Wer auf die Homepage des FC Birsfelden geht, sieht auf einen Blick und Klick das Problem des gesamten Schweizer Amateur- und Breitenfussballs. Unter der Rubrik News erscheinen dort die Meldungen «Wartelisten» und «Trainer/Assistenten gesucht». Der Baselbieter Fussballklub ist mit seinen Problemen kein Einzelfall, sondern Sinnbild für den Zustand des hiesigen Nicht-Profi-Fussballs im Jahr 2023.
Eigentlich boomt er, der Schweizer Fussball. Gegen 320’000 Spielerinnen und Spieler gibt es heute, so viele wie noch nie. Und genau das ist das Problem. Es gibt zwar viele Fussballerinnen und Fussballer, aber zu wenig Spielfelder, Garderoben, Trainer, Ehrenamtliche und Schiedsrichter.
Wie prekär es tatsächlich um den Amateur- und Breitenfussball steht, hat eine Vereinsstudie von 2018 eindrücklich aufgezeigt. 13 Prozent der Grossvereine (über 300 Mitglieder) gaben an, dass sie bei Kindern und Jugendlichen einen Aufnahmestopp verhängt haben. Und 40 Prozent der Befragten erklärten, dass ihre Infrastruktur zu klein sei. Diese Werte dürften sich seitdem noch verschlechtert haben.
Auch Raphael Kern kennt diese Zahlen bestens. Er ist beim Schweizerischen Fussballverband (SFV) Leiter Breitenfussball. «Wir sind ein Opfer unseres eigenen Erfolgs», erklärt er, «wir haben vor allem bei den Kindern einen Riesenzulauf, darunter sehr viele Mädchen. Das freut uns natürlich sehr, sorgt aber für neue Herausforderungen.»
Blick hat mit vielen Klub- und Verbandsvertretern gesprochen. Jeder hat zwar seine individuellen Problemen, trotzdem stehen Vereine wie der FC Birsfelden mit seinen Herausforderungen stellvertretend für hundert andere. In unserem grossen Report zeigen wir, welches die Probleme sind und wie sie behoben werden könnten. Das Problem dabei: Einfache Lösungen sind nicht in Sicht.
Problem 1: Zu wenige Trainer!
«Es ist immer schwieriger, qualifizierte Trainer zu finden», sagt Birsfelden-
Präsident Dominik Hürner und erklärt auch gleich, woran das liegen könnte: «Heute braucht ein Trainer eine viel höhere Sozial- und Fachkompetenz als früher. Er muss deshalb mehr Zeit aufwenden und erhält dafür bloss eine kleine Aufwandsentschädigung.» Hat ein Klub zu wenige Trainer, hat das weitreichende Folgen: Es können keine neuen Kinder mehr aufgenommen werden.
Um neue Trainer zu gewinnen, gibt es verschiedene Ansätze. Im Kanton Zürich wurde zum Beispiel das Projekt «18plus coach» ins Leben gerufen. Es richtet sich an Menschen, die nicht den aufwendigeren «Jugend+Sport»-
Trainerkurs absolvieren wollen. «‹18plus Coach› ist ein niederschwelliges Angebot», erklärt SFV-Breitenfussball-Leiter Kern, «ein Teil des Kurses kann online gemacht werden. Dieses Angebot kommt sehr gut an.»
Was ebenfalls das Trainer-Manko ausbügeln kann, sind sogenannte Pool Trainings. Die machen vor allem bei den E- und F-Junioren Sinn. Dort trainieren die verschiedenen Teams eines Jahrgangs des Klubs zusammen und nicht mehr einzeln. Dafür braucht es weniger Trainer, und als angenehmer Nebeneffekt wird gleichzeitig auch noch der Fussballplatz weniger beansprucht.
Problem 2: Zu wenige Fussballplätze!
«Ohne Kunstrasen könnten viele Klubs den ganzen Betrieb gar nicht mehr aufrechterhalten», sagt SFV-Kern. Vor allem städtische Klubs platzen aus allen Nähten. Trotz Kunstrasens. So zum Beispiel der FC Unterstrass, ein Stadtzürcher Quartierverein. Der Fussballplatz Steinkluppe liegt mitten im Wohnquartier, freie Flächen für einen neuen zweiten Platz hat es daher nicht. Verständlich, dass auch Unterstrass pro Jahrgang nur noch eine sehr begrenzte Anzahl Kinder aufnehmen kann.
Oder das Beispiel FC Wiedikon, ebenfalls ein Zürcher Quartierklub. Der Verein hat heute fast doppelt so viele Spielerinnen und Spieler wie noch vor zehn Jahren. Auch, weil mittlerweile schon jedes vierte Mitglied weiblich ist. Auch Wiedikon steht sinnbildlich für viele Probleme im Breitenfussball. Der Klub hat zwar nebst dem Hauptplatz (Kunstrasen Heuried) noch zwei Nebenplätze (Naturrasen Küngenmatt und Naturrasen Schulhaus Döltschi).
Doch weil die Anlage wie so viele in der Schweiz nicht dem Klub, sondern der Gemeinde gehören, sind die Vereine in vielen Fällen machtlos und dem ausgeliefert, was entschieden wird. Hat es zu stark geregnet, kann die Stadt entscheiden, den Platz zu sperren, und dann taucht dort das auf, was für viele Hobbyfussballer das Schreckensgespenst ist: «Rasen betreten verboten».
Gleichzeitig brauchen nicht nur die Fussballvereine immer mehr Platz. Wiedikon-Präsident Roger Ansorg: «Auf der Küngenmatt stehen mittlerweile zwei Schulcontainer, und es hat kein Licht mehr. Deshalb können hier nur noch die F-Junioren spielen. Und auch auf dem Platz beim Döltschi gibts mittlerweile einen Schulcontainer. Wir müssen deshalb Jahr für Jahr 100 Kinder ablehnen, und in der neuen Saison können wir nicht einmal mehr all unsere Heimspiele zu Hause austragen.»
Eine schnelle, günstige Lösung, sie ist nicht in Sicht. In der Stadt Zürich gibt es zwar einige Projekte für mehr Fussballplätze, doch die Mühlen der Politik mahlen bekanntlich langsam. Bis diese Projekte realisierbar sind, Einsprachen abgeschmettert sind und das Stimmvolk Ja gesagt hat, dauert es Jahre, wenn nicht gar ein Jahrzehnt. Allein in der Stadt Zürich bräuchte es rund 20 neue Plätze, um den Ansturm bewältigen zu können. Ansorg sagt: «Wir brauchen dringend mehr Platz und zwar jetzt. In der Stadt wird immer verdichteter gebaut, gleichzeitig werden Freizeitangebote wie eben der Fussball nicht ausgebaut. Man fragt sich manchmal, ob der Fussball gar nicht mehr in die Stadt gehören soll.»
Raphael Kern vom SFV ist aber nicht ganz so pessimistisch. «Es findet zurzeit ein Umdenken statt.» Auch für dieses Problem hat der SFV vor zwei Jahren das Projekt «Quality Club» gestartet, ein Vereinsförderungsprogramm. Kern erklärt: «Wir coachen die Klubs und machen sie individuell fit für die Zukunft, denn jeder Verein hat eigene Herausforderungen.» Zum Thema der fehlenden Fussballplätze sagt er: «Wir sind überzeugt, dass es für viele Klubs eine Lösung gibt. Wir zeigen ihnen deshalb auf, wie man seine Infrastruktur verbessern kann, wie man erfolgreich ein gutes Projekt lanciert und überzeugende Lobby-Arbeit macht.»
Problem 3: Zu wenige Schiedsrichter!
In der Theorie sollte es eigentlich genügend Schiedsrichter geben, denn jeder Klub muss pro eigenem Aktivteam einen Spielleiter stellen. Mit anderen Worten: Gibt es mehr Teams, müsste es automatisch auch mehr Schiris geben. In der Praxis aber sieht es anders aus.
«Jeder Regionalverband in der Schweiz hat zu wenige Schiedsrichter», sagt zum Beispiel Marcel Stofer, Präsident Schiedsrichterkommission des Ostschweizer Fussballverbands (OFV). «Während Corona hatten wir viele Rücktritte. Viele haben in der Zeit gemerkt, dass es auch ein Leben ohne Pfeifen gibt. Die Nachwehen davon spüren wir bis heute.»
Ein zweiter Grund in der Ostschweiz: Viele neue Schiedsrichter hören relativ schnell wieder auf. Die Ursachen dafür? «Ich sehe zwei. Erstens gibt es doch einige, die relativ schnell merken, dass sie sich das Hobby anders vorgestellt haben. Und zweitens gibt es viele, die zwar motiviert sind, denen aber wegen den verbalen Angriffen von Zuschauern und Spielern die Lust daran vergeht. Die sagen sich verständlicherweise, ich muss mich nicht jedes Wochenende beschimpfen lassen. Das ist schade, da wir dadurch fähige Leute verlieren.»
Die Amateurklubs werden immer grösser! Noch vor 30 Jahren hatte ein durchschnittlicher Schweizer Verein 137 Mitglieder, heute sind es schon 235. Raphael Kern vom SFV sagt deshalb: «Viele Klubs sind heutzutage KMU und brauchen dementsprechend professionelle Strukturen.»
Die Realität sieht aber vielfach noch anders aus: Vereine, die ehrenamtlich nebenbei geführt werden. «Damit die Ehrenamtlichen zufrieden sind und nicht davonlaufen, brauchen die grösseren Klubs eine Geschäftsleitung, die aus Profis besteht.»
Wie das aussehen kann, zeigt das Beispiel FC Stäfa. Die spielen zwar «nur» in der 3. Liga und streben auch nicht nach Höherem als der 2. Liga, haben aber eine professionelle Geschäftsführung (150 Stellenprozent). Marco Keck ist operativer Geschäftsführer in einem 40-Prozent-Pensum. «Wir haben dieses Modell als eines der ersten Teams vor etwa sieben Jahren eingeführt und möchten mittlerweile nicht mehr zurück», erklärt er.
Der FC Stäfa sei in der Tat mit einem KMU zu vergleichen. Der Klub hat 700 Aktivmitglieder, rund 120 Trainer, 37 Mannschaften und erwirtschaftet gegen eine Million Jahresumsatz. Dies nur mit Ehrenamtlichen zu managen, sei nicht mehr zeitgemäss.
Viele Klubs sehen das mittlerweile ähnlich. Keck: «Wir unterstützen deshalb andere, die auch diesen Weg gehen wollen, mit unserem Wissen.»
Die Amateurklubs werden immer grösser! Noch vor 30 Jahren hatte ein durchschnittlicher Schweizer Verein 137 Mitglieder, heute sind es schon 235. Raphael Kern vom SFV sagt deshalb: «Viele Klubs sind heutzutage KMU und brauchen dementsprechend professionelle Strukturen.»
Die Realität sieht aber vielfach noch anders aus: Vereine, die ehrenamtlich nebenbei geführt werden. «Damit die Ehrenamtlichen zufrieden sind und nicht davonlaufen, brauchen die grösseren Klubs eine Geschäftsleitung, die aus Profis besteht.»
Wie das aussehen kann, zeigt das Beispiel FC Stäfa. Die spielen zwar «nur» in der 3. Liga und streben auch nicht nach Höherem als der 2. Liga, haben aber eine professionelle Geschäftsführung (150 Stellenprozent). Marco Keck ist operativer Geschäftsführer in einem 40-Prozent-Pensum. «Wir haben dieses Modell als eines der ersten Teams vor etwa sieben Jahren eingeführt und möchten mittlerweile nicht mehr zurück», erklärt er.
Der FC Stäfa sei in der Tat mit einem KMU zu vergleichen. Der Klub hat 700 Aktivmitglieder, rund 120 Trainer, 37 Mannschaften und erwirtschaftet gegen eine Million Jahresumsatz. Dies nur mit Ehrenamtlichen zu managen, sei nicht mehr zeitgemäss.
Viele Klubs sehen das mittlerweile ähnlich. Keck: «Wir unterstützen deshalb andere, die auch diesen Weg gehen wollen, mit unserem Wissen.»
Besonders dramatisch ist die Situation im Fussballverband Region Zürich (FVRZ). Dort ist Andreas Baumann Leiter Schiedsrichter. «Wir haben rund 700 Schiedsrichter, davon sind meist etwa 80 nicht einsetzbar, weil sie beruflich abwesend, verletzt oder in den Ferien sind.» In der vergangenen Saison wurde wegen des Mangels deshalb vorsorglich eine Vollrunde der 2. und 3. Liga unter die Woche verschoben, um das Wochenende zu entlasten.
Den Spielbetrieb aufrechtzuerhalten, ist auch so noch eine Mammutaufgabe. Im FVRZ gibt es deshalb eine Person, die nur für die Schiedsrichter-Besetzung zuständig ist. Beim Regionalverband überlegt man sich deshalb, die Zügel anzuziehen. Wenn ein Klub bislang zu wenige Schiedsrichter gestellt hat, kam er mit einer Busse davon. Baumann: «Wir haben den Klubs schon mal vorsorglich mitgeteilt, dass wir in Zukunft auch Mannschaften aus dem Spielbetrieb streichen könnten, wenn manche Vereine deutlich zu wenige Schiedsrichter stellen.»
Wie unverfroren einzelne Klubs sind, zeigt ein Beispiel aus dem Zürcher Oberland. Ein Klub lässt dort 20 Mannschaften im Ligabetrieb teilnehmen, stellt aber nur einen Schiedsrichter zur Verfügung. Die Bussen von bis zu 6000 Franken im Halbjahr haben sie bislang einfach bezahlt. Gut möglich, dass diesem Klub in den nächsten Jahren härtere Sanktionen drohen.
Problem 4: Zu wenige Garderoben!
Rückblende. Früher duschte der Trainer noch gemeinsam mit den Kindern. Heute zum Glück undenkbar. Jeder benötigt seine eigene Garderobe. Auch die vielen Mädchen und Frauen. Raphael Kern vom SFV: «Heute braucht es bei manchen Klubs im Vergleich zu früher zusätzlich eine Garderobe und Dusche für die Trainer, die Trainerinnen, die Spielerinnen, die Schiedsrichter und die Schiedsrichterinnen. Das an einem Wochenende mit vielen Spielen zu koordinieren, ist wie Tetris spielen.»
Wie gross das Problem und die Suche nach Lösungen ist, zeigt das Beispiel FC Trimbach exemplarisch. Der solothurnische Klub hat 13 Teams, aber nur vier Garderoben mit einem gemeinsamen Duschraum. Der Fall ist klar: Der Verein braucht neue, grössere Garderoben.
So weit, so gut. In der Umsetzung aber hapert es gewaltig. Co-Präsident Martin Schmalz erklärt: «Die Infrastruktur gehört der Gemeinde, der es finanziell nicht gut geht. Vor ein paar Jahren gab es ein Projekt für eine neue Fussballanlage. An der Gemeindeversammlung wurde dieses behandelt, gleichzeitig ging es aber an jenem Tag auch darum, den Kindergarten, in den es wegen eines undichten Dachs reinregnete, zu sanieren. Klar, dass die beschränkten Mittel, die der Gemeinde zur Verfügung standen, für den Kindergarten gesprochen wurden.»
Das Projekt neuer Fussballplatz ist danach versandet, und der FC Trimbach wartet noch immer auf eine Lösung.
25 Kilometer weiter westlich tönt es beim FC Klus Balsthal ähnlich. Präsident Luigi Furcillo: «Auch wir haben zu wenige Garderoben und können nicht mehr allzu lange warten.» Er betont zwar, dass die Zusammenarbeit mit der Gemeinde gut sei, stört sich aber daran, dass nicht alle Verständnis für die Bedürfnisse des FC haben. «Wir machen das nicht für uns. In unserer Gemeinde gibt es einen grossen Ausländeranteil. Der Sport verbindet und integriert.»
Zurzeit wird in Balsthal eine Arbeitsgruppe gegründet. Das Ziel: in drei bis fünf Jahren das Problem gelöst zu haben. Bis dahin müssen gewisse Fussballer in den umliegenden Schulhäusern duschen und manche halt auch zu Hause.
Was nun?
Das Beispiel Balsthal zeigt: Es sind kreative und unorthodoxe Ideen gefragt, um mit den Folgen des Booms gut leben zu können. Eine solche Idee ist auch das Projekt «Finde dein Team» vom Fussballverband Nordwestschweiz (FVNWS). Verantwortlich dafür ist Alain Burger. «Wir hatten eine Umfrage bei allen Vereinen gemacht. Die Anzahl freier Plätze war erstaunlicherweise höher als die Anzahl Kinder auf den Wartelisten. Deshalb sind wir 2021 mit unserem Projekt gestartet. Auf der Homepage kann man eingeben, wo man wohnt und wie alt das Kind ist, das noch einen Klub sucht. Dann erhält man eine Liste mit allen Vereinen aus der Umgebung, die noch Platz haben.»
Das Projekt wurde vom Markt gut angenommen, sagt Burger. Er erhalte positive Rückmeldungen. Einen Nachteil hat das Ganze: Bislang war es im Fussball – im Gegensatz zu vielen anderen Sportarten – völlig logisch, dass man sein Kind in den FC seines Wohnorts schickt. Burger fände das zwar auch ideal, aber: «Meine Tochter spielt Volleyball. Es ist für sie kein Problem, dass sie dies nicht in unserem Dorf machen kann. Vielleicht müssen wir das in Zukunft im Fussball auch akzeptieren.»
Fussballspielen im Nachbarsdorf – keine schöne Perspektive. Aber leider eine, die schon bald wahr werden könnte.