Ein Tag Ende Juli im eidgenössischen Sport-Zentrum Tenero – dem «Magglingen des Tessins». 27 Mädchen und Burschen, der Grossteil mit Jahrgang 2001, alle in den gleichen weissen T-Shirts. Mittendrin eine Handvoll gestandener Männer, in Rot gekleidet, auf dem Rücken der Schriftzug «Suisse». Es ist der erste «UBS Kidscup Scouting Day» von Swiss Athletics. Die Besten des Kidscup von 2016 werden von Nationaltrainern unter die Lupe genommen, um zu sehen, welche der Talente speziell zu fördern wären.
Unter den Jugendlichen ragt einer heraus. Hochaufgeschossen, hager, seine Hautfarbe verrät die Herkunft aus Ostafrika, auf der Startnummer, die der Junge auf der Brust trägt steht «Nahom» – Nahom Yirga. Bei den Sprints ist er schnell, bei Übungen über die Hürden gewandt und beweglich. Am Ende des Tages gehört er zu denen, die von den «Chefs» als föderungswürdig beurteilt werden.
Während Nahom seine Geschichte erzählt, funkeln seine Augen vor Lebensfreude und Neugier. Der Junge spricht perfekt deutsch, versteht auch Dialekt. «2011 bin ich zusammen mit meiner Mutter in die Schweiz gekommen. Zu Fuss sind wir zusammen aus unserer Stadt in den Sudan geflüchtet und von dort mit einem Flug in die Schweiz gekommen», sagt er. Als politische Flüchtlinge aus einer Region im Nordosten Äthiopiens, die von politischen und Bürgerkriegs-Wirren besonders gebeutelt war. Nach Bassersdorf ZH.
«Ich wollte mich bewegen, andere Jugendliche kennenlernen, in meiner neuen Heimat akzeptiert werden», sagt Nahom. Zuerst habe ers mit Fussball versucht, doch seine Beine seien dafür zu dünn und verletzungsanfällig gewesen. «Ausserdem wollte ich eine Sportart ausüben, wo ich alleine zeigen kann, wie gut ich bin.» Auch sein zweiter Anlauf beim Tischtennis sei nicht das richtige gewesen. «Dann machten wir mit unserer Schulklasse einen Kidscup – Sprint, Weitsprung und Ballwurf. Ich bin gleich der Beste gewesen. Habe schon zwei Jahre später den Schweizer-Kidscup-Final im Letzigrund gewonnen. Seither ist Leichtathletik meine Sportart.»
Und auch Nahoms Lebensschule. Im Unterschied zu seiner Mutter hat er die deutsche Sprache blitzschnell gelernt. «Im Sport habe ich sofort Schweizer Kollegen und Freunde gefunden, ich musste mit ihnen deutsch reden. Meine Mutter hat sich in der Gegend Kolleginnen aus Äthiopien angeschlossen, Sie hat mit der Sprache drum heute noch Mühe.»
Obwohl sie bereits sechs Jahre in der Schweiz sind, durfte Nahom bis vor kurzem nicht sicher sein, ob er in seiner neuen Heimat bleiben darf. «Rückweisung», hing wie ein Damokles-Schwert über seiner Zukunft und der seiner Mutter. Vor wenigen Wochen kommt die Entwarnung. Und Nahom ist happy. «Ich will einmal als Sportler für die Schweiz international starten – im Hürdensprint.» Und mein Traum ist, einmal Lehrer zu werden. Auch die Weichen dafür hat Nahom mit seinen schulischen Leistung in der 3. Sekundarklasse in Bassersdorf selbst gestellt: «Eine 6 in Geschichte, im Sport und in Religion und Kultur. In Deutsch und Mathe habe ich eine 5. Damit will ich es ans Sport-Gymnasium schaffen.»
Heimweh nach Äthiopien? «Nein, sagt Nahom. Solche Gedanken blende ich aus meinem Kopf aus. Wenn ich allerdings äthiopische Musik höre, werde ich schon ein bisschen traurig.»