Weltenbummler Otto Pfister (81) zeigt sein Fussball-Museum
«Deshalb werden Afrikaner nie Weltmeister!»

Otto Pfister hat schon in 22 Ländern trainiert. Der Wahlschweizer erzählt seine verrücktesten Geschichten und verrät, weshalb er nur lachen kann, wenn Super-League-Trainer von Druck reden.
Publiziert: 30.06.2018 um 16:56 Uhr
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Aktualisiert: 15.06.2023 um 00:12 Uhr
Michael Wegmann

Das Schachbrett ist aus Mexiko. Der Teppich aus Saudi-Arabien. Die Lampe aus dem Libanon. Das Bild aus Ägypten. Die Truhe aus der Elfenbeinküste. Das Fell aus Ruanda. Die Pfeile aus dem Senegal. «Jedes Stück hat seine Geschichte», sagt der Deutsche Otto Pfister (80).

Gerne würde man alle hören. Denn der Wahlschweizer hat viel zu erzählen. Seit 1961 arbeitet er als Trainer, zurzeit coacht er die Nationalmannschaft Afghanistans. Ein Land im Bürgerkrieg.

Er führt uns unter den Dachstock, sein Reich. «Meine Frau darf auch rauf. Zum TV-Schauen und Aufräumen», sagt er und lacht. Ein Pult, ein Computer. Ein TV, ein Sofa. An den Wänden Hunderte Wimpel, Fotos und T-Shirts. Ein Bild zeigt ihn mit Samuel Eto’o. Darauf steht: «Otto et Eto’o». Er nennt den kamerunischen Superstar seinen Buben.

Pfister arbeitete mit afrikanischen Stars wie Adebayor (Bild) und Eto'o zusammen.
Foto: AFP/Getty Images

BLICK: Herr Pfister, als Trainer von Trinidad und Tobago war der korrupte Fifa-Funktionär Jack Warner Ihr Präsident. Bei Zaire herrschte Diktator Mobutu Sese Seko. Wie konnten Sie da nur arbeiten?
Otto Pfister: Mit Jack Warner, dem sogenannten «bösen Buben», hatte ich nie ein Problem. Zu mir war er immer korrekt. Und Mobutu galt damals als grösster Despot der Welt und war der erste Supporter der
Mannschaft. Soll ich Ihnen eine Geschichte von ihm erzählen?

Gerne!
Vor dem Spiel gegen Angola holten mich mitten in der Nacht Soldaten von Mobutu ab. In einem Jeep fuhren sie mich ins Regierungsgebäude. Da sagte mir Mobutu, dass ich das Spiel besser gewinnen sollte, da der Regierungschef von Angola, Santos, nicht sein bester Freund sei. Sollte ich verlieren, könne ich sofort zum Flughafen.

Und?
Wir haben 1:0 gewonnen. Nach solchen Erlebnissen kann ich nur lachen, wenn Super-League- oder Bundesliga-Trainer von Druck reden. Die sollen mal spielen, wenn der Diktator einen Sieg fordert. Wissen Sie, wenn Sie im Ausland arbeiten, sollten Sie Regeln befolgen.

Die wären?
Man ist mit Menschen mit anderem sozialem Hintergrund konfrontiert. Mit anderen Religionen, anderen Gewohnheiten, mit einer anderen Kultur. Wollen Sie da arbeiten, heisst es: respektieren und anpassen!

Können Sie ein bisschen konkreter werden?
Würde ich dieselbe Pünktlichkeit, denselben Arbeitseifer in Afrika einfordern, wie wir es von hier gewohnt sind, könnte ich sofort packen. Würde in Afrika ein Trainer mit einem Strafenkatalog kommen, wäre er tot. Eto’o sagte mal zu mir: «Trainer, ich bin heute zu müde.»

Was taten Sie?
Ich sagte: «Bleib auf deinem Zimmer!» Und gut wars … Eto’o war der Superstar bei Kamerun, spielte bei Barcelona. Was soll ich mit ihm diskutieren? Der schiesst mir die Tore.

Keine Disziplinprobleme?
Disziplinprobleme, so ne Scheisse! Eto’o meinte einst: «Trainer, der liebe Gott hat mir so viel
Talent gegeben, damit spiele ich sicher nicht!» Grosse Spieler haben keine Disziplinprobleme. Als Trainer im Ausland habe ich drei weitere Prinzipien.

Welche?
Von Geld, Politik und Juju habe ich immer die Finger gelassen.

Was ist denn Juju?
Voodoo, Zauberei. Das ist in Afrika weitverbreitet. Als ich in Senegal vor einem Spiel in die Kabine kam, sah ich, wie ein Medizinmann meinem Goalie ein rotes Wässerchen gab. Als ich fragte, was er hier tue, sagte er: «Easy. Trinkt er das, kriegt er kein Tor.»

Und?
Wir verloren 0:1. Nach dem Spiel fragte ich den Typen, weshalb das Getränk nicht gewirkt habe. «Das gibt nur einen Grund», sagte er, «der Goalie habe sich zuletzt in seinem Privatleben unkorrekt verhalten.» Viele Fussballer sind abergläubisch – auch in Europa.

Otto Pfisters Trainer-Stationen.
Foto: BLICK-Infografik

Weshalb haben Sie seit 1972 nicht mehr in der Schweiz gearbeitet?
Ich hatte Angebote. Aber wie soll ich das nun erklären, ohne Leute vor den Kopf zu stossen?

Das stört uns nicht.
Also: Hier ist Fussball eine Art Vorstandssport. Manager, Sportchefs, Präsidenten, alle wollen mitreden. Ich war mal bei einem Klub nahe an einer Unterschrift. Da sassen dann plötzlich drei, vier Leute am Tisch. Ich fragte, was ihre Funktion sei. Sie meinten: «Wir sind die Sportkommission. Wir diskutieren mit.» Ich stand auf, sagte Danke und ging.

Warum?
Fussball muss für mich Diktatur sein. In Saudi-Arabien wollte mir einst der Prinz bei der Aufstellung reinreden, es war mein letztes Spiel. Der Trainer muss das alleinige Sagen haben.

In der Schweiz sind Trainer austauschbar …
... Wahnsinn! Ich freue mich immer, wenn eine Mannschaft absteigt, die den Trainer gewechselt hat!

Sieben Super-Ligisten haben letzte Saison ihre Trainer entlassen.
Ein Horror! GC hatte gleich fünf Trainer. Es kann doch nicht sein, dass alle keine Ahnung haben. Oder Giorgio Contini bei St. Gallen. Er hat fünf Spiele gewonnen, dann zwei verloren und ist weg. Die Mehrheit der Trainer versteht ihr Handwerk. 80 Prozent entscheiden die Spieler über Sieg oder Pleite.

Sie sind 80. Was halten Sie von der jungen Trainer-Generation, die «Laptop-Trainer» genannt wird?
Statistiken helfen schon, doch sie müssen richtig angewendet werden. Man sollte die Messungen nicht überbewerten. Wichtiger als, wie viel ein Spieler läuft, ist, dass er richtig läuft. Das kann man nicht messen. Ich habe Respekt vor Trainern wie Nagelsmann und Tedesco.

Aber?
Die grossen Titel gewinnen immer noch die erfahrenen Trainer. Das sage ich nicht nur, weil ich ein gewisses Alter habe.

An der WM sind alle afrikanischen Teams ausgeschieden. Wann gibts einen afrikanischen Weltmeister?
Solange sich nicht vieles ändert, nie. Es fehlen Infrastrukturen: In ganz Kamerun gibt es nur ein Stadion, welches der Fifa-Norm entspricht. Es fehlen ausgebildete Trainer. Keinem afrikanischen Verband käme es in den Sinn, Geld in die Ausbildung eines Trainers zu stecken. Lieber holt man einen grossen Namen, der Land und Leute nicht kennt und viel kostet. Es hat auch keine Stars mehr. Keine Eto’os, Adebayors, Millas oder Weahs.

Am vergangenen WM-Donnerstag musste mit dem Senegal die letzte afrikanische Mannschaft die Segel streichen.
Foto: AP

Weshalb ist das so?
Weil wir mit unseren Akademien in Europa die afrikanischen Talente kaputtmachen.

Bitte etwas genauer.
Wir holen die Talente viel zu früh nach Europa und stecken sie in Internate. Da trimmen wir sie und legen ihnen taktische Fesseln an. Damit rauben wir ihnen ihre Lebenslust, ihre Intuition. Afrikaner brauchen keine Fesseln, sondern Betreuung.

Integration bedeutet Betreuung.
Das hat man in der Schweiz noch immer nicht verstanden. Soll ich Ihnen ein Beispiel nennen?

Nur zu.
Der Ghanaer Abédi Pelé wechselte als junger Mann zum FCZ. In Zürich steckte man ihn in eine Einzimmerwohnung, liess ihn mit dem Tram zu den Trainings fahren. Keiner kümmerte sich um ihn. Er fiel durch. Später machte Abédi Pelé eine Weltkarriere, gewann mit Marseille die Champions League. Für den FCZ aber war er zu wenig gut. Traurig, aber wahr.

WM 2018 in Russland

Vom 14. Juni bis 15. Juli findet in Russland die Fussball-Weltmeisterschaft 2018 statt.

  • Alle Infos, Highlights und Hintergründe – kurz den WM-Ticker – finden Sie hier.
     
  • Sämtliche Ergebnisse und die besten Torjäger gibts hier in der Übersicht.
     
  • Die Spieler aller teilnehmenden Mannschaften im Porträt: Wer wie gut spielt, lesen Sie hier im interaktiven Special.

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