BLICK: Luis Figo, ist Portugal das beste Team Europas?
Luis Figo: Sie haben kein Spiel verloren und den Final gegen Frankreich gewonnen. Klar, am Anfang war das nicht berauschend. Aber die Mannschaft hat sich im Verlaufe des Turniers gesteigert. Und sie hat aussergewöhnliche Einzelspieler.
Wie viel hätten Sie vor dem Turnier auf die Portugiesen gewettet?
Portugal gehörte in den letzten Jahren stets zu den Mitfavoriten. Ich hätte vor dem Turnier eher auf einen Sieg gewettet als nach der Vorrunde, die ziemlich enttäuschend war.
Wie hoch sind die Erwartungen nun hinsichtlich der WM?
Sehr hoch. Das sind sie in Portugal vor jedem Turnier. Durch den EM-Titel sind die Erwartungen noch einmal gestiegen. Viele erwarten jetzt den WM-Titel.
Sie auch?
Ich weiss aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, ein solches Turnier zu gewinnen. Mir ist es nie gelungen, obwohl wir ebenfalls talentierte Spieler hatten. Es muss alles zusammenpassen. Bei der Auslosung, oder dass die wichtigen Spieler fit sind.
Was war der Unterschied zwischen der Mannschaft, die nun Europameister geworden ist, und der sogenannt «Goldenen Generation», mit Ihnen, Paulo Sousa, Rui Costa, Fernando, Couto, João Pinto?
Es waren andere Zeiten, andere Charaktere. Aber eigentlich ist der Unterschied ganz einfach: Wir haben nichts gewonnen.
Teilen Sie die Ansicht, dass Portugal und die Schweiz eine einfache Gruppe erwischt haben, mit Ungarn, Lettland, Andorra und den Färöer-Inseln?
Klar, es gibt schwierigere Gruppen. Aber Ungarn würde ich nicht unterschätzen. Litauen und die Färöer ebenfalls nicht. Wer hatte zum Beispiel Island vor der EM auf der Rechnung?
Was wissen Sie über die Schweizer?
Ich weiss, dass sie zuletzt bei grossen Turnieren dabei waren und die Gruppenphase überstanden haben. Ich kenne einige Spieler: Shaqiri, Xhaka, Behrami. Viele spielen in grossen Ligen. Und mir gefällt euer Torhüter – dieser Hitz. So heisst er doch, oder?
Marwin Hitz, ja. Aber die Nummer 1 ist Sommer.
Sommer, genau! Auch er ist ein guter Goalie.
Ist Portugal Favorit gegen die Schweiz?
Portugal ist fast in jedem Spiel Favorit. Aber das waren wir gegen Ungarn, Österreich, Island auch. Alle drei Spiele gingen unentschieden aus. Gegen Frankreich war Portugal Aussenseiter und hat gewonnen.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Cristiano Ronaldo im Final nach 20 Minuten raus musste?
Das war ein grosser Schock. Ich hätte nicht gedacht, dass das Team das so gut wegsteckt.
Vielleicht ist Ronaldo gar nicht so wichtig für das Team …
… Quatsch! Cristiano ist der beste Spieler der Welt. Und der wichtigste im portugiesischen Team. Er kann jede Partie mit einer Aktion entscheiden.
Sie haben 2004 bei der Heim-EM in Portugal mit dem jungen Cristiano zusammengespielt: Wie war er?
Sehr jung, sehr ehrgeizig, sehr talentiert.
War damals schon klar, dass er ein Superstar werden würde?
Jeder hat gesehen, dass er ein aussergewöhnlicher Spieler ist. Seither ist er Jahr für Jahr stärker geworden.
Im EM-Final hatte man am Schluss den Eindruck, Ronaldo habe das Team gecoacht und nicht Trainer Fernando Santos. War das nicht ein wenig respektlos?
Respektlos? Weshalb denn? Cristiano ist der Captain des Teams. Auf und neben dem Platz. Alle waren nervös. Cristiano wollte helfen, so gut es ging. Er wollte diesen Titel unbedingt.
Sie haben letztes Jahr als Fifa-Präsident kandidiert, seither ist es ruhig geworden. Was machen Sie heute?
Ich bin viel unterwegs. Als Laureus-Botschafter unterstütze ich beispielsweise die Special Olympics in Madrid, wo Kindern mit Behinderungen die Möglichkeit gegeben wird, sich sportlich zu betätigen. Das sind spezielle Momente, die wir da mit den Kindern teilen. Ausserdem engagiere ich mich für den Hallenfussball in Indien und für den Fussball in den USA.
Weshalb haben Sie seinerzeit Ihre Kandidatur fürs Fifa-Präsidium zurückgezogen?
Weil ich zu wenig Unterstützung hatte. Meine Kandidatur war chancenlos.