Silbermedaille für Tadesse Abraham!
Erst in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag kam unser Marathon-Man aus seinem Vorbereitungs-Camp in Äthiopien nach Berlin geflogen. Von Jetlag spürt man drei Tage später im Rennen am Sonntagvormittag allerdings nichts.
Es ist sein 36. Geburtstag. Und Tadesse feiert auf seine Art. Keine gemütliche Party mit Marathon-Kollegen. Der in Genf lebende Marathon-Profi macht die Fete für seine Gegner knallhart. Das «Geburtstagskind» ist es, der von der Spitze aus diktiert, wie das Rennen verläuft. 30 Kilometer lang ist es immer der Schweizer, der dafür sorgt, dass die Spitze immer kleiner wird. Dass auch Norwegens Europarekordler Moen der Saft in den Beinen frühzeitig ausgeht.
Als dann allerdings der Belgier Koen Naert – acht Jahre jünger – zwischen dem 30. und dem 35. Kilometer einen verrückten 5000-m-Abschnitt von 14:48 Minuten einstreut, kommt auch Tadesse nicht mehr mit. Die Silber-Medaille lässt er sich aber nicht mehr nehmen. «Ich wollte Gold, aber mehr lag heute nicht drin», sagt Abraham im Ziel. «Jetzt freu ich mich über Silber.»
Auch von der für Marathon-Verhältnisse ins Unangenehme steigende Berliner Temperatur lässt sich Tadesse Silber nicht mehr in die Suppe spucken. Am Start waren es noch 19 Grad, zwei Stunden später sinds gut 25.
Nach 2:11:24 Stunden trägt er – wie es sich zum Geburtstag geziemt – strahlend die Schweizer Fahne ins Ziel. Eineinhalb Minuten hinter Sieger Naert, der in 2:09:51 Stunden einen neuen Europameisterschafts-Rekord schafft. Mit den auffallend vielen Schweizer Fans feiert Tadesse jetzt aber richtig Party. Und er wartet, bis all seine Schweizer Teamkollegen im Ziel sind, ehe er ein erstes Interview gibt. Tadesse begeistert: «Es fühlte sich an, als würde ich in der Schweiz laufen. Überall habe ich die Fahnen gesehen. Ich kann nur Danke sagen. Ich bin so stolz, für die Schweiz laufen zu dürfen.»
Martina Strähl wird Siebte
Verrückt auch das Rennen der Frauen. Voller Dramatik sogar. Als die 29-jährige Weissrussin Volha Mazuronak plötzlich mit total blutverschmierten Gesicht auftaucht. Naselbluten – und zwar nicht Tropfen weise, sondern strömend wie ein Bach. Volle zehn Kilometer braucht sie, bis der Blutfluss gestillt ist. Sanitäter vom Streckenrand reichen ihr immer wieder blutstillende Tüchlein. Mazuronak putzt damit einerseits ihr Gesicht, steckt aber auch kleine Papier-Tüchlein zur Blutstillen in die Nase. Was für ein Handycap für eine Läuferin, wenn plötzlich die für Ausdauersport so wichtige Atmung reduziert wird.
Das ist noch nicht alles: Mazuronak verirrt sich auch noch auf der Rennstrecke, biegt kurz vor dem Ziel falsch ab.
Doch die Weissrussin steckt das Weg, als wäre es nichts. Das ganze Rennen an der Spitze gelaufen, greift sie nach der Blut-Panne bei 25 Kilometern an, sprengt die Spitzengruppe. Und setzt sich mit zwei Verfolgerinnen ab. Mazuronak spielt im Frauen-Rennen genau so die Chefin, wie das Tadesse Abraham bei den Männern tut. Als sie auf dem Schlusskilometer von Frankreichs Marathon-Debütantin Clémence Calvin attackiert wird, setzt sie zu ihrem Staubtrockenen Finish an und gewinnt in 2:26:22 Stunden EM-Gold.
Martina Strähl kreuzt 1:45 Minuten später die Ziellinie. Mit 2:28:07 Stunden verbessert sie als EM-7. ihre persönliche Marathon-Bestleistung um fast drei Minuten. Den Grundstein legt die Schweizerin mit ihrer mutigen, fast sogar übermütigen, ersten Streckenhälfte. Martina – im Feld ein Fliegengewicht – scheint sich an den Berliner Halbmarathon vom vergangenen April zu erinnern, wo sie schon sensationell Zweite wurde. Bis zur halben Distanz führt sie das Marathon-Feld an. Dann kommt eine kleine Krise, sie kann mit Mazuronak nicht mehr mithalten. Aber zum Glück ist es nur eine Krise auf Zeit. Strähl erholt sich und ihr Rang in den Top-10 ist nie gefährdet.
Strähl im Ziel: «Mit dem Rennen bin ich super zufrieden. In der zweiten Runde spürte ich zwar meinen Entzündung im Fuss. Danach ging es aber wieder. Die Stimmung und auch die Strecke hier waren der Hammer!»