Wenn die Handball-Nati in diesen Tagen in Göteborg unterwegs ist, dann geht Roman Sidorowicz fast etwas unter. Mit seinen für einen Handballer nur 1,87 Metern ist er keine physische Ausnahme-Erscheinung wie die beiden «Zwillings-Türme» Lenny Rubin (2,04 Meter) und Samuel Röthlisberger (1,98 Meter). Er ist auch nicht der umtriebige Netzwerker wie Nik Tominec, der gefühlt in jedem anderen Team einen Spieler oder Betreuer kennt und zum Smalltalk stehen bleibt. Und er ist auch kein Superstar wie Andy Schmid, der geduldig schwedischen Kids in der Hotel-Lobby ihre Foto-Wünsche erfüllt.
Und doch ist Sido – wie Sidorowicz seit seiner Junioren-Zeit alle nennen – am Samstag ein gefragter Mann. Sogar dem polnischen Fernsehen muss er vor dem zweiten Gruppenspiel am Sonntag Auskunft geben. Denn: Sein Vater ist gebürtiger Pole. Sido selbst ist ebenfalls Doppelbürger. Als Junior hat er sogar einige Länderspiele fürs Heimatland seines Vaters absolviert. «Der Kontakt ist dann irgendwann abgebrochen», sagt der Bundesliga-Profi, der seit letzter Saison beim ambitionierten Klub Melsungen spielt.
«Ich kann anstrengend sein»
Spätestens seit seinem ersten Länderspiel für die Schweiz im Januar 2014 stellt sich die Nationen-Frage sowieso nicht mehr. Und auch Papa Sidorowicz wird gegen sein Heimatland zu 100 Prozent hinter der Nati stehen. Wie viele andere Familien von Nationalspielern unterstützt er zusammen mit Sidos Freundin und einer der beiden Schwestern seinen Sohn in Göteborg.
Zeit für die Liebsten bleibt allerdings nur wenig. Die Nati-Handballer verbringen ihre EM-Tage nämlich vor allem mit Video-Studium, Trainings oder beim Physio. «Und sonst schauen wir eine Netflix-Serie oder schlafen.» Sido teilt sich das Zimmer mit seinem ehemaligen Pfadi-Kumpel Marvin Lier. «Ich hoffe, er kommt klar mit mir. Ich kann manchmal anstrengend sein», grinst Sidorowicz, der in Handball-Kreisen für seine Streiche auf Kosten der Teamkollegen bekannt ist.
Bekannt ist er auch für seine spektakuläre Sprungkraft, die bei der Start-Klatsche gegen Schweden leider zu selten zur Geltung kam. Ein Spiel, das Sido eigentlich abgehakt hat, aufgrund der Atmosphäre im Scandinavium aber in Erinnerung behält. «Wenn du weisst, dass du für dein Heimatland das erste EM-Spiel seit 14 Jahren bestreitest, ist das schon eine andere Kategorie als ein Bundesliga-Spiel», blickt er zurück.
Polen sieht sich als Aussenseiter
Heute, gegen die Heimat seines Papas, sehen viele Sido und Co in der Favoritenrolle. Er selbst sagt über die Polen: «Sie haben einen Umbruch hinter sich und sehen sich eher als Aussenseiter in dieser Gruppe. Aber es ist eine sehr talentierte Mannschaft mit Legionären wie Kreisläufer Kamil Syprzak von Paris Saint-Germain, die gefährlich werden kann.»
Um es in die Hauptrunde zu schaffen, ist für die Nati ein Sieg gegen den Vize-Weltmeister von 2007 Pflicht. Das weiss auch Sido. Auf die Frage, bis wann seine Familie in Göteborg bleibt, antwortet er mit seinem typischen Grinsen: «Sie haben mal Tickets bis am Mittwoch.» Einen Tag später beginnt in Malmö die Zwischenrunde. Und dafür liesse sich der Aufenthalt durchaus verlängern.