Was seit dem erfreulichen EM-Auftritt mit dem Männer-Vierer passiert, ist ein Trauerspiel. Anfang Mai bei der Staffel-WM in Nassau (Bahamas) bringen sie mit einem Wechselfehler den Stab nicht ins Ziel. Am letzten Samstag beim Swiss Meeting in Genf passiert das gleiche Debakel. Katastrophale Aussichten für den nächsten Auftritt in einer Woche, wenn es bei der Team-EM in Heraklion (Kreta) für die Schweiz um den Verbleib in Europas First League geht.
Swiss Athletics leistet sich den Luxus, für die Staffel in diesem WM-Sommer und damit im vor-olympischen Jahr auf unsere beiden schnellsten Sprinter Alex Wilson (10,12) und Amaru Schenkel (10,19) zu verzichten. Schenkel hat den Bettel nach der Staffel-WM auf den Bahamas selbst hingeworfen. «Unüberbrückbare Differenzen mit dem Coach», so seine Begründung. Wilson wurde vom Verband suspendiert. «Er hat Grenzen in inakzeptablem Mass überschritten», erklärt Swiss Athletics.
Da wird mit wichtigen Leistungsträgern umgegangen, als hätten wir Dutzende davon. Der Exploit bei der Heim-EM ist weit weg: 38,54 Sekunden, Schweizerrekord, EM-Rang 4! Pascal Mancini, Amaru Schenkel, Suganthan Somasundaram und Alex Wilson wurden im Letzigrund von 25 000 Fans frenetisch gefeiert.
Statt der Fortsetzung dieses Triumphlaufs ist innert Monaten ein Trauermarsch aus ihm geworden.
Die Verbandsführung hat zwar Laurent Meuwly als Staffel-Coach weiterhin die Verantwortung anvertraut. Aber der Widerstand ist gross. «Die Leute im Verband müssen verantworten, wenn sie keine schnelle Staffel wollen.» Und: «So werden Athleten kaputt gemacht», liess Alex Wilson nach seinem Rauswurf in der Basler Zeitung «Tageswoche» dem Frust freien Lauf. Schenkel fühlt sich «wie in einer Diktatur. Man geht mit uns um wie mit Buben. Wir werden vom Coach vor Tatsachen gestellt, können über Zusammensetzung oder Trainings kein Wort mitreden.»
Laurent Meuwly, der 40-jährige Fribourger, konterte diese Vorwürfe. «Mag sein, dass die Läufer bei früheren Staffeltrainern mehr Mitspracherecht hatten. Ich habe einen anderen Führungsstil.» Für ihn zähle nur der Erfolg.
Meuwly ist Nationaltrainer Sprint. Als solcher müsste er auch intensiven, regelmässigen Kontakt zu den Heimtrainern der Sprinter pflegen. «Mit mir hat Laurent ein einziges Mal kurz telefoniert, das war im Herbst. Sonst habe ich nie etwas von ihm gehört, auch nicht vor der Staffel-WM», sagt Sven Rees, der Deutsche, der seit letztem Herbst persönlicher Trainer von Alex Wilson in Stuttgart ist.
Der Berner Jacques Cordey stösst ins gleiche Horn. Cordey war bis vor eineinhalb Jahren persönlicher Trainer von Mujinga Kambundji. Schon damals habe er von Meuwly nie gewusst, wie und was er um die Staffeln plane. Andere persönliche Trainer sagen das Gleiche.
Die Sprinter haben nach wie vor Potenzial, sich als Staffel für die WM im kommenden August in Peking und Olympia 2016 in Rio zu qualifizieren. Alex Wilson glänzte vor einer Woche über 100m in 10,20, Rolf Fongué lief 10,50, Amaru Schenkel 10,53 und Pascal Mancini, im März in Prag bei der Hallen-EM Fünfter über 60m, ist noch gar keinen Einzel-100er gelaufen.
Zählt man die Einzelzeiten zusammen und rechnet man für Mancini hoch, kommt man bei den schnellsten vier in der Summe deutlich auf unter 42 Sekunden. Zum Vergleich: Im letzten EM-Sommer, als die Staffel in Zürich ihre 38,54 lief, betrug die Summe ihrer besten Einzelzeiten 41,31 Sekunden. Vor fünf Jahren, als es bei der EM in Barcelona mit 38,69 für Mancini, Beyene, Schenkel und Schneeberger schon einmal Staffel-Platz vier gab, lag die Summe ihrer Einzelzeiten gar bei 41,99!
Mit der Frauen-Staffel hat Laurent Meuwly trotz seiner Art – noch – Erfolg. Aber bei den Männern ist es höchste Zeit, mit einem neuen Coach unsere Schnellsten Wilson und Schenkel zurück ins schlingernde Staffel-Boot zu holen. Warum nicht mit Lucio di Tizio, vor zehn Jahren der eigentliche Vater der Schweizer Sprintstaffeln? Oder mit Adrian Rothenbühler, der jetzt schon Sprinter teilweise individuell betreut? Oder Marc Niederhäuser, vor zehn Jahren selbst Nationalstaffel-Mitglied mit Erfahrung als Trainer im Nachwuchsbereich? Auch Ex-Sprinter Stefan Burkart hätte Trainer-Erfahrung und die nötige Akzeptanz.
Swiss Athletics tut gut daran, eine schnelle Lösung zu finden – bevor Swiss Olympic oder Hauptsponsor UBS den Geldhahn wegen eines unter Meuwly gescheiterten Staffelprojekts weiter zudrehen.