«Wenn nötig, fliege ich zu Shaq nach England»
So will Sulser die Nati an die WM bringen

Claudio Sulser (60) ist der neue Nati-Delegierte. Der ehemalige Torschützenkönig des Meistercups (heute Champions League) über Xhaka, Shaqiri, Blatters Abgang – und weshalb er als Spieler Inter Mailand einen Korb geben konnte.
Publiziert: 04.09.2016 um 09:23 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 23:19 Uhr
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Freut sich auf die neue Aufgabe: Claudio Sulser.
Foto: EQ Images
Max Kern

Claudio Sulser, wie haben Sie Ihre erste Woche als Delegierter der Nationalmannschaft erlebt?
Diese erste Woche war ein positiver Einstieg. Ich erlebte eine sehr gute Stimmung. Von der menschlichen Seite sah ich sowohl beim Staff als auch bei der Mannschaft eine sehr hohe Qualität, die fussballerischen Fähigkeiten waren ja nie in Frage gestellt. Die Spieler sind total fokussiert und konzentriert auf das Ziel, das sie erreichen wollen.

Granit Xhaka schrieb in einem Offenen Brief über einen möglichen Wechsel zum Kosovo – wie erlebten Sie den Fall?
Für mich ist dies kein Problem. Wir haben als Fussballverband ein Statement dazu rausgegeben. Danach war für mich das Ganze ad acta gelegt. Es war für mich nie eine Frage der Einstellung des Spielers. Eine Aussage war nicht im Sinne des Spielers. Dass er weiter für die Schweiz spielen will, hat er damit dokumentiert, dass er in dieses Trainingslager hier eingerückt ist und jederzeit bewiesen hat, dass er alles tun will für den Erfolg des Schweizer Nationalteams am Dienstag gegen Portugal.

Sie sind Rechtsanwalt, Präsident einer Tessiner Privatbank, dazu Vorsitzender der Fifa-Disziplinar-Kommission und Mitglied der Fifa-Arbeitsgruppe gegen Rassismus und Diskriminierung. Weshalb tun Sie sich jetzt auch noch das Amt als Delegierter der Nationalmannschaft an?
Gute Frage. Als Peter Stadelmann gesagt hat, dass er nach der EM aufhören werde, sind aus der Liga und dem Zentralvorstand des SFV einige zu mir gekommen und haben gesagt: ‚Das ist doch eine Aufgabe für dich, Claudio.’ Erstens: Ich liebe den Fussball, der Fussball hat mir sehr viel gegeben. Er war für mein Leben eine sehr gute Lehre. Der zweite Grund: Ich liebe Herausforderungen. Der dritte Grund: Ich bin einer, der gerne Erfolg hat. Als Nationalspieler konnte ich mich mit der Schweiz nie für ein grosses Turnier qualifizieren. Auf Klubebene war ich mit meinen Erfolgen bei GC zwar schon zufrieden, obwohl wir 1978 den Einzug in den Uefa-Cup-Final nur wegen eines einzigen Tores gegen Bastia verpasst haben. Dieses Spiel würde ich gerne nochmals spielen, aber das ist unmöglich. Hingegen kann ich mit dem Nationalteam jetzt noch ein grosses Turnier erreichen.

Wie sehen Sie Ihre Rolle bei der Nati?
Ich will nichts auf den Kopf stellen. Ich bin hier der Neuling, komme in einen Betrieb, der gut läuft. Ich werde jetzt zuerst beobachten, mir meine eigenen Gedanken machen. Ich stelle mich in den Dienst der Mannschaft. Aber klar: Mein Ziel ist der maximale Erfolg.

Wie sehen Sie die Leistungen der Schweizer an der EM in Frankreich?
Das war ein weitgehend sehr positiver Auftritt, aber auch eine verpasste Chance. Was wurde falsch gemacht? Das wird jetzt analysiert. An der WM in Brasilien sind wir im Achtelfinal gegen Argentinien rausgeflogen, jetzt gegen Polen. Das sollte nicht ein drittes Mal passieren. Ich habe gedacht, die Polen seien stehend K.o. Ich kann mich nicht an eine Schweizer Mannschaft erinnern, die jemals so dominant war.

Aber am Schluss fehlten doch wieder die Tore...
... ja, Derdiyok hatte eine Chance mit dem Kopf. Schweiz – Polen ist jetzt für ihn so ein Spiel wie Bastia – GC für mich. In Bastia standen wir damals 15 Minuten vor dem Einzug ins Uefa-Cup-Finale. Doch das ganze Spiel lief an mir vorbei. Wir verloren 0:1, schieden nach dem 3:2-Heimsieg aus.

Werden Sie als ehemaliger Torschützenkönig des Meistercups Derdiyok, Seferovic & Co. Tipps geben?
Ich werde mich bei ihnen sicher nicht aufdrängen. Wenn sie das Gefühl haben, dass sie mit mir reden wollen, dann habe ich sicher Zeit. Ich habe in meiner Karriere mehr aus Niederlagen gelernt als aus Siegen, die oft die Wahrnehmung benebeln können. Doch am wichtigsten ist: wir müssen jetzt zukunftsorientiert sein.

Es geht in der WM-Quali am Dienstag mit dem dicksten aller möglichen Brocken los, dem Auftaktspiel gegen Europameister Portugal.
Schön. An Portugal habe ich spezielle Erinnerungen. 1977 machte ich in Funchal auf Madeira gegen Portugal mein erstes Länderspiel. Alves, der spätere Servette-Trainer, spielte in schwarzen Handschuhen. Wir verloren 0:1. 1982 spielten wir in Lugano, in meiner Heimat, wieder gegen Portugal. Wir gewannen 2:1. (schmunzelnd) Zum ersten Tor von Gianpietro Zappa gab ich einen super Pass, obwohl ich ehrlich gesagt, selber schiessen wollte. Das zweite Tor schoss Andy Egli. Es hat ja immer geheissen, ich sei als Stürmer sehr eigensinnig gewesen. Aber 1982, als wir in Rom den frisch gebackenen Weltmeister Italien 1:0 schlugen, gab ich den Pass zu Ruedi Elseners Tor.

Neben Portugal ist mit Ungarn ein zweiter heisser Gegner in unserer Gruppe. Welche Zielvorgabe geben Sie aus?
Das Ziel ist der erste Gruppenrang, auch wenn wir dafür den Europameister hinter uns lassen müssen. Als Gruppenzweiter müssten wir in die Barrage, darauf würde ich lieber verzichten. Im Sport willst du immer Erster sein. Es ist eine machbare Aufgabe, aber es braucht dazu ausserordentliche Leistungen. In der Schweiz wird mittlerweile praktisch erwartet, dass sich die Mannschaft qualifiziert. Man freut sich nicht mal mehr, wenn man es schafft. Das ist jedenfalls ein bisschen mein Eindruck betreffend Deutschschweiz, wir im Süden sind emotionaler und freuen uns über jeden Sieg der Nati und jede Qualifikation.

Nati-Coach Vladimir Petkovic ist Wahl-Tessiner, wie Sie.
Ich bin ursprünglich St. Galler, fühle mich aber als Tessiner. Ich habe mich mit Vlado schon zu einigen Gesprächen getroffen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit. Vlado ist ein Mensch mit sehr vielen Werten.

Xherdan Shaqiri kokettiert immer noch mit einem Wechsel zum Kosovo. Sie wollten mit ihm darüber reden. Jetzt hat er verletzungsbedingt abgesagt.
Shaqiri ist ein sehr wertvoller Spieler für uns. Er ist auch eine Waage wie ich, wir sind sehr sensibel. Wenn’s nötig ist, fliege auch mal zu ihm nach England. Aber wenn ich die Fifa-Regeln anschaue, kann normalerweise keiner zum Kosovo wechseln, der an der Euro gespielt hat.

Thema-Wechsel. Glauben Sie, die Spieler kennen Sie noch?
Nein. Als ich mal bei einer Veranstaltung beim Luzerner SC, wo mein Sohn spielte, vorgestellt wurde, schauten alle Jungen im Handy auf Google nach, wer ich bin. Aber das ist normal, ich habe Fredy Bickel auch nicht gekannt.

Sie meinen den 71-fachen Internationalen und nicht den heutigen YB-Sportchef...
Ja, und später habe ich mich gefreut, dass Fredy Bickel im Hardturm auf der Tribüne meine Spiele angeschaut hat.

Bei GC haben Sie unter anderem unter Legende Hennes Weisweiler, dem ehemaligen Coach des FC Barçelona, trainiert.
Weisweiler war ein Fussball-Kenner und Geniesser. Er hat nicht akzeptiert, dass ich neben dem Fussball noch studierte. Ich habe ihm immer wieder gesagt: Wenn ich nicht studieren würde, dann würde ich auch nicht mehr in der Schweiz spielen.

1982 lehnten Sie ein Angebot von Inter Mailand ab. Unglaublich.
Ja, ich hatte das Studium noch nicht fertig. Zudem wollten meine Partnerin und ich in diesem Jahr heiraten.

1986, am Ende Ihrer GC-Zeit, lockte auch noch der Stadtrivale FCZ...
Präsident Sven Hotz machte mir damals ein Riesen-Angebot. Ich wäre aber mit mir selber in den Clinch gekommen. Und ich hatte schon vorher die Entscheidung getroffen, ins Tessin zurückzukehren.

Wie sehen Sie als Mitglied von verschiedenen Fifa-Kommissionen den Abgang von Ex-Präsident Sepp Blatter?
Wenn man die Fakten kennt, ist dies kein optimaler Abgang. Sepp Blatter hätte einen anderen Abgang verdient. Das Ganze ist schade für ihn, schade für die Fifa und schade für den Fussball.

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