IAAF-Boss Sebastian Coe setzt auch nach dessen Karriere voll auf Bolt
«Bolt ist der Federer der Leichtathletik»

In seinem WM-Büro an der Londoner Canary Wharf spricht BLICK exklusiv mit Weltverbands-Boss Sebastian Coe (60). Über die Londoner, Usain Bolt, die schwierige Zukunft und die Schweizer Leichtathletik.
Publiziert: 12.08.2017 um 11:03 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 17:22 Uhr
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Ausnahmetalent, Showman und Vorbild: Usain Bolt ist die Lichtgestalt der Leichtathletik.
Foto: Keystone
Carl Schönenberger

BLICK: Wie sieht Ihre Bilanz dieser WM in London aus?
Sebastian Coe:
Als Engländer bin ich auf das, was wir hier in den zehn Tagen erleben, sehr, sehr stolz. Die Limiten für die WM-Teilnahme waren so hoch angesetzt wie noch nie. Dennoch haben wir mehr Athleten denn je. Das spricht für die Qualität unseres Sports. Wir haben so viele Tickets verkauft wie noch nie zuvor bei Weltmeisterschaften. Für mich ist es die grösste WM aller Zeiten.

Haben Sie dafür eine Erklärung?
Die Engländer lieben die Leichtathletik. Die Sportart hat auf der Insel seit jeher eine grosse Tradition. In den letzten Jahren haben unter den Individual-Sportarten zwar der Radsport und das Rudern an Bedeutung gewonnen. Aber am Stellenwert der Leichtathletik hat das nichts geändert.

Das britische Publikum ist bekannt für seinen Sportsgeist und seine Fairness. Da haben die Buhrufe gegen 100-m-Weltmeister Justin Gatlin gar nicht ins Bild gepasst. Blamabel?
Überhaupt nicht. Das habe ich auch Gatlin selbst nach der Siegerehrung gesagt. Ich wäre sehr besorgt gewesen, wenn das Publikum ihn nach seiner Doping-Vergangenheit ganz normal gefeiert hätte. Das hätte mir nämlich gezeigt, dass der Öffentlichkeit das Thema Doping egal ist. Die Reaktion mit den Buhrufen ist für mich der Beweis dafür, dass wir mit verschärften Dopingkontrollen und härteren Strafen auf dem richtigen Weg sind.

Über 600 000 Zuschauer bei der gesamten WM im Stadion. Die Leichtathletik lebt. Die nächste WM 2019 findet in Doha statt, in Katar, einem Land ohne Leicht­athletik-Tradition.
Da muss ich vehement kontern. Seit 2010 or­ganisiert Doha jährlich einen Event unserer höchsten Wettkampf-Kategorie. Katar tut das mit Erfolg. Bereits im Jahr 2000 fand der Grand-Prix­Final in Doha statt, wie 2010 eine der besten Hallen-Weltmeisterschaften. Für die Welt-Leichtathletik ist Doha 2019 ein guter WM-Ort.

Aber auch ein Signal für die Katarer, ein starkes eigenes Athleten-Team auf die Beine zu stellen. Sie fordern sie also fast dazu auf, mit ihren Öl-Dollars in ärmeren afrikanischen Ländern junge Leichtathleten für ihr Gastgeber-Team zu kaufen?
Da schauen wir ganz genau hin. Das verspreche ich. Aber Katar ist ein schlechtes Beispiel. Die Katarer bieten seit Jahren erfahrenen Trainern aus dem Ausland einen attraktiven Arbeitsplatz. Diese geben ihr Wissen katarischen Athleten weiter und bilden gleichzeitig Einheimische zu Trainern aus. Es gibt andere Länder, in denen der Nationenwechsel viel schlimmer ist.

Nennen Sie ein Beispiel?
Die Länder kennt man, ich brauche sie nicht zu nennen. Aber wie schlimm es ist, hat sich vor den Olympischen Spielen in Rio gezeigt. An einem einzigen Tag sind bei uns über 30 Anträge für Nationenwechsel eingegangen. Allein in der Leichtathletik. Wir haben ja auch reagiert, Nationenwechsel eingefroren. Jetzt sind wir intensiv daran, eine vertretbare Regelung zu schaffen.

Also diesen Menschenhandel ganz verbieten?
So einfach ist das nicht. Wir leben in einer globalen Welt. Das gilt nicht nur privat oder im Beruf, sondern auch im Sport. Wenn ein junger Mensch aus einem armen Land am Wohlstand teilhaben will und dafür freiwillig seine Heimat verlassen möchte, können wir ihm doch nicht verbieten, in seinem neuen Land Sport zu treiben. Auch die Religion, die Möglichkeit zu einem Studium oder Chancen auf einen Job, gar die Gesundheit – all das können Gründe sein für junge Menschen, ihren Lebensort zu verändern.

Viele Fans sind ins Stadion ge­kommen, um Jamaikas Superstar Usain Bolt ein letztes Mal zu sehen. Sie haben bereits angetönt, dass der Weltverband Usain Bolt auch nach dessen Karriere dringend braucht. Weshalb?
Usain hat dank seinen Auftritten und seiner Ausstrahlung in den letzten zehn Jahren die Leichtathletik als Sportart dahin gebracht, wo sie heute ist. Er hat verkrustete Strukturen aufgebrochen, hat den reinen Sport mit Show und Unterhaltung verbunden. Hat damit als Vorbild auch das Interesse der Jugend geweckt. In diesem Sinn kann und will er auch in Zukunft unserem Sport weiterhelfen.

Aber Stars wie Michael Johnson oder Zehnkämpfer Ashton Eaton – sogar der grosse Carl Lewis – waren nach ihrem Karriereende schnell vergessen. Wieso soll Usain Bolt da anders sein?
Usain Bolt ist kein Carl Lewis, kein Michael Johnson und kein Ashton Eaton. Usain Bolt ist Usain Bolt – einmalig! Bolt ist der Roger Federer der Leichtathletik. Ich und meine Kinder sind grosse Federer-Fans. Auch wenn Roger einmal zurücktritt – die Tennis-Welt wird immer von ihm profitieren. Sein perfektes Spiel, seine menschliche Ausstrahlung, seine Aura – all das wird immer in Erinnerung bleiben – und Jugendliche motivieren, auch Tennis zu spielen.

Sie sprechen von der Jugend. Die Zukunft für jede Sportart. Letztes Jahr besuchten Sie den UBS-KidsCup-Final im Letzigrund und schwärmten danach von besten Leichtathletik-Nachwuchs­projekt, das Sie je gesehen haben. Reine Höflichkeit?
Quatsch! Das gleiche sage ich heute wieder. Gut das Konzept mit den lokalen Ausscheidungen in Klubs und Schulen, gut die Kantonal-Finals, perfekt der Schweizer Final zwei Tage nach «Weltklasse» im Letzigrund. Da kommen Leicht­athletik-Anfänger gleich in Kontakt mit Weltstars.

Weshalb ist das für Sie perfekt?
Weil Jugend-Leichtathletik mit Spitzen-Leichtathletik verknüpft wird.

Das Schweizer Beispiel muss also auch in der IAAF und in anderen Ländern Schule machen?
Genau, das wünsche ich. Viele Landesverbände warten tatenlos darauf, bis ihnen der Weltverband von oben herab Ideen und Konzepte liefert. Der umgekehrte Weg ist der bessere – wenn die guten Ideen von der Basis aus nach oben getragen werden. Für mich kommt es deshalb nicht überraschend, dass Swiss Athletics bei der WM in London mit einem starken Team vertreten ist und dass Schweizer Nachwuchs-Athleten 2017 bei internationalen Meisterschaften viele Medaillen gewonnen haben. Auch das verfolge ich ziemlich genau.

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Steckbrief

Lord Sebastian Coe (60) war 1980 Olympiasieger über 1500 m und 1984 über 800 m. Insgesamt lief der Brite über 800 m, 1500 m und die Meile acht Weltrekorde. Nach seinem Abstecher ins britische Parlament war er OK-Präsi von Olympia 2012 in London. Seit 2015 ist er Boss des Weltverbands IAAF.

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