Ungarn-Nationaltrainer Bernd Storck
«Ich will diesen Fussballriesen wieder aufwecken!»

Bernd Storck erlebte an der EM mit Ungarn ein Märchen. Der deutsche Trainer über das Spiel gegen die Schweiz, die Probleme der heimischen Liga und Staatspräsident Viktor Orban.
Publiziert: 05.10.2016 um 20:45 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 16:32 Uhr
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Storcks Kampfansage: «Wir wollen die Schweiz ärgern.»
Foto: © Reuters Staff / Reuters
Matthias Dubach

BLICK: Herr Storck, sind Sie eigentlich sauer auf den FC Sion?
Bernd Storck: Ich weiss, worauf Sie anspielen. Aber ich verstehe Peter, dass er die Chance genutzt hat, bei einem Erstligisten zu arbeiten.

Sie wollten Peter Zeidler in Ungarn zum U21-Trainer machen, dann funkte Sion dazwischen.
Wir waren uns einig. Dann ist das Sion-Angebot gekommen. Ich wünsche Peter in der Schweiz alles Gute!

Sie sind Nationaltrainer und Sportdirektor. Müssen Sie nach Zeidlers Absage auch noch die U21 coachen?
Nein, dafür habe ich jemand anders gefunden (schmunzelt). Letzte Woche liessen wir allerdings die U21 und die A-Nationalspieler, die schon so früh kommen konnten, gemeinsam trainieren.

Ein früher Zusammenzug. Sind Sie nach dem 0:0 gegen die Färöer unter Druck?
Druck hast du als Trainer immer. Umso mehr, wenn du Trainer einer so grossen Fussball­nation wie Ungarn bist. Aber mir war klar, dass die Partie auf den Färöer-Inseln das schwerste Spiel des Jahres sein wird.

Wie bitte? Sie haben an der EM gegen Portugal und Belgien gespielt!
Trotzdem war mir klar, dass es schwieriger wird als alle EM-Spiele. Die Spieler hatten nach der Euro kaum Erholung. Auch die Schweiz wird die Umstände auf den Färöer-Inseln kennenlernen. Aber wir haben dort kein gutes Spiel gemacht und müssen uns steigern, wenn wir in dieser WM-Qualifikation eine gute Rolle spielen wollen.

Ist am Freitag gegen die Schweiz ein Sieg Pflicht?
Man braucht nicht zu fragen, wer in diesem Spiel Favorit ist. Wir haben kaum Spieler, die internationale Erfahrung haben. Da sieht es bei der Schweiz ganz anders aus. Wir müssen realistisch bleiben. Favoriten sind ganz klar Portugal und die Schweiz. Aber wir wollen die Schweiz ärgern.

Welchen Schweizer Spieler hätten Sie gerne im Team?
Ich bin zufrieden mit meiner Mannschaft! Dass wir etwas draufhaben, hat die Europameisterschaft gezeigt.

Ungarn hat die Gruppe mit Portugal, Island und Österreich gewonnen.
Das war aber nur wegen der Vorbereitungszeit möglich. Ich hatte die Mannschaft vier Wochen vor der EM zusammen. Wir haben die Liga früher abgeschlossen. Nur so lässt sich der ungarische Fussball verbessern. Sonst haben wir keine Chance!

Wird nach dieser guten EM jetzt die WM-Quali erwartet?
Die Erwartungen in Ungarn sind immer sehr hoch. Unabhängig davon, dass es in den letzten Jahrzehnten eigentlich überhaupt keine Erfolge gab. Das liegt an der Puskas-Generation, die während zehn Jahren den Weltfussball dominiert hat. Die EM war ein ungarisches Sommermärchen und hat eine Euphorie ausgelöst. Aber niemand kann bei den Begebenheiten im Land behaupten, dass man durch diese Gruppe durchmarschiert.

Welche Begebenheiten?
Die Liga ist noch zu schwach und international kaum konkurrenzfähig. Wir sind zwar dabei, uns weiterzuentwickeln. In den letzten drei, vier Jahren ist vom Verband und von der Regierung aus sehr viel passiert. Für die Infrastruktur und die Ausbildung wurden finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt.

Hilfe von Staatspräsident Viktor Orban?
Ohne die staatlichen Subventionen hätten wir den Fussball nicht so weiterentwickeln können. Das passiert auch in anderen Sportarten, wie die Medaillen in Rio gezeigt haben. Mein Ansprechpartner ist aber Sandor Csanyi, der Präsident des Fussballverbands.

Sie kennen Orban persönlich?
Ja, klar. Ich treffe ihn oft, wenn ich in der Liga Spiele beobachte. Er ist ein riesiger Fussballfan. Sein Klub ist Videoton. Dann sprechen wir über Fussball.

Nicht über seine umstrittene Politik?
Nein, das nicht. Aber man muss ihn auch verstehen.

Wegen der Flüchtlingsfrage legt er sich mit der EU an.
Ausserhalb Ungarns stösst er auf viel Kritik. Aber hier im Land ist er sehr beliebt. Er will sich nicht noch mehr Probleme ins Land holen und zuerst die eigenen lösen. Die Leute sind ihm dankbar dafür. Man muss das alles etwas relativiert betrachten. Ich kriege aus Deutschland die Aussenseite mit. Aber wenn man hier lebt, sieht man das Ganze etwas anders.

Pendeln Sie zwischen Deutschland und Ungarn?
Nein, ich lebe in Budapest. Ich bin für die Reformen und die Umstrukturierung verantwortlich. Da musst du immer vor Ort sein, man muss sich mit Land und Leuten identifizieren.

Reden Sie in der Kabine deutsch?
Eine Kombination aus Deutsch und Englisch. Ich habe neben Andreas Möller noch einen ungarischen Assistenten, der lange in Deutschland spielte. Er übersetzt wichtige Sachen simultan. Ansonsten wird viel englisch gesprochen.

Würden Sie bei einem Angebot aus der Bundesliga sofort gehen?
Ich habe über 13 Jahre als Co-Trainer in der Bundesliga gearbeitet und über 300 Pflichtspiele gemacht. Ich habe bis 2018 einen Vertrag in Ungarn und möchte diesen erfüllen. Ich bin nur daran interessiert, diesen Fussballriesen wieder aufzuwecken.

Wie sehr vermissen Sie eigentlich Goalie-Legende Gabor Kiraly, der aus dem Nationalteam zurücktrat?
Peter Gulacsi, der ja auch bei RB Leipzig im Tor steht, hat es letztes Mal gut gemacht. Aber klar, Kiraly ist eine Institution, ist über 20 Jahre dabei gewesen. Mit Roland Juhasz haben wir noch einen zweiten erfahrenen Spieler verloren. Jetzt muss ein Generationenwechsel geschehen. Aber das kriegen wir hin.

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