Mit Beschimpfungen und Beleidigungen kennt sich Fanny Clavien (33) aus. «Erst kürzlich war ich unterwegs, da kam ein Mann auf mich zu. Er deckte mich mit wüsten Worten ein. Sagte, ich sei doch keine Frau – denn so wie ich würde eine richtige Frau nicht aussehen.» Solche Zwischenfälle seien die Ausnahme, erklärt die Bodybuilderin aus Miège VS. Viel häufiger sind jedoch Shitstorms, die im Internet über sie einprasseln. «Dann, wenn Zeitungen wie der BLICK oder ‹20 Minuten› etwas über mich auf Facebook stellen.»
Clavien stellt sogleich fest: «Das ist keine Kritik an den Medien. Im Gegenteil.» Sie sei offen und froh, wenn über sie und ihren Sport berichtet wird. Nur so könnten Vorurteile und Barrieren überwunden werden. «Leider ist das Image des Bodybuildings in der Schweiz nicht besonders gut. Viele meinen: hässlich, Doping, kein Sport.» In den USA sei das ganz anders, so Clavien.
Mit ein Grund: Arnold Schwarzenegger. Bevor er zum Filmstar avancierte und Gouverneur Kaliforniens wurde, war er der beste Bodybuilder der Welt, wurde 1967 und 1969 zum Mister Universum gekürt. «Die Amerikaner setzten sich viel früher mit Bodybuilding auseinander. Bei uns war Schwarzenegger zuerst vor allem der Terminator.»
Das schlechte Image ihres Sports schreckt Clavien nicht ab. Im Gegenteil: Sie ist Feuer und Flamme dafür. «Klar, es geht um Muskeln. Aber auch um Harmonie, um Balance. Wenn du zu den Besten gehören willst, musst du täglich an dir arbeiten. Im Kraftraum, bei der Ernährung, in der Erholung. Für viele ist Bodybuilding nicht nur ein Sport, sondern eine Lebenseinstellung.» Im Gespräch spürt man sofort: Das gilt ebenso für sie.
Dreimal Karate-Europameisterin
Clavien machte 25 Jahre lang Karate, wurde dreimal Europameisterin. Und auch im Wakeboarden war sie die Beste Europas. Und seit drei Jahren Bodybuilding. Eine weitere Sportart dürfte demnächst nicht folgen. Clavien hat sich ihrem Sport verschrieben, wurde 2018 Miss Universe im IBFA-Verband. Sportlich läuft es also rund. Kritik gibt es vor allem auf anderen Ebenen. Viele meinen, sie sei nicht mehr weiblich genug. Clavien entgegnet: «Weiblichkeit ist für mich nicht etwas Physisches, sondern ein Zustand des Geistes. Man kann gross, klein, dick oder dünn sein – wenn man sich weiblich fühlt, ist man das. Es ist nicht die Gesellschaft, die das definiert, sondern nur die Person selbst. Ich fühle mich so weiblich wie nie zuvor.»
Fast Food gibts nicht mehr
Im Oktober stehen für Clavien die nächsten Wettkämpfe an. Längst hält sie sich an einen strikten Ernährungsplan. «Beim Karate konnte ich eine Woche vor dem Wettkampf krank sein oder Fast Food essen – ich gewann trotzdem. Beim Bodybuilding liegt so was nicht drin, sonst wäre ich chancenlos. Ich achte täglich auf meinen Körper.» Auf die Frage, wann sie das letzte Mal eine Pizza gegessen habe, meint Clavien schmunzelnd: «Ich weiss es nicht mehr. Das ist ein gutes Zeichen.»
Geld ist übrigens keine Motivation für Clavien. Zumindest nicht als Bodybuilderin. «Es ist sehr schwierig, in der Schweiz etwas zu verdienen.» Darum arbeitet sie unter anderem als Personal Trainerin und ist glücklich, ihr Wissen weiterzugeben. Bleibt die Frage: Wie geht sie mit Anfeindungen um? «Ich verschwende meine Energie nicht damit, lasse sie abprallen. Wenn meine Familie und Freunde aber mit Beleidigungen konfrontiert werden, tut es auch mir weh.»