Im aargauischen Schinznach-Bad befindet sich, versteckt im Keller des Feuerwehrmagazins, Elena Quiricis Schmuckstück – ihr eigenes Karate-Dojo. Ein gutes Dutzend Kinder rennen barfuss auf den roten und blauen Bodenmatten im Kreis, manche von ihnen im typischen weissen Karate-Gwändli, das sie mit einem gelben oder weissen Gurt zugeschnürt haben. Ertönt ein schriller Pfiff, springen sie in die Höhe und rennen weiter. Den Takt gibt Elena Quirici (29) vor. Mehrfache Karate-Europameisterin, Olympiateilnehmerin und seit kurzem Vizeweltmeisterin.
Die Kids, die in Quiricis Dojo Lektionen nehmen, schauen zu ihrer Lehrerin auf und verfolgen ihre Karriere genau. «Sie sehen jeden Zeitungsartikel, der über mich erscheint», erzählt die Aargauerin nach der Lektion. Seit einem knappen Jahr unterrichtet Quirici hier in Schinznach-Bad Kinder und Jugendliche jeden Alters. Mit der eigenen Karateschule ist ein Traum in Erfüllung gegangen. Beim Unterrichten unterstützt wird sie von ihrem Partner Raúl Cuerva Mora. Quirici und Mora, das ist ein eingespieltes Team. Nicht nur beim Kinderkarate, sondern auch, wenn es ernst gilt.
Vom Freund zum Coach
Seit diesem Jahr ist Mora nicht nur Quiricis Lebens- und Geschäftspartner, sondern auch ihr Coach. Der ehemalige Weltklasse-Karateka hat dafür seine aktive Karriere an den Nagel gehängt. Ein Schritt, der ihm nicht ganz einfach fiel: «Wenn du plötzlich an Wettkämpfen bist und Leute Medaillen gewinnen, die du vor kurzem noch geschlagen hast, ist das schon hart.»
Auch die Befürchtung, die Beziehung könnte mit der neuen Rollenverteilung leiden, geisterte durch den Kopf des Spaniers. «Am Anfang war es schwierig, die Kritik im Training nicht persönlich zu nehmen.» Elena Quirici stimmt zu: «Wir mussten klare Grenzen ziehen zwischen unserer privaten Beziehung und unserer Beziehung als Athletin und Coach.»
Viele hätten an der speziellen Konstellation gezweifelt, erzählt die Aargauerin. Es wurde befürchtet, die emotionale Nähe zwischen Coach und Athletin sei ein Störfaktor. «Aber ich sehe das nicht so. Raúl kennt mich wahnsinnig gut. Er will meinen Stil nicht verändern, akzeptiert mich, wie ich bin.» Der Erfolg, den das Paar als Athletin-Coach-Gespann in diesem Jahr feiern durfte, gibt ihnen recht.
Emotionaler EM-Titel
Als die Schinznacherin im März zum ersten Mal nach vier Jahren wieder in einem EM-Final stand, «haben wir schon gefeiert, als hätte Elena Gold geholt», erzählt ihr Coach. Als Quirici im Final nach Stichentscheid der Kampfrichter Europameisterin wurde, gab es kein Halten mehr. «Du hast geweint!», erinnert sich die Kampfsportlerin lachend. «Nach dem Sieg direkt von deinem Partner in den Arm genommen zu werden, war extrem schön.» «Als Paar fühlte sich dieser Sieg irgendwie emotionaler, leidenschaftlicher an», ergänzt Mora.
Etwas anders war die Gefühlslage im Finale der Weltmeisterschaft Ende Oktober. Quirici schrammte knapp an Gold vorbei. Was bei ihrem Freund für einen roten Kopf sorgte. «Ich verliere nun mal nicht gerne! Elena kämpfte so gut und hätte den Sieg klar verdient. Da wurde ich wütend», erklärt ihr Raúl Cuerva Mora. «Typisch spanisches Blut halt», wirft Quirici augenzwinkernd ein.
Obschon die beiden stets versuchen, im Training ihre private Beziehung zu ignorieren, nimmt Mora ebendiese Heissblütigkeit auch mal ins Dojo mit. «Wenn wir daheim eine Auseinandersetzung haben, kann es durchaus passieren, dass Elena im Training zwanzig Liegestützen mehr machen muss als andere.» Für die dreifache Einzel-Europameisterin kein Problem: «Er ist mit mir manchmal schon sehr strikt, aber damit kann ich umgehen.» Die Kampfkunst bestimmt das Leben des Paars voll und ganz. Zu Hause kann es aber auch mal vorkommen, dass das Thema Karate tabu ist. «Wenn ich mich auf einen Wettkampf vorbereite, muss ich Raúl manchmal schon sagen: ‹So, Schluss jetzt.›»
Bitter: Karate ist nicht mehr olympisch
Nach dem turbulenten 2023 folgt für das erfolgreiche Paar nun ein etwas ruhigeres Jahr. Die Sommerspiele in Paris sind für Quirici kein Thema – denn Karate ist nicht mehr olympisch. Das ist bitter, denn die Aargauerin hätte sich mit ihren Topleistungen in diesem Jahr längstens qualifiziert. «Es ist schon traurig. Ich wäre physisch und mental stärker als je zuvor.» Doch für die Karateka bleibt die Teilnahme 2021 in Tokio ihre bislang erste und einzige.
«Es ist schade für den ganzen Sport, für all die Athleten, die so viel investieren. Doch wir können es nicht ändern», sagt Raúl Cuerva Mora dazu. Allzu viele Gedanken wollen die beiden darum nicht an diesen Entscheid verschwenden. Auf das Team warten andere Aufgaben. Etwa die Europameisterschaft im Mai in Spanien oder vier Weltcups. Und dann ist da ja noch die Karateschule, die kontinuierlich wächst. Langweilig wird es dem Karate-Paar auch 2024 nicht.