.
Ja, vor dem Rennen waren die Schmerzen extrem, ich dachte, ich könne nicht finishen. Danach gings zuerst besser, doch die Schmerzen kamen zurück, vor allem beim Schwimmen.
Das heisst?
Ich konnte nicht mehr trainieren.
Nicht mehr hundert Prozent?
Nichts ging mehr, gar nichts. Ich hatte Schmerzen, selbst beim Gehen und auch im Schlaf.
Du bist gewohnt, dass dein Körper funktioniert. Wie kamst du mit der ersten schweren Verletzung zurecht?
Es war extrem schwierig, körperlich und mental. Das knüppelharte Training ist der Schlüssel zu meinem Erfolg, und es strukturiert meinen Alltag. Da brach etwas ganz Wichtiges weg.
Hast du dir professionell helfen lassen?
Nein, nein. Mein Coach ist ein guter Psychologe, und meine Familie und die Freunde standen mir bei. Ich war öfter mit ihnen unterwegs, und ich habe meine Wohnung neu eingerichtet.
Dein Coach sagt, du seist vom Charakter her «swiss german, swiss german». Er meint: Du hast nie genug. Wie erkennst du Grenzen?Sagen wir mal: Ich arbeite daran, sie zu erkennen.
Deine Verletzung könnte ein Fingerzeig sein, dass Grosses im Sport manchmal mit einer Pause beginnt.
Ja, mein Körper ist mein Ein und Alles, ich muss sorgfältig mit ihm umgehen. Es geht zwar nicht ohne Härte, Disziplin, Ausdauer, aber letztlich ist alles nichts ohne Gesundheit.
Ist der Rücken jetzt wieder okay?
Ja, einigermassen, aber ich kann erst seit rund drei Wochen wieder normal trainieren.
Reicht das, um wie geplant den Weltrekord in Roth zu knacken?
Ehrlich gesagt, das wird schwierig, zur Topform fehlt viel.
Dein Coach sagt, er versuche ständig, dir den Weltrekord auszureden.
Das ist einfacher gesagt, als getan. Aber Brett hat recht, ich muss längerfristig planen, an meine weitere Karriere denken. Es passt jetzt nicht. Aber es fällt mir schwer, das zu akzeptieren.
Der Weltrekord reizt kaum einen Ironman, du aber träumst schon länger davon. Warum eigentlich?
Ich brauche einen Grund für das, was ich tue. Ich habe alles gewonnen, ein neues Ziel motiviert mich, im Training an die Grenzen zu gehen.
Was kommt nach dem Weltrekord?
Weiss ich nicht, ich finde immer wieder neue Ziele. Perfekte Rennen können ein Ziel sein, so wie mein letztjähriger Sieg auf Hawaii mit Streckenrekord.
Du magst deinen Beruf?
Ja klar, ich arbeite hart, aber ich bin privilegiert. Ich komme viel rum, trainiere hier im Paradies, lebe in einem wunderbaren Hotel.
Training, Essen, Schlafen – gibts auch mal Abwechslung?
Triathlon ist manchmal etwas einsam. Aber ich schwimme morgens in der Gruppe, auf der Bahn hier treffen sich viele Topathleten. Und wenn mal Lagerkoller aufkommt, besuchen mich Freunde.
Bist du eine Masochistin?
Wie kommst du denn auf die Idee?
Manche Leute meinen, dein Beruf sei es, Schmerz auszuhalten.
Spitzensportler müssen im Grenzbereich trainieren, das schmerzt manchmal, geht aber vorbei und bringt einen weiter. Anders verhält es sich mit Verletzungen, die gehen nicht so schnell weg, die tun richtig weh.
Also doch Schmerz-Profi?
Das ist nur eine Seite meines Sports. Diese Leute verstehen nicht, dass Sport pure Lebensfreude bedeutet, ein tolles Körpergefühl, einen modernen Lifestyle, Spass an der Leistung.
Ein Sportphilosoph sagt, dass Sport einen Moment den Bruch zwischen Arbeit und Leben aufhebt und Glücksgefühle erzeugt.
Gutes Training, Siege, stark sein – alles erzeugt Glücksgefühle. Freilich sind dazu im Triathlon ein paar Entbehrungen nötig.
Apropos Körpergefühl. Triathleten betreiben Körperkult. Ein Antrieb auch für dich?
Ja, ich sehe gern gut aus, ich bin doch auch eine Frau …
… und du zeigst das gerne, mit heissen Fotoshootings in Lederjäckchen, transparenten Bodys. Das andere Gesicht der Iron Lady?
Ja, ein Kontrast zum Klischee vom Schmerz-Profi. Überhaupt, ich liebe es, Verrücktes zu tun. Ich machte den Bachelor in Lebensmitteltechnologie, jetzt verfasse ich die Bachelor-Arbeit. Shootings für Sponsoren bringen mich auf andere Gedanken. Und ich habe gelernt, stolz auf meinen Körper zu sein, das war nicht immer so.
Ein Bild auf Instagram provozierte viel Kritik. Verstehst du das?
Ich war überrascht über die Reaktionen. Natürlich sind das für Ausdauersportler gewagte Bilder, aber daran ist doch nichts Anstössiges. Ich zeige ein anderes, verblüffendes Bild von mir selbst, und ich belebe das stählerne Image meines Sports. Und ein bisschen Spass darf doch sein auf Social Media!
Letzte Frage: Gibts einen Freund an deiner Seite?
Sorry, bleibt mein Geheimnis.
Nach 20 Minuten endet der Run &Talk. Coach Sutton wartet auf uns, skeptisch sein Blick. Ich danke Daniela fürs moderate Tempo, very, very charming. Bevor wir zurück ins Hotel Kempinski gehen, sagt sie zu Sutton: «Top Run.» Und da strahlt der doch wirklich.
BLICK-Autor Ernst Kindhauser ist Ironman seit 25 Jahren.