27 Siege in Serie über 100 Meter
Usain Bolt bittet zum letzten Tanz

Zum achten und letzten Mal greift Usain Bolt bei Weltmeisterschaften oder Olympia nach der 100-m-Krone. Nur einer konnte ihn schlagen – er sich einmal selbst.
Publiziert: 31.07.2017 um 21:27 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 02:35 Uhr
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Abschiedsshow in Monaco – inmitten der Cheerleaders fühlt sich Usain wohl.
Foto: AFP
Carl Schönenberger

Fangen wir mit dem Unikum an. Es ist der 28. August 2011. Das Stadion in Daegu ist proppenvoll. Auch die Südkoreaner wollen Jamaikas Sprintkönig in der Königs-Disziplin beim Zaubern sehen. Doch der Bolt-Zauber ist schon vor dem Startschuss zum 100-m-Final vorbei. Bolts Reaktionszeit ist sogar negativ: -0,104 Sekunden – Usain Bolt ist dem Pistolenknall zuvor gekommen, sozusagen aus dem Startblock gefallen. Aus und vorbei!

Schneckenzeiten für Bolt

Der Jamaika-Blitz lässt nicht einmal den Funktionären die Möglichkeit, den Frühstart als technischen Fehler an der Start-Anlage zu erklären, um ihm als Ausnahmesprinter eine zweite Chance zu geben. Er zieht schnurstracks sein Jamaika-Shirt aus, räumt unverrichteter Dinge das Feld – sieht zu wie sein Trainingskumpel Yohan Blake in 9,92 Weltmeister wird.

Das Missgeschick blieb ein Einzelfall. In London will Bolt am Freitag und Samstag im Olympia-Stadion «Queen Elizabeth II» mit seinem letzten Einzeltitel der über 10-jährigen Sprint-Regentschaft diesen Lapsus korrigieren.

Schafft das der am 21. August 31 Jahre alt werdende Superman ein letztes Mal? Seit Wochen bewegt diese Frage die Sportwelt. Es wird ein heisser Finaltanz, zu dem Usain im WM-Endlauf am Samstagabend um 22.45 Uhr Schweizer Zeit in London bittet.

Das Beste, was er in diesem Jahr bisher zu bieten hat, sind die 9,95 Sekunden vom 21. Juli in Monaco. Gerade Mal Platz 7 in der aktuellen Weltbestenliste. Bloss zweimal war er 2016 zuvor angetreten – 10,03 am 10. Juni bei seinem Abschied von Jamaika in Kingston und 10,06 zwei Wochen später in Ostrava. Schneckenzeiten für Bolt-Verhältnisse.

Bolt hat den Sieg im Kopf

Klar, dass die Gegner für London jetzt Blut riechen. Mit diesen Zeiten ist Usain zu schlagen, machen sich eine Handvoll anderer Sprinter Hoffnungen. Ebenso klar ist, dass Yohan Blake (Jam), Justin Gatlin (USA), Christian Coleman (USA) oder Andre de Grasse (Ka) deutlich schneller als 9,95 laufen können. Aber das kann in London auch Usain Bolt – eine 9,80er-Zeit hat auch er in den Beinen.

Im Unterschied zu den Gegnern hat Bolt aber vor allem den Sieg im Kopf. Das Wissen, dass es mit Ausnahme von 2011 in Daegu seit Olympia 2008 in Peking immer geklappt hat. Und trotz seiner bescheidenen 2017er-Zeiten: Usain ist in diesem Jahr ungeschlagen.

Dank seiner Extravaganz haben ihm sein Umfeld und die Meeting-Organisatoren in Kingston, Ostrava und Monaco nur Gegner «aufgetischt», die auch «ein mässiger Bolt» schlagen konnte. Ja kein Konkurrent sollte zusätzlichen «Rückenwind» kriegen, indem er vor der Londoner WM sagen kann: Ich habs schon einmal geschafft – für mich ist es möglich! Usain ist und bleibt in 27 Sprints in Serie über 100 Meter ungeschlagen.

Mit diesem mentalen Druck auf die Gegner muss der Jamaika-Blitz bei seinem heissen Tanz in London ein letztes Mal spielen. Im Wissen, dass er keinen Weltrekord mehr in den Beinen hat wie 2008 in Peking (9,69) oder 2009 in Berlin (9,58), vertraut er darauf, dass seine Präsenz an der Startlinie die Gegner lähmt. Dass Gatlin und Co. am kommenden Samstagabend nur gegen Bolt sprinten, anstatt um eine schnelle Zeit.

Wenn das eintritt, hat Usain Bolt auch den letzten grossen 100-Meter-Sprint seiner grossartigen Karriere bereits vor dem Pistolenschuss des Starters gewonnen.

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