«Ich habe meine Medaillen nie gesehen»
Blinder Marathon-Star Wanyoike startet in Zürich

Der blinde Langstreckenläufer Henry Wanyoike holte dreimal Gold an den Paralympics – einst war er sogar zu schnell für seinen sehenden Guide. Nun tritt erstmals am Zürich Marathon an.
Publiziert: 25.04.2019 um 14:36 Uhr
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Aktualisiert: 25.04.2019 um 14:37 Uhr
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Henry Wanyoike will sich am Sonntag in Zürich für die Paralympics qualifizieren.
Foto: Sven Thomann
Emanuel Gisi (Text) und 
Sven Thomann (Fotos)

Henry Wanyoike, Sie laufen zum ersten Mal in der Schweiz ­einen Marathon. Was fällt Ihnen als Blindem als Erstes auf an einem neuen Ort, in einer neuen Stadt?
Henry Wanyoike:
Ich liebe die tolle Luft hier in Zürich. Das ist etwas vom Ersten, das ich merke. Als ich aus dem Flughafen gekommen bin, habe ich die frische Luft gespürt. Am See auch. Zürich ist eine sehr saubere Stadt, habe ich das Gefühl.

Sie sind seit einem Schlaganfall vor bald 24 Jahren blind. Wie ist es, ­eines Morgens aufzuwachen und nichts mehr zu sehen?
Es war furchtbar am Anfang! Es hat so wehgetan, alle meine Träume sind in dem Moment zerplatzt. Es hat ein paar Jahre gedauert, bis ich es akzeptieren konnte. Irgendwann habe ich gesehen, was ich trotzdem erreichen kann. Ich wollte immer ein Läufer werden, wie die ­anderen grossen Sportler, die Kenia hervorgebracht hat.

Jetzt sind Sie selber einer. Mit drei Weltrekorden und drei Paralympics-Goldmedaillen.
Es ist ein tolles Leben, ein besseres, als ich es hatte, als ich noch sehen konnte. Ich konnte der Welt zeigen, dass eine Behinderung kein Grund dafür ist, Grosses erreichen zu können. Darum setze ich mich heute auch für die Stiftung «Licht für die Welt», die mir ­damals geholfen hat, für Sehbehinderte ein.

Wie ist es, blind zu rennen?
(lacht) Es ist am Anfang überhaupt nicht leicht. Meine Hand ist voller kleiner Narben, ich bin zu Beginn viel gestürzt. Aber ich liebe laufen, ich habe immer gesagt: «Ich bin zum Laufen geboren.» Heute ist es natürlich, mit meinem Guide Paul zu laufen. Er lenkt mich, er hilft mir, ich vertraue ihm. Mittlerweile schlägt unser Herz während des Rennens im gleichen Rhythmus.

Sie haben 2000 in Sydney Ihren Guide zu Gold ins Ziel geschleppt.
Es war meine erste Erfahrung auf internationalem Niveau, ich wusste nicht, dass man mit zwei Guides laufen durfte, die sich abwechseln, darum hatte ich nur einen und war zu schnell für ihn. Aber er hat sein Bestes getan, und wir haben gewonnen. Den Weltrekord haben wir zwar um 3 Sekunden verpasst. Aber später haben wir ihn noch geknackt. Ich respektiere alle meine Guides: Sie sind es, die mich glänzen lassen. Mit Paul arbeite ich seit zehn Jahren zusammen. Wir sind wie Zwillinge.

Wenn Sie in Ihrem Leben noch einmal für 30 Minuten sehen könnten, was würden Sie sehen wollen?
Was ich in den letzten 24 Jahren erreicht habe. Meine Familie, meine Unterstützer und meine Medaillen! Ich habe meine Frau kennengelernt, als ich bereits blind war. Und das Gleiche gilt auch für den Lohn für meine ganzen sportlichen Leistungen. Ich habe meine Medaillen noch nie gesehen.

Ihre Frau ist in Zürich dabei. Kommt Sie immer mit, wenn Sie laufen?
Nein, überhaupt nicht. Ich möchte, dass Sie sieht, wie ich mich während dem Rennen verändere. Ich starte mit einem Lachen und komme abgekämpft ins Ziel.

Haben Sie hier schon etwas typisch Schweizerisches gegessen?
Noch nicht! Ich wollte Raclette essen, aber Paul hat es mir verboten (lacht)! Er hat gemeint, ich solle damit bis nach dem Marathon warten. Ich bin mir so viel Käse nicht gewohnt.

Was nehmen Sie sich für den Zürich Marathon vor?
Ich würde gerne unter 2:40 Stunden laufen. Margaret Njuguna, eine Läuferin, die ich in meiner Heimat Kenia fördere und mit der ich trainiere, wurde beim Boston Marathon in 2:38 Stunden 20. Ich wäre gerne ähnlich schnell wie meine Trainingspartnerin. Und ich würde damit die Limite für die Paralympics in einem Jahr erfüllen.

Sie fördern nicht nur Sportler, sondern auch sozial Benachteiligte. Stimmt es, dass Sie so auch Arnold Schwarzenegger kennengelernt haben?
Ja, Schwarzenegger hat uns mal geholfen, Nähmaschinen für eine Schule in Nairobi aufzutreiben. Und Boris Becker hat uns Kühe gesponsert. Das war ein Projekt, dank dem kenianische Familien nun unabhängig leben können.

Heisst eine Kuh zum Dank jetzt ­Boris Becker?
Nein, das nicht. Aber er ist in ­Kenia berühmt. Für dieses Projekt ist er ein grösserer Star als wegen seiner Tennis-Karriere.

Henry Wanyoike (44): «From Zero to Hero»

1995 erblindet der Schuhverkäufer Henry Wanyoike nach einem Schlaganfall über Nacht. Er wird depressiv, sein Kiefer erstarrt, monatelang. Er träumt davon, Läufer zu werden – und macht diesen Traum wahr. Bei den Paralympics gewinnt er von 2000 bis 2008 dreimal Gold. Er hält den Weltrekord über 5000 m, 10 000 m und die Halbmarathon-Distanz in der Kategorie Vollblind. «From Zero to Hero» (Von null zum Helden), so hat Arnold Schwarzenegger diese Karriere beschrieben. Wanyoike ist verheiratet, hat vier Kinder. Er engagiert sich für die Organisationen «Licht für die Welt», «Seeing is Believing». Berühmt wird er 2000, als er bei den Paralympics in Sydney seinen ausgepumpten Guide ins Ziel schleppt. Nach einem Autounfall vor drei Jahren glaubt er, wieder «bei 80 Prozent Leistungsfähigkeit» zu sein.

1995 erblindet der Schuhverkäufer Henry Wanyoike nach einem Schlaganfall über Nacht. Er wird depressiv, sein Kiefer erstarrt, monatelang. Er träumt davon, Läufer zu werden – und macht diesen Traum wahr. Bei den Paralympics gewinnt er von 2000 bis 2008 dreimal Gold. Er hält den Weltrekord über 5000 m, 10 000 m und die Halbmarathon-Distanz in der Kategorie Vollblind. «From Zero to Hero» (Von null zum Helden), so hat Arnold Schwarzenegger diese Karriere beschrieben. Wanyoike ist verheiratet, hat vier Kinder. Er engagiert sich für die Organisationen «Licht für die Welt», «Seeing is Believing». Berühmt wird er 2000, als er bei den Paralympics in Sydney seinen ausgepumpten Guide ins Ziel schleppt. Nach einem Autounfall vor drei Jahren glaubt er, wieder «bei 80 Prozent Leistungsfähigkeit» zu sein.

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