Von einem Tag auf den anderen hatte Elena Quirici keinen Gegner mehr. Zumindest nicht auf dem Tatami, dem Karate-Feld. Der Lockdown im März traf sie im Mark. Schluss mit Trainings, Schluss mit Wettkämpfen – nichts ging mehr. Corona raubte der Schweizer Weltklasse-Karateka aus dem Aargau jegliche Perspektive.
Als zehn Tage später die Olympischen Spiele von Tokio auf unbestimmte Zeit verschoben wurden, brach für Quirici endgültig eine Welt zusammen. «Ich war extrem traurig, der Frust war riesig. Neben dem Sport kam bei mir eine weitere Komponente dazu, denn ich hatte mir extra für meinen Olympia-Traum ein Jahr Pause von meinem Büro-Job genommen, um mich perfekt vorzubereiten. Und dann passierte sowas», erinnert sich Quirici.
Die dreifache Europameisterin war nicht nur bereits für Tokio 2020 qualifiziert. Nein, sie war auch eine der grössten Schweizer Medaillenhoffnungen. Das ist sie auch für die Olympischen Spiele 2021 noch. Aber: Quirici muss sich wegen Corona aufs Neue qualifizieren. Eine brutale Aufgabe. Ihre Kategorie unter 68 Kilo wurde mit jener über 68 Kilo zusammengelegt – gerade einmal zehn Frauen auf der Welt sind letztlich bei Olympia dabei.
«Ich betreibe einen riesigen Aufwand fürs Karate. Dennoch ist und bleibt es eine Randsportart», so Quirici. Genau deshalb musste sich die Powerfrau im März genau überlegen, ob sie ihren Olympia-Traum weiter verfolgen wollte. Wobei «wollen» das falsche Wort ist, liebt Quirici doch die japanische Kampfkunst. Aber würde sie den finanziellen Kraftakt weiter stemmen können? Immerhin hat Quirici zwei Trainer, die auf ihrer Lohnliste stehen – einer fürs Karate, einer für die Athletik. Dazu kommen die Aufwände für Reisen und Hotels.
«Klar habe ich Angst»
«In China gewann ich einmal einen Weltcup. Und erhielt dafür gerade einmal 750 Euro Preisgeld. Das ist im Karate völlig normal.» Fakt ist: Ohne die Unterstützung ihrer Eltern (Quirici wohnt bei ihnen), der Trainer, der Sporthilfe und der Spitzensport-RS hätte sie vielleicht aufgegeben. Aufgeben müssen. Dabei ist Karate in Tokio erst- und letztmals olympisch, in Paris 2024 verschwindet die Sportart wieder aus dem Programm.
Längst ist klar: Quirici leistet sich ein zweites Jahr ohne Job. Sie ist Karate-Profi, obwohl sie kaum Geld verdient. Einfach fiel ihr diese Entscheidung nicht. «Ich bin eher eine Person, die auf Sicherheit setzt. Ganz im Gegensatz zum Sport, wo ich riskieren muss, um zu gewinnen.»
Doch die WM-Bronze-Frau von 2012 sprang über ihren Schatten. «Klar habe ich auch Angst. Kolleginnen in meinem Alter können sich mehr leisten und sparen sogar noch. Aber mein Umfeld hat mir gut zugeredet und mich ermuntert, genau so weiterzumachen. Ich lebe meinen Traum also weiter.»
Man merkt im Gespräch mit ihr: Klagen will sie nicht. Vor allem nicht über Corona. «Was ich durchmache, ist etwas Kleines im Vergleich zu vielen anderen Menschen. Viele werden krank, viele sterben», sagt sie. Letztlich sei es für sie eine «Scheisszeit», viel mehr aber auch nicht. «Ich habe viel nachgedacht während den letzten Monaten, wurde ruhiger. Dennoch blieb ich stets optimistisch. Es kommen hoffentlich bald wieder bessere Zeiten.» Und hoffentlich schon bald Tokio 2021 – Quirici hätte sich die Olympia-Teilnahme mehr als nur verdient.