«Ich war gelähmt»
Olympia-Held schockt im BLICK-Interview

Als 400-m-Hürdenstar war er jahrelang «überiridisch» wie zuletzt Usain Bolt. Vor sechs Monaten machte ihn ein Treppensturz menschlich zerbrechlich: Edwin Moses spricht mit BLICK exklusiv über den Unfall, über Russland, Doping und das IOC.
Publiziert: 22.11.2017 um 15:28 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 13:20 Uhr
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Ex-US-Leichtathlet Ed Moses beim BLICK-Interview am 18. November 2017 in Opfikon.
Foto: Siggi Bucher
Carl Schönenberger (Text) und Sigi Bucher (Fotos)

Edwin «Ed» Moses (62) strahlt, als er die Bilder des BLICK-Fotoshootings sieht. «Schaut meine Augen an», sagt Moses, «das Leuchten, der klare Blick. So habe ich mich lange nicht mehr gesehen.»

BLICK: Herr Moses, was soll diese Bemerkung zu Ihren Augen?Ed Moses: Es war am 2. Juli dieses Jahres. Daheim in Atlanta habe ich einen Misstritt gemacht und bin die Treppe hinunter gestürzt. Dabei bin ich mit meinen Kopf hart aufgeschlagen. Eine Hirnerschütterung.

Da haben Ihre Augen Schaden genommen?
Nicht nur dabei. Kurze Zeit später, als ich vor dem Haus in mein Auto steigen wollte, bin ich mit dem Kopf erneut hart gegen den Rahmen meiner Autotür geknallt. Ich war benommen. Äusserlich hat man keine Verletzung gesehen. Ich wollte taumelnd zurück in mein Haus, aber Freunde haben mich zum Glück ins Spital gebracht.

Und dann?
Die zweite Hirnerschütterung innerhalb so kurzer Zeit war zu viel. Zuerst bin ich noch unkoordiniert wie ein Zombie gegangen. Als ich dann im Spitalbett gelegen bin, habe ich plötzlich meine Beine nicht mehr gespürt. Ich war vom Bauch abwärts gelähmt. Die Ärzte haben eine Hirnblutung festgestellt. Der Druck in meinem Kopf hat die Nerven abgedrückt. Ich konnte auch nichts mehr klar sehen. Es war unheimlich, mich nicht mehr bewegen zu können.

Ein Schock für einen Sportler, dessen Beine ihn früher zu Seriensiegen und Weltrekorden getragen haben.
Extrem. Plötzlich bin ich im Rollstuhl gesessen. Nachdem mir die Ärzte den Druck aus meinem Schädel genommen hatten, habe ich mich langsam erholt. Aber das Ganze hat gedauert. Noch im September habe ich einen Rollator gebraucht, um überhaupt in meiner Wohnung Gehen zu können. Und das noch immer bloss ganz langsam.

Sind Sie danach in einem Therapie-Zentrum gewesen?
Nein. Ich habe mich geweigert, im Spital zu bleiben. Während der Zeit waren der italienische Sprinter und Weitspringer Andrew Howe und dessen Mutter für einen Trainingsaufenthalt in meinem Haus Gäste. Howes Mutter ist ausgebildete Physiotherapeutin. Sie hat jeden Tag mit mir gearbeitet. Dank ihrer Hilfe habe ich mich so gut erholt, dass ich jetzt wieder ziemlich normal gehen kann.

Aber was hat das mit Ihren Augen zu tun?
Nach den zwei Hirnerschütterungen habe ich nie mehr richtig klar gesehen. Deshalb freue ich mich jetzt so über das Funkeln in den Augen und meinen klaren Blick, den ich auf diesen Fotos sehe.

Und mittlerweile reisen Sie auch wieder in der Welt herum?
Ja, ich bin soeben von der Konferenz der Welt-Antidoping-Agentur aus Seoul für die Laureus Charity Night nach Zürich gekommen. Das ist seit meinem Unfall der erste grosse Trip. Und es geht zum Glück problemlos.

Dann haben Sie in Seoul über den russischen Dopingskandal diskutiert. Wie ist Ihre persönliche Meinung dazu?
Die ist klar! Russland hat mit seinem Dopingsystem der vergangenen Jahre dem Weltsport einen immensen Schaden zugefügt. Das System – nicht einzelne Sportler. Der kanadische Experte Richard McLaren hat dazu viele Beweise geliefert, dennoch streiten die russischen Sportführer alles ab. Sie zeigen keine Einsicht. Russland zerstört den Ruf des gesamten Sports. Macht das Ansehen aller Sportler, die es jemals mit harter Arbeit auf ein Olympia-Podest geschafft haben, zunichte. Russland muss als Ganzes von den kommenden Olympischen Spielen ausgeschlossen werden. Das IOC hätte das schon für die Spiele in Rio durchsetzen müssen.

Weshalb ist dieser Ausschluss durch das Internationale Olympische Komitee noch nicht erfolgt?
Im IOC sitzen zu wenig ehemalige Athleten – es sind ja fast bloss noch Geschäftsleute. Geld scheint ihnen wichtiger als ein sauberer Sport.

IOC-Präsident Thomas Bach war als Fechter 1976 jedoch selbst Olympiasieger.
Aber heute denkt und handelt auch er mehr wie ein Politiker oder Geschäftsmann, als wie ein Sportler.

A propos sauberer Sport: Skeptiker zweifeln, dass Usain Bolt die fantastischen 9,58 Sekunden über 100 Meter dopingfrei schaffen konnte. Auch Ihr Weltrekord über 400 Meter Hürden und Ihre unheimliche Siegesserie von 122 Rennen ohne Niederlage schienen in den 70er und 80er Jahren «ausserirdisch». Nicht gedopt?
Nein! Es wird immer wieder aussergewöhnliche Talente geben. Sportler mit speziellen körperlichen und mentalen Voraussetzungen. Ich und Usain Bolt waren damals der Zeit einfach voraus.

Sie sind hier in Zürich für die Laureus Stiftung, die es Jugendlichen aus einem schwierigen gesellschaftlichen Umfeld mit speziellen Projekten ermöglicht, Sport zu treiben. Können Sie das in einer Zeit, da der Sport mit Doping, Korruption und sexuellen Übergriffen fast täglich Negativ-Schlagzeilen liefert, überhaupt noch verantworten?
Sicher. Sport ist für Kinder nach wie vor ein sehr wertvolles Betätigungsfeld, eine Lebensschule, die unsere Unterstützung braucht. Ausserdem haben unsere Laureus Projekte nichts mit Spitzensport zu tun.

Würden Sie auch Ihre eigenen Kinder unterstützen, wenn die Sport treiben möchten?
Mein Sohn Julian steht gerade vor dem College-Abschluss. Er spielt Volleyball. Mit seinen über zwei Metern Körpergrösse hat er dafür ideale Voraussetzungen. Als Vater bin ich stolz auf ihn.

Persönlich

Edwin Corley Moses wurde am 31. August 1955 in Dayton, Ohio, geboren. Sein Vater Irving und seine Mutter Gladys waren beide Lehrer, und selbst auch Sportler – Papa spielte Football, Mama Tennis. In der Highschool kam Ed Moses zur Leichtathletik. Zu den 400 m Hürden, wo er als erster Athlet weltweit die 35 Meter zwischen den einzelnen Hürden von Start bis Ziel mit 13 Zwischenschritten bewältigen konnte. Moses wurde 1976 und 1984 Olympiasieger, 1983 und 1987 Weltmeister, blieb in 122 Rennen in Folge ungeschlagen, lief viermal Weltrekord. Seine bis 1992 gültige Bestmarke von 47,02 Sekunden ist noch heute die zweitbeste Leistung aller Zeiten. Moses hat einen Master in Betriebswirtschaftslehre, lebt heute mit seiner Familie in Atlanta, Georgia, und ist Mitglied der US-Antidoping-Agentur USADA und der Welt-Antidoping-Agentur WADA sowie Vorsitzender der Laureus Foundation.

Edwin Corley Moses wurde am 31. August 1955 in Dayton, Ohio, geboren. Sein Vater Irving und seine Mutter Gladys waren beide Lehrer, und selbst auch Sportler – Papa spielte Football, Mama Tennis. In der Highschool kam Ed Moses zur Leichtathletik. Zu den 400 m Hürden, wo er als erster Athlet weltweit die 35 Meter zwischen den einzelnen Hürden von Start bis Ziel mit 13 Zwischenschritten bewältigen konnte. Moses wurde 1976 und 1984 Olympiasieger, 1983 und 1987 Weltmeister, blieb in 122 Rennen in Folge ungeschlagen, lief viermal Weltrekord. Seine bis 1992 gültige Bestmarke von 47,02 Sekunden ist noch heute die zweitbeste Leistung aller Zeiten. Moses hat einen Master in Betriebswirtschaftslehre, lebt heute mit seiner Familie in Atlanta, Georgia, und ist Mitglied der US-Antidoping-Agentur USADA und der Welt-Antidoping-Agentur WADA sowie Vorsitzender der Laureus Foundation.

Laureus Charity Night – An den drei Millionen gekratzt

Die 11. Laureus Charity Night vom vergangenen Samstag im Hangar 9 in Dübendorf war erneut ein voller Erfolg. Die rund 700 nationalen und internationalen Gäste aus Politik, Wirtschaft, Sport und Show griffen ordentlich ins Portemonnaie. Bei der stillen Auktion kamen 2 935 927 Franken zusammen. Die Spendengelder fliessen in die sozialen Sportprojekte der Laureus Stiftung, die die Chancengleichheit junger Menschen verbessern und Präventionsarbeit leisten.

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