Zum 65. Geburtstag – Hitzfeld so privat wie noch nie
«Ich sass eine Nacht im Knast»

Heute wird Ottmar Hitzfeld 65 Jahre alt. Er erreicht damit das Pensionsalter. Die WM in Brasilien ist das letzte sportliche Ziel seiner grossartigen Karriere. In einem persönlichen Interview schaut Hitzfeld zurück auf sein bewegtes Leben. Er erzählt, weshalb er im Knast sass. Wo er fast ertrunken wäre. Wann er zwei Mal ausgeraubt wurde.
Publiziert: 12.01.2014 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 02:10 Uhr
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Meine Lieblingsbilder «Auf dem Bild links hält meine Frau unser Söhnchen. Das war 1979 nach der Geburt von Matthias, unvergesslich! Das Foto mit Zigarre steht für Erfolg. Ich rauchte nur nach Titeln!»
Foto: Philipp Schmidli
von Andreas Böni

Sonntagsblick: Herr Hitzfeld, viele Leute wissen nicht, dass Sie mal im Gefängnis sassen. Wie kam es dazu?
Ottmar Hitzfeld: Es war im Februar 1980. Ich spielte damals in Lugano. Mein Freund Fredy Gröbli hatte seinen Hochzeitstermin. Am Tag zuvor feierten wir seinen Polterabend. In Italien, nahe der Grenze, trafen wir uns. Feuchtfröhlich. Ja, wir waren wohl etwas angesäuselt. Nach dem Essen sahen wir, dass ein Laden noch geöffnet ist, der Besitzer aber seinen Schlüssel hat stecken lassen. Einer von uns ging hinein, um Zigaretten zu kaufen.

Was haben Sie gemacht?
Wir haben ihn mit dem Ladenbesitzer eingeschlossen und uns draussen köstlich amüsiert. Der Ladenbesitzer und unser Kumpel polterten gegen die Türen. Dann geriet der Ladenbesitzer in Panik. Er war zwei Tage vorher überfallen worden, die Diebe bedrohten ihn mit einer Pistole. Also rief er die Polizei. Die kam mit Blaulicht und Maschinenpistolen.

Da war fertig lustig.
Ja, klar. Wir mussten die Hände hochhalten. Die italienische Polizei nahm uns nicht ab, dass wir nur einen Scherz machten. Wir wurden in Handschellen abgeführt und kamen in eine Zelle. Die Zeit wurde dann knapp, da sich die Nacht dem Ende näherte und Gröbli um elf Uhr morgens in Zürich vor dem Standesamt sein musste. Seine Braut wusste zu jenem Zeitpunkt nicht, wo er war.

Was machten Sie?
Wir riefen den Lugano-Präsidenten an. Der setzte alle Hebel in Bewegung. Für uns war es unglaublich lustig, aber für den Bräutigam weniger. Zum Glück durften wir dann irgendwann gehen und Gröbli schaffte es knapp nach Zürich.

Hatten Sie in Ihrem Leben sonst Berührungspunkte mit der Polizei?
Zwei Mal. Weil ich überfallen wurde. Das erste Mal in Dortmund.

Wir hatten ein Haus und an jenem Abend ein Champions-League-Spiel. Als wir nach Hause kamen, war die Balkontür offen. Teppiche zusammengerollt, elektronische Geräte bereit zum Abtransport. Die Einbrecher waren vom Nachbarn gestört worden und verliessen fluchtartig das Grundstück. Aber es war ein Schock, dass alles verstreut rumlag. Dass fremde Leute in deiner Wohnung waren. Das Gefühl der Sicherheit, das du in den eigenen vier Wänden hast, ging verloren. Der psychische Schaden war enorm hoch. In München hatten wir dann eine Alarm-Anlage.

Und wurden aber wieder ausgeraubt.
Ja. Wir stellten sie nur am Tag an. Weil wir nicht für möglich hielten, ausgeraubt zu werden, während wir zu Hause sind.

Offenbar ein Trugschluss?
Ja. Meine Frau und ich schliefen im zweiten Stock, mein Sohn war in der dritten Etage. Als wir am Morgen aufstanden, war unten alles ausgeräumt. Fernseher, Radio, Computer, andere Wert­sachen, alles weg. Auch ein Mer­cedes wurde gestohlen.

Sie sind nicht erwacht?
Nein. Zum Glück nicht. Nach dem ersten Schock bat ich meine Frau, alles mit der Polizei zu regeln. Ich ging nochmals zwei Stunden schlafen. Materielle Dinge kann man ersetzen, Schlaf nicht. Ich brauchte als Bayern-Trainer die volle Power. Wie eine Niederlage muss man so etwas schnell abhaken.

Beatrix hat alles erledigt. Wie lernten Sie eigentlich Ihre Frau kennen?
In der Kirche. Immer wenn ich 1974 als Basel-Stürmer am Samstag spielte, ging ich sonntags in Lörrach zur Kirche. Beatrix sass mit ihren Eltern immer in der letzten Reihe. Ich dachte: «Ach, ist die hübsch und auch noch katholisch!» Damals wurde man erzogen, eine katholische Frau nach Hause zu bringen – meine Geschwister hielten sich allerdings nicht immer dran.

Sie kamen sich aber kaum in der Kirche näher.
Ich sah sie dann in einer Disco und erschrak. Sie hatte einen anderen Freund, meinen Nachbarn, er wohnte zwei Häuser weiter. Ich musste um sie kämpfen.

Was haben Sie gemacht?
Ich habe sie oft zum Essen und in die Disco eingeladen. Irgendwann entschied sie sich dann für mich. Wir zogen nach einem halben Jahr zusammen, lebten drei Monate in der gleichen Wohnung. Kurz darauf heirateten wir.

Der andere Mann wird nicht so gut auf Sie zu sprechen sein, oder?
Er wohnt immer noch in Lörrach, ich sehe ihn ab und zu. Dann grüssen wir uns. Aber klar, das ist etwas distanziert. So etwas vergisst man halt sein Leben lang nicht.

Lörrach war immer Ihre Heimat. Kaum waren Sie da weg, ging es Ihnen schlecht.
Das war schon mit sechs Jahren so. In den Sommerferien musste ich immer sechs Wochen ins Caritasheim, das ja sehr katholisch ist. Der Wunsch meiner Eltern war es, dass ich Pfarrer werde. Ich war so etwas wie ihre letzte Hoffnung als jüngster von vier Söhnen. Für mich war dieses Lager immer eine Qual. Ich hatte so was von Heimweh! Das sind grosse Seelenschmerzen, es waren schlimme Ferien für mich.

Mit zwölf Jahren schickten Sie Ihre Eltern dann ins Missionsgymnasium nach Mörschwil SG.
Erst dachte ich: Zu Hause habe ich zu wenige Freiheiten. Im Internat ist das dann besser. Dann kann ich machen, was ich will. Das war eine naive Fehleinschätzung. Es war die schlimmste Zeit meines Lebens, das Heimweh holte mich auch bald ein. Dann ging ich zum Direktor und schlug mit der Faust auf den Tisch. Das habe ich sonst nie in meinem Leben gemacht.

Was sagten Sie ihm?
Ich drohte ihm, dass ich ausreisse und per Autostopp nach Lörrach fahre. Ich erreichte, dass meine Eltern kamen. Der Kompromiss war, dass ich bis Semesterende noch vier Wochen bleibe und dann nach Hause darf.

Ihr Brief an die Eltern ist symptomatisch für Sie. Sie schreiben von Ihrem Heimweh und weiter: «Ich lasse mir nichts anmerken.»
Ich konnte gut schauspielern. Es hat sicher auch mit der Erziehung zu tun, dass ich meine Gefühle für mich behalte. Es ist einfach so: Das Heimweh plagt mich mein Leben lang. Selbst, als ich mit 42 Jahren Trainer von Borussia Dortmund wurde, hatte ich Mühe, dort zu leben. Besonders, als ich vier Wochen auf meine Frau und unseren Sohn warten und im Hotel leben musste.

Auch Ihr Vater prägte Sie stark. Als Kind bekamen Sie von ihm fünf Mark pro Tor.
Das stimmt. Einmal aber trat ich als Junior zum Penalty an. Mein Vater holte schon das Geld aus der Tasche. Der Goalie hielt meinen Elfmeter – mein Vater drückte ihm das Geld in die Hand ... (lacht) Das war eine harte Lehre, aber Motivation, ihn das nächste Mal reinzumachen.

Stimmt es, dass er Ihre Auf­stellung kritisierte, als Sie Dortmund-Trainer waren?
Ja. Mein Vater war ein Fussball-Verrückter. Er fragte mich am Telefon vor den Spielen, wie ich aufstelle. 1993 holten wir Kalle Riedle für viel Geld, er traf aber nicht auf Anhieb wunschgemäss. Ich stellte ihn immer auf, glaubte an ihn. Wenn ich ihm das sagte, teilte er mir mit, dass das mit diesem Riedle gar nicht gut kommen könne. Auf Riedle hackte er immer rum.

Ihre Eltern erzogen Sie streng.
Ja, wenn man etwas ausgefressen hatte, gabs bei uns noch Schläge mit der Rute. Dann wurde einem der Hintern versohlt. Ich hatte fürchterliche Angst, wenn ich etwas angestellt hatte.

Ein Beispiel?
Einmal rannte ich einen Berg hinunter, fiel hin. Mein neuer Pulli hatte ein Loch. Ich ging zu meiner Tante, bat sie, ihn zu flicken, bevor ich zu meiner Mutter ging. Ich begründete: «Der Zug fuhr mit so grosser Geschwindigkeit an mir vorbei, dass er ein Loch in meinen Pulli riss!» Sie glaubte mir zwar nicht, aber flickte ihn.

Ein anderes Mal spielten Sie einen Behinderten an der Grenze.
Ich wollte mein Taschengeld aufbessern. Mir imponierte, wie Kriegsopfer Geld sammelten. Also setzte ich mich auf einen Leiter­wagen, verdeckte mein Bein. So sah es aus, als ob es mir fehlt. Ich verkaufte Wiesensträusse für 20 Pfennig. Nachdem ich fünf verkauft hatte, entdeckte mich eine Nach­barin und brachte mich nach Hause. Das gab ein riesiges Donnerwetter zu Hause ...

Lassen Sie uns über Episoden als Trainer reden. Beim SC Zug stand in Ihrem Vertrag: «Herr Ottmar Hitzfeld wird ein besonderes Augenmerk auf die Junioren­abteilung des SC Zug haben, insbesondere auf den Sohn des Präsidenten.»
Ja. Aber der Sohn war kein begnadeter Fussballer. Und ich stellte so auf, dass wir gewinnen. Also spielte der Sohn nicht. Der Präsident war sauer, würgte mich ja nach einer Niederlage mal in der Kabine. Heute kann ich darüber schmunzeln.

Als GC-Trainer flogen Sie in die Elfenbeinküste zum Trainings­lager. Sie wären dort fast ertrunken, steht in Ihrer Autobiografie.
Ich kam in einen Strudel im Meer und wurde nach unten gezogen. Ich bin nicht der beste Schwimmer, hatte Todesangst, behielt aber zum Glück die Nerven. Ich versuchte, nach unten zu tauchen, aus dem Strudel heraus. Ich machte instinktiv das Richtige unter Wasser.

Als BVB-Coach schickten Sie einer Magersüchtigen ein Tonband.
Ja, es war der Hilferuf eines Vaters. Er schickte mir einen Brief. Petra war nur noch 28 Kilo schwer und ein BVB-Fan. Ich sprach ihr auf dem Band einfach Mut zu, hatte ja keine Ahnung, wie man da reagiert. Es ging ihr dann immer besser, wir haben heute noch Kontakt. Gerade schickte sie mir eine Weihnachtskarte. Sie hat eine Familie und Kinder. Das ist schön.

Bei Dortmund hatten Sie einen Darmdurchbruch.
Ich hatte einen Hexenschuss und sollte mit Dortmund ins Trainingslager fliegen. Ich bekam eine Überdosis Kortison, der Darm entzündete sich. Eine Darmausstülpung platzte dann. Ich schwebte in Lebensgefahr, man musste meinen Bauch aufschneiden. Ich war lange in kritischem Zustand, auf der Intensivstation. Aber ich war immer optimistisch, dass alles gut kommt.

Dann kam das Burnout bei Bayern als weiterer Rückschlag.
Ja, ich dachte nur noch an Fussball. Konnte keinen Film mehr schauen, ohne abgelenkt zu sein. Bekam Rückenschmerzen und Schlafprobleme. Es ist grausam, wenn du plötzlich keine Kraft mehr hast. Im Training durfte die Mannschaft ja nicht spüren, dass ich angeschlagen bin. Dann wurde ich entlassen – und war froh. Damals, 2004, hatte ich als Trainer abgeschlossen. Ich wollte nie mehr Trainer sein. Ich zog mich eineinhalb Jahre nach Engelberg zurück. Erst dann war ich wieder bereit zu arbeiten. Und seither habe ich auch das Handy lautlos gestellt. Früher dachte ich immer: Jede Nachricht ist wichtig. Ich muss Tag und Nacht erreichbar sein. Das war der grösste Fehler.

Im Sommer nach der WM endet Ihre Karriere. Sie werden weiterhin für die Medien-Unternehmen Sky und Ringier arbeiten. Die wenigsten wissen, dass Sie mal eine Druckerei besassen.
Das war eine Jugendsünde. Wir gaben «Tip» heraus, ein Anzeigenblättchen mit kleinen Boulevard-Texten. Mit 25 dachte ich, ich könnte mir ein zweites Standbein schaffen. Aber mein Freund war nicht so loyal und hat nicht gut gewirtschaftet. Es kostete mich am Schluss fast 100 000 Franken. Ich verkaufte die Druckerei wieder. Es war für mich eine gute Lehre, nur das zu machen, was ich selber unter Kontrolle habe.

Wie feiern Sie Ihren Geburtstag?
Mit der Familie. Ich fühle mich aber noch nicht wie 65. Mir geht es gut, ich habe keine Gebrechen. Das ist ein Geschenk, gerade weil ich in meinem Leben auch viel gelitten habe. Und mein grösstes Geschenk ist, dass ich meine Laufbahn mit der Schweiz an der WM im Land des fünffachen Weltmeisters Brasilien beenden darf.

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