Samstagnachmittag im Appenzellerland. Derby-Zeit in der 3. Liga. In Heiden trifft Vorderland II auf Goldach-Rorschach II. Es läuft die 22. Minute, das Heimteam führt schon 10:5. Wieder fahren die Appenzeller einen Angriff: Vorderland-Rückraumspieler Reto F.* (Name der Redaktion bekannt) ist am Ball, zieht Richtung Siebenmeterlinie. Dort tritt ihm Kreisläufer Michael Vogt mit erhobenen Händen entgegen. Es knallt. F. geht zu Boden. Sein Schlüsselbein ist gebrochen.
Bald zwei Jahre ist das nun her. Aber vergessen ist das Foul in der Handball-Provinz nicht. F. schlägt zurück: Zwei Tage später zeigt er Vogt an.
Seither ermittelt die Justiz. Als der Staatsanwalt nicht auf die Anzeige eintreten will, greift das Obergericht ein. Es muss abgeklärt werden, ob sich der 39-Jährige der fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht hat. Zeugen werden befragt. Rapporte werden geschrieben.
Aber was ist genau passiert? «Das Foul von Vogt war keine Unsportlichkeit. Ich habe ihm für übertriebene Härte Gelb gezeigt», sagt der Schiedsrichter des Spiels zu BLICK. «Er hat den Gegenspieler normal von vorne gefoult, wie es im Handball üblich ist. Es war vielleicht etwas unglücklich, dass seine Hände relativ weit oben waren.»
«Ich wollte ihn bestimmt nicht verletzen», sagt Vogt. «Aber ich bin fassungslos, dass ich für eine im Handball völlig normale Aktion nun bestraft werden soll.» Er fürchtet gar schwerere Konsequenzen für Hobbysportler. «Wenn ich für einen Sportunfall verurteilt werde, dann ist dies das Ende des Breitensports in der Schweiz, denn es könnte jeden treffen.»
Der Ref und Vogt stehen mit ihrer Meinung nicht alleine da. Wen man auf beiden Seiten auch fragt: Ein brutales Foul hat niemand gesehen. «Ein Allerweltsfoul», sagt Vogts Teamkollege Daniel Broser. «Es war ein emotionales Derby», sagt Hans-Ulrich Hohl, als Vorderland-Coach damals Trainer des Gefoulten. «Es war aber keine unfaire Partie.» Vogt sei ein harter Spieler, das sei in der Region bekannt. «Einer, den man lieber in der eigenen Mannschaft hat. Aber nicht bösartig.»
Bald steht eine Vergleichsverhandlung an. Über 3000 Franken will F. von Vogt haben, um die Sache beizulegen. Doch so weit soll es nicht kommen. «Ich ziehe es bis zum bitteren Ende durch», sagt Vogt. «Auf den Vergleich werde ich nicht eingehen. Das würde heissen, dass ich mich schuldig sehe. Wenn nötig, gehe ich durch alle Instanzen.»
Beim Handballverband ist die Haltung klar. «Es ist nicht in unserem Sinn, wenn normale Vorkommnisse auf dem Spielfeld und in den Spielregeln geregelte Verstösse ausserhalb unserer Verbandsjustiz geregelt werden», sagt Sprecher Marco Ellenberger. «Anders verhält es sich dann, wenn Spielregeln krass verletzt werden und schwere Verletzungen bewusst in Kauf genommen werden.»
Aber hat Vogt etwas zu befürchten? «Stark vereinfacht lässt sich sagen, dass ein Handballspieler seiner Sorgfaltspflicht dann nachkommt, wenn er sich bei einer Aktion an die Spielregeln hält oder nur leicht davon abweicht», sagt Sportrechtsexperte Rafael Brägger zu BLICK. Ein Dutzendfoul ist nicht strafbar. Ein Präzedenzfall wäre erst geschaffen, wenn das Bundesgericht eine Verurteilung von Vogt bestätigen würde.
F. ist zurzeit in den Ferien und für BLICK nicht erreichbar.
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Sport-Fälle für die Justiz
Bekannte Sport-Fälle für die Justiz: Miller, Chapuisat und Antisin wurden verurteilt, Wieser und ein Golfer in Kyburg blieben ungestraft.
Pierre-Albert Chapuisat/Lucien Favre (Fussball, 1985): Chapuisat wird wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung nach einem Tackling verurteilt.
Misko Antisin/Pjotr Malkow (Hockey, 1993): Der damalige Zug-Stürmer Antisin wird wegen eventualvorsätzlicher Körperverletzung durch Kniestich verurteilt.
Kevin Miller/Andrew McKim (Hockey, 2000): Miller wird für sein Foul wegen vorsätzlicher einfacher und fahrlässiger schwerer Körperverletzung verurteilt. In den USA muss er McKim 1,6 Mio. Dollar Schadenersatz zahlen.
Golfplatz Kyburg ZH (2010): Ein abgeschlagener Ball trifft einen anderen Golfer im Gesicht und verletzt diesen. Der Geschädigte will Schadenersatz, scheitert aber vor allen Instanzen.
Sandro Wieser/Gilles Yapi (Fussball, 2014): Die Staatsanwaltschaft erlässt gegen Aaraus Wieser wegen seines Fouls an FCZ-Yapi einen Strafbefehl wegen eventualvorsätzlicher einfacher und fahrlässiger schwerer Körperverletzung. Das Verfahren wird eingestellt, nachdem Yapi und der FCZ ihre Strafanträge zurückziehen.