Sonntagmittag, Athletik-Zentrum St. Gallen. Während in der Wettkampf-Halle an den Schweizer Meisterschaften der Leichtathleten bereits um Hundertstel und Zentimeter gefightet wird, schlendert Baselbieter Jason Joseph (25) lässig in die Aufwärmhalle. Ein Abklatschen hier, ein Handschlag dort. Die Aura des Hürdensprinters füllt sofort den Raum.
Während er sein Aufwärmprozedere für den Halbfinal über 60 m Hürden absolviert, sucht drinnen im Wettkampfbereich eine blonde Frau mit ihren zwei Kindern auf der Sitzplatz-Tribüne einen Platz mit gutem Überblick – Claudine Müller (43), ehemalige Siebenkämpferin, heute Sportwissenschaftlerin und Trainerin von Joseph. Auf die Frage, was für eine Zeit Jason an diesem Tag wohl auspacken werde, antwortet Müller mit Schulterzucken und schelmischem Lächeln. Um später zu sagen: «Eine schnelle». Müller ist keine Frau der vielen Worte.
Die Trainerin weiss, dass es noch besser geht
Dann betritt Joseph für seinen ersten Hürdensprint die Wettkampfarena. Flitzt zum Aufwärmen zwei-, dreimal katzenhaft geschmeidig und flink über drei 106 Zentimeter hohe Hindernisse. Nach dem Halbfinal zeigt die Uhr 7,47 Sekunden – fünftbeste Zeit des Jahres weltweit.
Zufrieden? Müller schmunzelt beim Bratwurststand. «Zahlen bedeuten mir nichts», sagt sie. «Ja, Jason hat es geschafft, aus dem Startblock schön an die erste Hürde zu laufen, sonst hat er damit vielfach ein Problem.» Die Trainerin weiss, dass es noch besser geht.
Dann ist es so weit. Final. Joseph ist im Startblock eingeklemmt zwischen Mathieu Jaquet und Simon Ehammer, der angekündigt hat, Joseph möglichst lange ärgern zu wollen. Gesagt, getan. Mit einem Blitzstart zwingt Ehammer Joseph in die Defensive. Prompt rumpelts beim Basler an der ersten Hürde.
Als Nächstes folgt für Joseph die Hallen-WM
Doch danach zischt der Baselbieter an den Gegnern vorbei wie ein Düsenjet. 7,43 Sekunden – zwei Hundertstel über dem Schweizerrekord, drittbeste Zeit des Jahres weltweit. «Ich wäre gerne schneller gelaufen», sagt er beim Platzinterview. «Ich kanns, doch vielleicht habe ich mich zu gut gefühlt. Aber klar, ich nehme die gute Zeit gerne. Aber einen Lauf, nach dem ich sagen muss ‹Wow, das wars›, habe ich hier nicht gezeigt.»
Den kann er am ersten März-Wochenende bei der Hallen-WM in Glasgow gerne auspacken. Denn Hallen-Wettkämpfe liegen Jason Joseph. Besonders seit der letztjährigen Hallen-EM in Istanbul. Mit 7,41 Sekunden hat er damals EM-Gold geholt. Sein erster grosser Coup auf globaler Ebene nach EM-Titeln bei den U20 und U23 über 110 m Hürden.
Vor der Dreifach-Belastung 2024 mit Hallen-WM, Freiluft-EM in Rom und Olympia in Paris fürchtet sich Joseph jedenfalls nicht. Für ihn sind das drei Chancen, grossartige Wow-Läufe zu zeigen.