Kindheit
«Hier sind wir bei meinem Grosi im Berner Oberland. Als meine drei Schwestern Kaluanda, Muswama und Ditaji jünger waren, haben wir viel Zeit auf dem Bauernhof meiner Grossmutter verbracht. Wir haben auf dem Hof gespielt oder im Stall mit den Tieren. Immer gab es etwas Neues. Zum Beispiel, wenn ein Kälbli auf die Welt kam. Und was auch schön war: Meistens waren auch Cousins und Cousinen da. Es war immer etwas los beim Grosi.»
Die ersten Schritte bei den Grossen
«Ein spezielles Bild. Es stammt von 2009, dem Jahr, in dem ich zum ersten Mal Schweizer Meisterin wurde. Man erkennt ziemlich schnell, dass ich mich auf sehr viele Arten weiterentwickelt habe und die Sportart Leichtathletik sich auch, gerade in der Schweiz. 2009 war ich noch im Gymi, habe in Bern gewohnt, wahrscheinlich viermal pro Woche trainiert und hatte noch nicht viel Kraft, wie man gut erkennt (lacht). Es ist verrückt, was in den 13 Jahren passiert ist, seit ich zum ersten Mal Meisterin wurde. Und schön, dass ich es geschafft habe, an der Spitze zu bleiben, obwohl das Niveau immer höher wurde. Mit meiner Zeit von damals käme man heute wohl nicht einmal mehr in den SM-Final.»
Lehrjahre in Mannheim
«Ach, Valerij Bauer und Alexandra Burghardt! Die beiden haben in meiner Laufbahn eine grosse Rolle gespielt. 2013 bin ich als kleine Schweizerin, die nicht gerade Amateurin war, aber trotzdem auf bescheidenem Level trainiert hat, zu Coach Valerij nach Mannheim gegangen, weil ich sehen wollte, was drinliegt, wenn ich professionell arbeite. Ich wollte wissen, ob das schon alles ist, was ich kann. Und was soll ich sagen… es hat sich sehr viel verändert. Ich bin in Mannheim als Athletin extrem gewachsen, viele Dinge, die ich bei Valerij gelernt habe, habe ich beibehalten. Alex war in Mannheim während drei Jahren meine Mitbewohnerin. Dank ihr hatte ich dort eine Freundin und ein Zuhause. Darum ist es auch schön, dass sie jetzt manchmal in Zürich trainiert und wir uns so ab und zu sehen.»
Die Heim-EM 2014 in Zürich
«Damals wurde ich innerhalb von einer Woche in der Schweiz berühmt… In meiner Karriere ist es so: Es gibt ein Leben vor 2014 und nach 2014. Ich habe eigentlich vor allem positive Erinnerungen an diese Woche, trotz meines Fehlers im Staffel-Final, als ich den Stab fallen liess. Diese Episode gehört zu mir und sie hat damals auch viele Leute mitgenommen, das weiss ich. Aber im Nachhinein überwiegt das Positive. Ich hatte eine gute Woche und der Schweizer Sprint mischte plötzlich in der europäischen Spitze mit. Es ist einfach verrückt, dass das in zwei Jahren schon zehn Jahre her sein soll!»
Rio 2016
«Dieses Familienfoto auf der Treppe ist eine meiner Lieblingserinnerungen im Sport. Es waren meine zweiten Olympischen Spiele, aber der Wettkampf ist mir gar nicht so in Erinnerung geblieben, sondern, dass meine ganze Familie da war. Erst war es die engste Familie, dann kamen Freundinnen, Onkel, Tanten nach Brasilien, am Schluss waren wir 14 Leute. Im Wettkampf selber habe ich sie ja gar nicht gesehen, aber wir waren danach zusammen im Olympischen Dorf. Das ist es, was solche Erlebnisse besonders macht: Man kann etwas teilen und muss es nicht zuhause erzählen. Ob ich schneller bin, wenn meine Familie bei einem Rennen im Stadion ist? Man kann das nicht in Hundertstelsekunden messen, aber es gibt mir sicher ein gutes Gefühl. Ich habe das erstmals an der EM 2014 gespürt, als ich jeden Tag so unglaublich nervös war. Wenn mir meine Mutter dann jeweils geschrieben hat, wer alles für mich in den Letzigrund kommt, um zuzuschauen, hat mir das geholfen. Und wer da alles kam! Sogar ein alter Primarlehrer von früher war dabei.»
WM-Bronze über 200 m
«Doha 2019! Kurz vor Entstehung dieses Bildes habe ich meine WM-Bronzemedaille über 200 m gewonnen. Es war lange ein Traum, eine Medaille im Sprint auf Weltniveau zu holen. Das war so weit weg und schien lange Zeit völlig unrealistisch. Und dann lief an der WM zuerst auch noch der 100er schlecht. Die Wende kam im 200er, als ich in Fahrt gekommen bin und im Final meine Chance nutzte. Aber wie bei allen Medaillen gibt es auch hier eine Geschichte dahinter: Meine Saison lief überhaupt nicht gut, nachdem ich 2017 von Valerij und Mannheim weggegangen war, habe ich immer wieder die Trainer gewechselt, es gab Unruhe. Mit meinem Team bekam ich die Form dann doch noch hin. Nach einem so schlechten Saisonstart dann diesen Erfolg zu schaffen, das ist überwältigend. Ach, und an die Wüste habe ich gute Erinnerungen. Viele Familienmitglieder waren da, wir konnten danach die Zeit vor Ort noch ein bisschen geniessen. Es war schliesslich mein erstes Mal in der Wüste.»
Sportlerin des Jahres 2019
«Diesen Titel schätze ich sehr, sehr, sehr hoch ein. Ich bin stolz, dass ich das geschafft habe, ich kann mich noch daran erinnern, dass ich die Awards im TV geschaut habe. Nie hätte ich gedacht, dass ich mal da oben stehe. Darum ist das für mich ein ganz spezieller Moment. Dass Christian Stucki bei den Männern gewonnen hat, machte die Sache noch cooler. Wir haben einen gemeinsamen Sponsor, für den wir regelmässig zusammen vor der Kamera stehen, da treffen wir uns ab und zu und kennen uns ein bisschen. Wir mögen äusserlich zwar völlig unterschiedlich sein, aber wir ergänzen uns gut, weil wir viele Gemeinsamkeiten haben. Ich freue mich immer, wenn ich weiss, dass Chrigu bei einem Termin dabei ist, dann wird es lustig und locker.»
Coach und Freund
«Mit meinem Trainer Adrian Rothenbühler arbeite ich schon seit 2012 zusammen. Mal mehr, mal weniger, aber er war immer eine Bezugsperson. Er war es, der mich 2013 nach Mannheim begleitet hat. Bei meinen Trainerwechseln war er immer die Konstante daheim in Bern, wohin ich zurückkehren konnte. Er ist mein Trainer, aber längst auch ein Freund. Er ist wertvoll für mich, in allen möglichen Belangen. Natürlich hat sich unsere Beziehung weiterentwickelt in den zehn Jahren, die wir nun zusammenarbeiten. Ich schätze es sehr, dass wir offen und ehrlich zusammen sein können. Wir lernen immer noch voneinander.»
Olympia 2021
«Olympia in Tokio, das war in jeder Hinsicht speziell. Einen Olympia-Final zu erreichen, das war auch so ein Traum, der immer weit weg schien. In Tokio wurden es drei (über 100, 200 und 4x100m, d. Red.). Darum hat Tokio sportlich einen extrem hohen Stellenwert für mich. Aber es gab auch die Kehrseite: Wegen Corona fand alles vor leeren Rängen statt. Als ich bei der Eröffnungsfeier ins Olympiastadion mit seinen 80’000 Plätzen eingelaufen bin, habe ich bei mir gedacht: «Ach, Mann, was für eine Verschwendung. So ein schönes Stadion und es wird einfach leer bleiben.» Darum bin ich froh, dass es nicht meine ersten und einzigen Spiele waren. Normalerweise lernt man bei Olympia viele Leute kennen. Diesmal sind alle nur für ihre Wettkämpfe angereist und gleich wieder gegangen, so konnte nie richtige Olympia-Stimmung aufgekommen. Wenn ich zurückdenke, bleibt mir vor allem das Aufwärmstadion in Erinnerung, weil ich da so viel Zeit verbracht habe. Und die Wohnung im Olympischen Dorf, die ich mit meiner Schwester Ditaji teilen konnte. Das war aussergewöhnlich.»
Ferien mit Mama und Grosi
«Da bin ich im Herbst 2021 mit meiner Mutter Ruth und meinem Grosi Hanni in Cinque Terre in den Ferien. Ein Drei-Generationen-Trip. Meine Tante war auch noch dabei, die hat das Foto geschossen, später stiess auch meine jüngere Schwester Muswama dazu. Die Reise kam ziemlich spontan zustande. Weil ich jeweils nur im Herbst Ferien machen kann, bin ich darauf angewiesen, mit jemandem wegzufahren, der auch gerade Zeit hat. Das Ferienprogramm diesmal: Feines Essen, Shoppen, Sightseeing, gemütlich, ganz nach meinem Geschmack. Mein erstes Mal übrigens, dass ich mit meiner Grossmutter in den Ferien war. Sie ist immer noch gerne unterwegs, auch mit 89 Jahren. Sie ist auch bei vielen meiner Rennen dabei, was mich jedesmal sehr freut.»
Die schnellste Hallensprinterin 2022
«Noch eine Medaille! (lacht) Es ist sehr, sehr, sehr schön, Weltmeisterin zu sein (über 60 m in der Halle, d. Red.). Ich musste mich zuerst gewöhnen, mich als Weltmeisterin bezeichnen zu dürfen. Das Video von den Läufen in Belgrad schaue ich mir manchmal noch an. Wie es sich als Weltmeisterin lebt? (lacht) Man wird stärker wahrgenommen von den Konkurrentinnen. Aber ich gehe nicht anders durchs Leben. Es verändert meinen Alltag nicht. Vielleicht wird es langfristig eine Auswirkung haben, aber im Moment bin ich noch zu sehr ‹im Züüg›, die Saison geht ja noch weiter und ich habe grosse Ziele. Ich habe also auch gar keine Zeit, mich anders zu fühlen.»
Der 30. Geburtstag
«Ja, jetzt bin ich 30. Das stresst mich nicht. Man hat Anfang 20 ja ganz andere Vorstellungen, was es bedeutet, 30 zu sein. Weil man das Gefühl hat, 30 sei megaalt. Und dann bist du 30 und denkst: ‹Ja, so alt ist das jetzt auch wieder nicht.› (lacht) Die Drei vorne, an die muss ich mich sicher etwas gewöhnen. Aber wenn ich auf mein Leben blicke, geht es mir extrem gut. Ich wohne in Bern, habe ein schönes Daheim, meine Familie ist in der Nähe, alle sind hier. Schon länger lebe ich jetzt mit meinem Freund zusammen. Ich bin sehr zufrieden. Während vieler Jahre war ich extrem viel unterwegs, das habe ich damals genossen, es hat Spass gemacht. Aber jetzt geniesse ich es extrem, etwas zur Ruhe gekommen zu sein. Sportlich habe ich mehr erreicht, als ich mir mehr vorstellen konnte. Ich habe noch viel vor mir. Im Trainingslager in Teneriffa habe ich kürzlich Ivet Lalova (38-jährige Sprinterin, d. Red.) getroffen. Die hat mir erklärt, dass mit dreissig die besten Jahre anfangen. Ich hoffe, sie hat recht. Ich bin gespannt.»
Sie ist die grösste Leichtathletin, die die Schweiz je hatte: Mujinga Kambundji. Am 17. Juni 1992 kommt die Tochter von Papa Safuka und Mama Ruth in Bern als zweitälteste von vier Schwestern zur Welt. «Sie war schon bei der Geburt die Schnellste», sagt Ruth Kambundji 2019 im Blick über ihre Tochter, die nach 20 Minuten im Spital schon auf der Welt war. Mit 11 Monaten kann Mujinga schon laufen – und in diesem Tempo macht sie weiter: 2009 wird sie erstmals Schweizer Meisterin über 100 und 200 m. Am 14. Juni verbessert sie ihren Schweizer Rekord über 200 m auf 22,18 Sekunden, womit sie die schnellste Europäerin in diesem Jahr ist. Über 100 m liegt ihre persönliche Bestzeit ebenfalls auf Weltklasse-Niveau: 10,94. In diesen beiden Disziplinen und mit der 4x100-m-Staffel strebt sie an der WM im Juli und an der EM im August die vorderen Ränge an. In Tokio bestritt sie 2021 ihre dritten Olympischen Spiele, wobei sie als Fahnenträgerin die Schweizer Delegation anführte. Im März 2022 wurde sie in Belgrad Hallen-Weltmeisterin über 60 m.
Sie ist die grösste Leichtathletin, die die Schweiz je hatte: Mujinga Kambundji. Am 17. Juni 1992 kommt die Tochter von Papa Safuka und Mama Ruth in Bern als zweitälteste von vier Schwestern zur Welt. «Sie war schon bei der Geburt die Schnellste», sagt Ruth Kambundji 2019 im Blick über ihre Tochter, die nach 20 Minuten im Spital schon auf der Welt war. Mit 11 Monaten kann Mujinga schon laufen – und in diesem Tempo macht sie weiter: 2009 wird sie erstmals Schweizer Meisterin über 100 und 200 m. Am 14. Juni verbessert sie ihren Schweizer Rekord über 200 m auf 22,18 Sekunden, womit sie die schnellste Europäerin in diesem Jahr ist. Über 100 m liegt ihre persönliche Bestzeit ebenfalls auf Weltklasse-Niveau: 10,94. In diesen beiden Disziplinen und mit der 4x100-m-Staffel strebt sie an der WM im Juli und an der EM im August die vorderen Ränge an. In Tokio bestritt sie 2021 ihre dritten Olympischen Spiele, wobei sie als Fahnenträgerin die Schweizer Delegation anführte. Im März 2022 wurde sie in Belgrad Hallen-Weltmeisterin über 60 m.