«Nicht schon wieder Politik»
Das hitzige Interview mit Serbien-Trainer Krstajic

Mladen Krstajic über die Schwierigkeit, in Serbien Nationaltrainer zu sein, über die Schweizer Mentalität, über Multikulti und über die Chancen der Serben im Schlüsselspiel am Freitag gegen unsere Nati.
Publiziert: 20.06.2018 um 00:25 Uhr
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Aktualisiert: 15.06.2023 um 00:12 Uhr
Alain Kunz aus Belgrad

BLICK: Mladen Krstajic, wie kompliziert ist es, serbischer Nationaltrainer zu sein?
Mladen Krstajic:
Ganz, ganz schwierige Frage … Ich kann nur sagen: Ich bin sehr stolz, Trainer meines Landes zu sein. Es ist ein schönes Gefühl, diese Position der Verantwortung innezuhaben. Es ist vor allem dann sehr schön, wenn es gut läuft. Dann ist es gut für alle. Wenn nicht, muss ich den Kopf hinhalten. Aber es ist schon irgendwie die heisse Kartoffel, die man nimmt.

Von aussen hat man das Gefühl, Serbien habe sieben Millionen Nationaltrainer.
Stimmt. Da muss man für jeden Einzelnen kämpfen. Wir sind ein sportliches Land. Fussball, Volleyball, Handball, Basketball. Aber einer ist verantwortlich. Und die Fans erwarten viel. Ich brauche kein Alibi. Aber man muss sich schon vor Augen halten, dass wir acht Jahre nicht mehr dabei waren. Da muss man schön auf dem Boden bleiben.

Ihr Vorgänger Slavoljub Muslin, der das Team an die WM geführt hat, musste gehen, weil er sich nicht dreinreden lassen wollte. Ist das so, dass es Versuche gibt, den Nationaltrainer zu beeinflussen?
Nationaltrainer in Serbien zu sein, ist nicht einfach. Ich bin ein noch junger Trainer. Ich habe als Assistent von Muslin gearbeitet. Vor mir steht eine Riesenaufgabe: Unser Land gut zu repräsentieren.

Krstajic: «Wir sind ein sportliches Land. Fussball, Volleyball, Handball, Basketball.»
Foto: GETTY

In der Zeit nach dem Krieg störten viele kriminelle Elemente den serbischen Fussball. Gibt es die heute noch?
Ich denke nicht. Ich war damals ein junger Spieler, der sich nicht mit solchen Dingen beschäftigte. Ich habe mich darauf konzentriert, zu trainieren und zu spielen. (Der Pressechef schreitet ein und sagt, es sei nicht am Trainer, über dieses Thema zu sprechen.)

Also zurück zur WM. Polemik gabs vor allem wegen Lazio-Star Milinkovic-Savic, den Ihr Vorgänger Muslin nicht berücksichtigt hat. Sie hingegen schon.
Er ist ein guter Spieler, hat die Zukunft vor sich.

Lazio soll 150 Millionen für ihn wollen ...
(Wieder schreitet der Pressechef ein.) Ich bin Nationaltrainer. Da rede ich nicht über den Klub eines Spielers. Dass Muslin ihn nicht aufgeboten hat, war seine Sache.

War ein Comeback von Miralem Sulejmani in der Nationalmannschaft nie ein Thema? Er hat bei YB zuletzt sehr stark gespielt!
Er ist ein guter Spieler und ein guter Junge. Für mich ist grundsätzlich jeder mit einem serbischen Pass ein Thema.

Das Spiel gegen die Schweiz – es hat bei uns viele Spieler mit albanischem Hintergrund …
(Der Pressechef spitzt die Ohren, aber Krstajic kommt ihn zuvor.) ... das ist wieder Politik. Ich rede nicht über Politik.

Milinkovic-Savic ist in Europa heiss begehrt.
Foto: AFP

Sie halten diese politische Komponente also nicht für wichtig?
Ich komme aus einem Multikulti-Land, aus Bosnien. Mein Vater ist Montenegriner, meine Mutter Serbin. Ich bin ein internationaler Typ. Bei mir zählt die Nationalität nicht. Was für mich zählt, ist, dass die Schweiz eine sehr gute Mannschaft hat.

Und eine extrem multikulturelle Mannschaft.
Genau. Das ist gut für die Schweiz. Ich respektiere jeden Spieler, egal aus welchem Land er kommt.

In der Schweiz ist das ein Thema. Vor allem nach dem skandalösen Spielabbruch gegen Albanien.
Das ist hinter mir. Ich schaue immer nach vorne.

In Ihrem Team hat es zwei «Schweizer», Prijovic und Veljkovic. Der eine wurde in St. Gallen, der andere in Basel geboren.
Dann ist es das Problem der Schweiz, wieso sie sie nicht geholt und für die Nationalmannschaft aufgeboten hat. Ivan Rakitic ist auch so ein Fall.

Kann Ihnen das für das Spiel gegen die Schweiz helfen, dass diese Spieler die Schweizer Mentalität gut kennen?
Sicher kann das helfen. Aber auch ich kenne aus meiner Zeit in Deutschland die Mentalität der Schweizer sehr gut. Ich weiss, was Disziplin bedeutet.

Prijovic wurde in St. Gallen geboren, kickt aber für die serbische Nationalmannschaft.
Foto: REUTERS

Wie stark haben Sie die neun Jahre in Deutschland geprägt?
Ich habe sehr viel erlebt in Deutschland. Die Kultur mitbekommen. Wir bräuchten einige Stunden, um all das Gute, was ich aus Deutschland mitgenommen habe, zu schildern. Es war eine schöne Zeit für mich und meine Familie.

Bei einer BLICK-Strassenumfrage in Belgrad war viel Skepsis Ihrer Mannschaft und Ihnen gegenüber spürbar, weil sie wenig Erfahrung als Cheftrainer haben.
Na und? Das spielt für mich keine Rolle. Zidane hatte auch keine Erfahrung. Ich habe Spieler mit Erfahrung und einen Staff mit Erfahrung.

Sie haben kurz vor der WM den Captain gewechselt. Branislav Ivanovic die Binde weggenommen und sie Aleksandar Kolarov gegeben. Warum?
Haben Sie die serbischen Zeitungen gelesen?

Ja.
Da habe ich es gesagt.

Eben. Sie haben nichts gesagt.
Genau. Und das bleibt auch so. Auch Ihnen gegenüber. Das bleibt intern. Es gibt kein Problem mit Ivanovic.

Also nochmals: Warum?
Darum!

Wie stufen Sie Ihren nächsten Gegner die Schweiz ein?
Ganz stark! Kompakt und mit viel Erfahrung. Die Schweiz war bei den letzten drei Endrunden an WM und EM dabei. 27 Punkte in der Qualifikation sind beachtlich! Und auch der Trainer ist sehr gut.

Auch wir haben unsere Probleme. Spieler, die im Klub nicht oft spielen.
Jeder Trainer hat Probleme. Das ist unser Leben.

Wie schätzt der Serbien-Coach die Schweiz ein? «Kompakt und mit viel Erfahrung.»
Foto: TOTO MARTI

Und wir haben ein Stürmerproblem.
Es gibt viele Vereine, die ohne echten Stürmer spielen. Manchester City zum Beispiel, der englische Meister.

Was ist für Sie wichtig im Leben?
Gesundheit und Charakter. Das man sich in die Augen schauen kann. Ich will niemanden belügen. Ich sage meinem Gegenüber immer in die Augen, was ich denke.

Sie führen auch eine Schnapsbrennerei. Das ist doch eher aussergewöhnlich.
Ich mache viele Dinge. Ich habe vor acht Jahren mit einem guten Freund begonnen zu brennen. Ich bin auch ein Bauer. Die Natur ist etwas ganz Besonderes für mich. Wenn ich in der Natur bin, bin ich ganz entspannt, locker.

Sie bauen auch andere Dinge an auf ihrem Bauernhof?
Vieles. Das mache ich mit meiner Frau, meinen Kindern und meiner Familie zusammen. Wir sind ein Team, die Krstajics. Da versuche ich eine gute Atmosphäre zu kreieren. Wie auch in meinem Job.

Ist Ihnen das gelungen?
Fakt ist: Wir sind eine Einheit. Es gibt keinen Streit. Und die Vorbereitung lief störungsfrei und ohne Skandale ab. Das ist in der serbischen Mannschaft früher auch schon anders gewesen. Eine gute Atmosphäre ist das A und O an einem Turnier wie diesem. Das war auch ein wesentlicher Grund für den Sieg gegen Costa Rica.

Als Spieler haben Sie nicht nur gute Erinnerungen an Weltmeisterschaften …
Nein. Da war 2006 dieses 0:6 gegen Argentinien in Gelsenkirchen. Aus dieser gewaltigen Niederlage habe ich vieles mitgenommen.

An der WM 2006 gabs für Serbien gegen die Gauchos eine 0:6-Klatsche.
Foto: AP

Das war ein historisches Spiel. Das erste WM-Spiel eines gewissen Lionel Messi.
Genau. Der ist in der zweiten Halbzeit reingekommen. Da wurde es noch schlimmer.

Wissen Sie noch, gegen wen Sie Ihr erstes Tor in der Nationalmannschaft geschossen haben?
Uff, schwierige Frage. So viele waren das nicht… Zwei, drei. Eines gegen die Schweiz.

Genau.
Ah, da haben wir in Basel 2:1 gewonnen. Aber das ist Vergangenheit. Ich schaue immer nach vorne. Wen Sie über meine Karriere reden wollen, dann fragen Sie die Fans. Für mich ist dieses Buch geschlossen.

Und am Freitag geht es gegen die Schweiz.
Über die wir alles wissen. Im Spiel gegen Brasilien haben wir die letzten Details bestätigt erhalten.

Das Interview wurde im April geführt und mit Äusserungen von Krstajic am serbischen TV nach dem 1:0 gegen Costa Rica aktualisiert.

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Persönlich:
Krstajic kommt 1974 im damaligen Jugoslawien in Zenica als Sohn einer Serbin und eines Montenegriners auf die Welt. Zenica gehört heute zu Bosnien. Er spielt bei Partizan Belgrad, bevor er für neun Saisons in die Bundesliga wechselt. Zuerst zu Werder Bremen, dann zu Schalke. 2004 holt er mit Werder das Double. Krstajic kehrt zu Partizan zurück, wird Sportdirektor des Klubs und Präsident des bosnischen Erstligisten FK Radnik Bijeljina, den er immer noch führt. Danach wird er Assistent von Nati-Coach Slavoljub Muslin, beerbt diesen nach der erfolgreichen WM-Qualifkation, weil sich Muslin weigert zu versprechen, die Talente Milinkovic-Savic, Veljkovic und Radonjic einzusetzen.

WM 2018 in Russland

Vom 14. Juni bis 15. Juli findet in Russland die Fussball-Weltmeisterschaft 2018 statt.

  • Alle Infos, Highlights und Hintergründe – kurz den WM-Ticker – finden Sie hier.
     
  • Sämtliche Ergebnisse und die besten Torjäger gibts hier in der Übersicht.
     
  • Die Spieler aller teilnehmenden Mannschaften im Porträt: Wer wie gut spielt, lesen Sie hier im interaktiven Special.

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