Das war die aussergewöhnliche Karriere des Andy Hug
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Kickbox-Star stirbt 2000:Das war die aussergewöhnliche Karriere des Andy Hug

Vor 20 Jahren starb die Schweizer Kickbox-Legende
«So schob ich Andy Hugs Leiche ins Feuer»

Heute ist der 20. Todestag von Kickbox-Legende Andy Hug (†35)! Der grösste Schweizer Kampfsportler stirbt völlig unerwartet an Leukämie. Zu Lebzeiten verdrängt der Wahl-Japaner die Fussball-Nati aus dem Hauptprogramm von SRF. Eine Würdigung von Weggefährte Max Kern.
Publiziert: 24.08.2020 um 10:09 Uhr
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Aktualisiert: 24.08.2020 um 15:31 Uhr
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Vor 20 Jahren stirbt Kickbox-Legende Andy Hug (†35).
Foto: Sven Thomann
Max Kern (Text) und Sven Thomann (Fotos)

Gestern vor 20 Jahren. Auf dem Weg ins Ringier-Pressezen­trum schnappe ich mir aus dem Seitenfach der Beifahrertüre eine beliebige CD und schiebe sie in den Player rein. Es ist «Spiel mir das Lied vom Tod» von Ennio Morricone. Ich denke mir nichts weiter dabei.

Drei Stunden später. Ein Anruf von Rechtsanwalt René Ernst. Andy Hugs Berater sagt mit brüchiger Stimme: «Andy liegt im Sterben!» Eineinhalb Monate zuvor hat der Aargauer Kickboxer zum sechsten Mal in Folge das Zürcher Hallen­stadion gefüllt. Und sich von seinen Schweizer Fans verabschiedet. Jetzt diese Hiobsbotschaft.

Ich rufe zu Hause an. Und erfahre dabei von meiner Gattin, dass wenige Minuten zuvor ein mit Klebstreifen befestigtes Poster zu Boden gefallen ist. Es zeigte Hug mit seinem berühmten Andy-Kick, dem oft vernichtenden Schlag, den Hug mit dem rechten Fuss im Genick des Gegners landete.

«Ich warte auf meine Frau und meinen Doktor»

BLICK titelt am 24. August auf Seite 1: «Krebs! Andy Hug liegt im Sterben». Hugs letzte Worte, bevor er in einem Tokioter Spital ins Koma fällt: «Ich warte auf meine Frau und meinen Doktor.»

Um 18.20 Uhr japanischer Ortszeit steht das Herz des einst 96 kg schweren Karate-Weltmeisters für immer still. Wir sitzen zu dieser Zeit in Zürich-Kloten im Flieger. Kurz vor dem Abflug nach Tokio. Den Nachruf für die vierseitige Sonderbeilage, die BLICK am Tag darauf herausgibt, diktiere ich nach dem Start in der Businessclass (es gab keine billigeren Sitzplätze mehr) ins Bordtelefon.
Andy Hug – auch 20 Jahre nach seinem plötzlichen Ableben der wohl charismatischste und beliebteste Schweizer Einzelsportler (neben Federer).

Hohe Popularität in Japan

50 Millionen sitzen in Japan Ende des letzten Jahrtausends bei den K-1-Fight-Nights vor dem TV. Die 66' 000 Sitze im Tokyo Dome sind ausverkauft, wenn Hug in den Ring steigt. Zuerst als Karateka, später als Kickboxer. Als er 1996 den prestigeträchtigen K-1-Grand-Prix gewinnt, gibts nach drei Fights an einem (!) Nachmittag einen Siegercheck von 250'000 Dollar. Später, nach seinem Tod, klettert das Preisgeld auf 1 Million.

Japans Jugendliche wählen Hug zu Lebzeiten zum berühmtesten Nicht-Japaner. Der Metzger aus Wohlen AG ist auch der erste Ausländer aus Show und Sport, der bei Kaiser Akihito zum Dinner in den Palast geladen wird.

Kampf gegen Drogen

Seinen wichtigsten Fight gewinnt Andy aber daheim auf der Strasse. Es ist der Kampf gegen LSD, Heroin und hochprozentigen Alkohol. Hug gewinnt den Fight gegen die Drogen bereits in seiner Jugend. «Viele meiner Kollegen sind an der Zürcher Langstrasse abgestürzt und im Drogenmilieu gestorben.»

Hugs Vater ist Fremdenlegionär in französischen Diensten. Die Mutter arbeitet im Gastgewerbe, ist mit der Erziehung der Kinder überfordert. Andy wächst mit seinen Geschwistern Charly (†2010) und Fabienne bei Oma Fridi auf. In einem Bauernhaus mit Strohdach. Um der unbändigen Energie Herr zu werden, schickt Grosi Fridi ihren jüngsten Enkel neben dem Fussballtraining auch in den Karate-Unterricht. In der japanischen Sportart, damals in der Schweiz nur den wenigsten ein Begriff, startet Hug durch. Bereits mit 13 gewinnt er erste Turniere. Mit 15 ist er in der Nati.

Hug behauptet sich

1982 kommt er als 18-jähriger Metzger-Lehrling erstmals nach Japan. «Wir trugen Sennenchutteli», pflegte Hug belustigt zu erzählen, «die Japaner waren damals über die Weltgeschichte noch nicht aufgeklärt. Ohne Sennenchutteli hätte jeder gedacht, wir seien Amerikaner. Und die waren damals verhasst. Wegen der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki.»

Die Japaner erschrecken wegen der Energie von Karateka Hug. Sie wehren sich gegen den Fremden, der in «ihre» Sportart drängt. Beim nächsten Hug-Besuch stellen sie ihm in der ersten Runde einen 2,02 m grossen Russen in den Weg, nachher einen 2,04 m grossen Ami.

Hug vermöbelt beide. Verliert dann aber im Final. «Ich war so lädiert, dass ich auch nicht gewonnen hätte, wenn ich nicht betrogen worden wäre.»

Hug fliegt immer wieder nach Japan. Und verinnerlicht die Tugenden der alten Samurai. Bescheidenheit, Disziplin, Wille, Durchhaltevermögen.

«Ich bin einer von ihnen»

1987, mit 23, wird er in der Sumo-Halle von Tokio Vizeweltmeister im Karate. Und im August 1992 wird Hug als erster Nicht-Asiate Profi-Weltmeister im Vollkontakt-Karate.

Andy wird immer japanischer. «Ich bin einer von ihnen, sagen sie mir immer wieder.» Er hält ihnen mit seiner Art symbolisch immer wieder einen Spiegel vor die Augen: Er hat ihnen vorgelebt, wie sie gemäss ihren jahrhundertealten Traditionen immer noch leben müssten.

Von Nippons Presse wird er zum Samurai geschlagen. 1993 wechselt Hug zum neu geschaffenen K-1. Bereits im dritten Kampf erledigt er den jugoslawischen Ex-Weltmeister Branko Zikatic. Von 1995 an lebt Hug mindestens zehn Monate pro Jahr in Osaka. Bescheiden. Ein Bett, ein Kleiderschrank, ein Kühlschrank und ein kleiner TV-Apparat in einem nur vier auf vier Meter grossen Zimmer. Sonst nichts. Trainiert wird in einem feuchten Keller. Mit einfachsten Geräten.

Rote Flecken am Körper

Ab 1995 startet Hug auch in der Schweiz durch. 6 Mal in Folge füllt er (mit seinen Kickbox-Schülern wie Azem Maksutaj, Xhavit Bajrami oder Björn Bregy) das Hallenstadion. SRF überträgt am späten Samstagabend jeweils live. Auf dem Hauptsender. Die Schweizer Fussball-Nati unter Trainer Gilbert Gress muss auf den zweiten Kanal wechseln. Hug hat etwa im Juni 1998 über 540'000 Zuschauer, Sforza, Chappi & Co. im Test gegen Jugoslawien nur 340'000.

Am 3. Juni 2000 kämpft Hug zum letzten Mal in Zürich. Schon zwei Monate zuvor, als er in Osaka auftritt, klagt er über Müdigkeit. Die roten Flecken am ganzen Körper? Er glaubt an verdorbenen Fisch.

Zurück in Japan steht Hug in Sendai Anfang Juli nochmals im Ring. Er gewinnt durch K. o. nach 91 Sekunden. Den für Oktober im «Bellagio» in Las Vegas (USA) geplanten Fight sagt er vorsichtshalber ab. Er will nur noch einmal, im Dezember, beim K-1-GP in Tokio die Boxhandschuhe anziehen.

An Blutkrebs erkrankt

Alles kommt anders. Am 17. August erhält Hug in der Nippon Medical School die niederschmetternde Diagnose akute myeloische Leukämie. Blutkrebs! Damals fast unheilbar. Die Anzahl der weissen Blutkörperchen hat sich bei Hug verzehnfacht. Die Ärzte beginnen am 19. August mit einer Chemotherapie. Drei Tage später haucht Andy seiner Gattin Ilona ins Telefon: «Komm bitte nach Tokio!»

Nur fünf Tage danach sind wir im Azabusan-Zenpuku-ji-Tempel im Tokioter Stadtteil Gotanda Augenzeugen bei der ersten Trauerfeier. 12'000 Japaner warten draussen bei brütender Hitze auf den Leichenwagen. Der schwarze Cadillac fährt vor. «Andy, Andy!», rufen die Fans. In einem weissen Sarg liegt der Schwergewichts-Kickbox-Weltmeister. Er trägt seinen weissen Karate-Kimono. Darunter zwei Fotos, eines von seinem fünfjährigen Sohn Seya auf dem Herzen, eines seiner Gattin Ilona auf der rechten Brust.

«Fehlurteil des Schicksals»

Nach der Trauerfeier tragen Andys Kämpferkollegen den Sarg in den Leichenwagen. Hugs letzte Reise geht zum Krematorium. 20 engste Vertraute sind dabei. Auch wir.

Im Abdankungsraum verliest Verteidigungsattaché Hans R. Meier von der Botschaft in Tokio ein Kondolenzschreiben von Bundespräsident Adolf Ogi: «Andy Hug hat uns nicht nur mit seinem Einsatz im Sport, sondern auch mit seinem Werdegang, seinem Mut, seiner Tatkraft und seiner Ausstrahlung ein Beispiel gegeben, das wir alle in Erinnerung behalten werden. Ich drücke allen um Andy Hug trauernden Menschen mein tiefstes Beileid aus und wünsche Ihnen Kraft und Mut.»

Dann heissts endgültig Abschied nehmen. Der wieder geöffnete Sarg liegt vor dem noch geschlossenen Verbrennungsofen. Eine für Europäer ungewohnte Zeremonie beginnt. Leise wird eine Flasche Château l’Ancien entkorkt. Ilona Hug muss ein paar Tropfen des edlen Bordeaux-Saftes auf Andys Lippen tropfen lassen. Dann werden die übrigen Trauernden angehalten, den Rest der Flasche tropfenweise in den Sarg zu geben.

Ilona streicht ihrem Liebsten mit ihrem rechten Handrücken über die Wange. Es ist 15.51 Uhr Ortszeit. Die Klappe zum Ofen öffnet sich. Vier Krematoriumsangestellte verneigen sich vor der kleinen Trauergemeinde. Dann schieben wir den Sarg ins Feuer. Die Klappe geht zu.

Am 1. September nimmt auch die Schweiz Abschied von Andy Hug. 900 geladene Gäste trauern im Zürcher Grossmünster. SRF und Tele24 (heute TeleZüri) übertragen live. Hunderte schauen sich die Abdankung draussen vor der Kirche auf Grossbildschirmen an.

TV-Legende Beni Thurnheer steht auf der Kanzel. Er spricht zur Trauergemeinde: «Good bye, Andy, hatten wir bei deinem letzten Kampf im Juni in der Schweiz gesagt. Hey, Andy, das war nicht so gemeint.» Andys Tod sei «ein Fehlurteil des Schicksals gewesen. Doch Entscheide der obersten Instanz sind leider endgültig.»

Akute myeloische Leukämie

Bei der Diagnose der akuten myeloischen Leukämie (AML) zählt auch heute noch jeder Tag. Unbehandelt führt die AML innert weniger Wochen oder Monaten zum Tod. So wie bei Andy Hug. Als er die Diagnose erhielt, war es zu spät, innert einer Woche verstarb er.

Wird die Krankheit jedoch rechtzeitig behandelt, besteht aber durch intensive mehrere Chemotherapie-Zyklen Chance zur Heilung. Zwei Drittel aller geheilten Patienten sprechen bereits auf die erste Therapiephase an. Total erreichen heute 70 bis 80 Prozent eine vollständige Remission. Nebst der Chemotherapie kann heute auch eine Behandlung durch Stammzelltransplantation zum Erfolg führen. Aktuell laufen auch vielversprechende Forschungen über schonendere Immuntherapien.

Die Ursachen der bösartigen Erkrankung des blutbildenden Systems sind oft unbekannt. Die Exposition gegenüber Strahlung ist ein bekannter Risikofaktor oder eine langjährige chronische Belastung mit Benzol. Auch das Rauchen kann eine Rolle bei der Entstehung der AML spielen.

AML ist die häufigste Form der akuten Leukämie, kommt mit 3 bis 4 Neudiagnosen auf 100 000 Menschen aber selten vor. AML kann in allen Altersgruppen vorkommen, vorwiegend betroffen sind aber ältere Menschen. Über die Hälfte der Erkrankten sind bereits über 70 Jahre alt.

Bei der Diagnose der akuten myeloischen Leukämie (AML) zählt auch heute noch jeder Tag. Unbehandelt führt die AML innert weniger Wochen oder Monaten zum Tod. So wie bei Andy Hug. Als er die Diagnose erhielt, war es zu spät, innert einer Woche verstarb er.

Wird die Krankheit jedoch rechtzeitig behandelt, besteht aber durch intensive mehrere Chemotherapie-Zyklen Chance zur Heilung. Zwei Drittel aller geheilten Patienten sprechen bereits auf die erste Therapiephase an. Total erreichen heute 70 bis 80 Prozent eine vollständige Remission. Nebst der Chemotherapie kann heute auch eine Behandlung durch Stammzelltransplantation zum Erfolg führen. Aktuell laufen auch vielversprechende Forschungen über schonendere Immuntherapien.

Die Ursachen der bösartigen Erkrankung des blutbildenden Systems sind oft unbekannt. Die Exposition gegenüber Strahlung ist ein bekannter Risikofaktor oder eine langjährige chronische Belastung mit Benzol. Auch das Rauchen kann eine Rolle bei der Entstehung der AML spielen.

AML ist die häufigste Form der akuten Leukämie, kommt mit 3 bis 4 Neudiagnosen auf 100 000 Menschen aber selten vor. AML kann in allen Altersgruppen vorkommen, vorwiegend betroffen sind aber ältere Menschen. Über die Hälfte der Erkrankten sind bereits über 70 Jahre alt.

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