Der Verkehr in Kameruns Hauptstadt ist … völlig durchgeknallt. Da wird einfach gefahren. Ob auf oder neben der Strasse, egal. Ob ein Polizist als Staffage dasteht oder nicht. Es gibt kein unzerbeultes Auto. Sich eine Stunde in diesem unfassbaren Wirrwarr und in der katalysatorfreien stinkigen Luft aufzuhalten ohne einen Crash zu sehen? Gibt es nicht.
Milla spielt Verkehrspolizist
Ganz kriminell wird es bei Kreuzungen. Da fahren alle gleichzeitig. In der Mitte geht dann gar nichts mehr! Weshalb Kameruns berühmtester Mensch zur Selbsthilfe greift. Die Szene ist kaum zu fassen! Roger Milla steigt aus seinem Wagen, staucht den Polizisten zusammen, regelt den Verkehr und bleibt in der Mitte der Kreuzung stehen, bis sein Korso durch ist. Dann steigt er wieder ein. Fluchend.
Milla ist keiner, der abgehoben ist. Obwohl er seit 25 Jahren «ambassadeur itinérant» seines Landes ist. Das ist ein Sonderbotschafter im Rang eines Ministers, der direkt dem Staatspräsidenten unterstellt ist. Zumindest im Fall von Milla steht er über den Ministern. Alle sprechen ihn deshalb mit «Eure Exzellenz» an. «Ich versuche ein positives Image meines Landes in der Welt zu vermitteln», sagt er zu diesem «Job». Sein Haus mitten in der Stadt ist zwar gross, aber keine Schönheit. Der Pool ist ein besseres Wasserloch. Und seine Jungs müssen auf dem Kies kicken anstatt auf einem englischen Rasen … Nur die zig Bediensteten und/oder Freunde des Hauses, die hier herumschwirren, sind eindrücklich: Security, Gärtner, Fahrer, Kindermädchen, Köchinnen und, und, und ...
Roger Milla (eigentlich: Miller) wird am 20. Mai 1952 in Jaunde geboren. Er spielt bis 25 nur für kamerunische Klubs, bis er zu Valenciennes wechselt. Die weiteren Stationen in Frankreich sind Monaco, Bastia (zweimal Cupsieger), Saint-Etienne und Montpellier (Aufstieg in die Ligue 1), bis er seine Karriere an Orten wie Saint-Pierre auf La Réunion (wo er auf einen Junior namens Guillaume Hoarau trifft), Sporting Toulon, Tonnerre Yaoundé und Pelita Jaya in Jakarta ausklingen lässt. Er nimmt an drei Weltmeisterschaften teil: 1986, 1990 und 1994. In Italien 1990 wurde er auf Geheiss von Staatspräsident Paul Biya ins Kader berufen, wo er mit seinen vier Toren und dem Cornerfahnen-Tanz zur Legende wurde, weil sich Kamerun als erstes afrikanisches Land für einen WM-Viertelfinal qualifizierte. 1994 wurde er als 42-Jähriger ältester WM-Spieler und -Torschütze. Von der African Soccer Association wurde er zu Afrikas Spieler des letzten Jahrhunderts gewählt.
Roger Milla (eigentlich: Miller) wird am 20. Mai 1952 in Jaunde geboren. Er spielt bis 25 nur für kamerunische Klubs, bis er zu Valenciennes wechselt. Die weiteren Stationen in Frankreich sind Monaco, Bastia (zweimal Cupsieger), Saint-Etienne und Montpellier (Aufstieg in die Ligue 1), bis er seine Karriere an Orten wie Saint-Pierre auf La Réunion (wo er auf einen Junior namens Guillaume Hoarau trifft), Sporting Toulon, Tonnerre Yaoundé und Pelita Jaya in Jakarta ausklingen lässt. Er nimmt an drei Weltmeisterschaften teil: 1986, 1990 und 1994. In Italien 1990 wurde er auf Geheiss von Staatspräsident Paul Biya ins Kader berufen, wo er mit seinen vier Toren und dem Cornerfahnen-Tanz zur Legende wurde, weil sich Kamerun als erstes afrikanisches Land für einen WM-Viertelfinal qualifizierte. 1994 wurde er als 42-Jähriger ältester WM-Spieler und -Torschütze. Von der African Soccer Association wurde er zu Afrikas Spieler des letzten Jahrhunderts gewählt.
Mischung aus Königspalast und Museum
Drinnen wirkt das eine oder andere Zimmer dann doch wie eine Mischung aus Königspalast und Museum. Mit Milla als Hauptausstellungsobjekt. «Ich brauche nicht mehr, um ein durch und durch glücklicher Mensch zu sein», sagt der 70-Jährige. «Ich habe eine charmante Frau, Kinder, Freunde. Und ich schiesse mit siebzig noch Tore», sagts – und lächelt schelmisch. Beim Galaspiel zu seinem 70. Geburtstag im Mai bucht er ein Tor. Okay, das ist nun aber ziemlich inoffiziell! «Inoffiziell? Das Spiel wurde am TV übertragen. Das war sehr offiziell! Aber das war mein allerletztes. Ich hänge die Fussballschuhe nun an den Nagel.» Der Mann hält Wort. Beim Fotoshooting ist er nicht mal zum Jonglieren zu überreden …
Milla hilft mit mehreren Stiftungen
Aber so glücklich, wie er heute ist, war er nicht immer. Als seine erste Frau Evelyne 2004 bei einem schrecklichen Verkehrsunfall im chaotischen jaundischen Verkehr ums Leben kommt, gerät er in eine Sinnkrise. «Ich wusste nicht, wie ich darüber hinwegkommen sollte», sagt er. «Ich gründete eine Stiftung für Verkehrsopfer. Nach ein paar Monaten merkte ich, dass das keinen Sinn macht, weil die Zahl der Verunfallten zu hoch ist.» Die Stiftung aber blieb. Mittlerweile sind es gar mehrere. Eine alimentiert eine Fussball-Akademie. Eine versorgt Schulen mit fliessend Wasser. Milla liess französische Ärzte einfliegen, um 450 Kinder aus Zentralafrika mit einer Hasenscharte gratis zu operieren. Oder er kümmert sich um die Umwelt, indem er Jugendliche Plastikflaschen aus den Abwasserkanälen holen liess, um sie zu Pflaster«steinen» zu verarbeiten. «Jene in meiner Auffahrt sind auch aus Plastik», sagt Milla stolz.
Warum heisst Roger nicht so wie seine ganze Familie? Miller. Da gibts zig Geschichten, was der Ursprung sein soll. Wie jene vom Standesbeamten, der das falsch eingetragen hat. Oder jene von Jean-Michel Nyambe, einem Freund der Familie aus Douala. «Milla bedeutet im Douala-Dialekt: Einer, der schnell rennt. Roger kriegte diesen Namen mit zehn oder elf, als er mit dem Fussballspielen begann, weil er mit Abstand der Schnellste war. Der Name blieb.» Und der Betroffene selbst? Milla sagt: «Was Jean-Michel da erzählt, ist Blödsinn. Das war so: Ich hätte eigentlich von Beginn weg Milla heissen sollen, wie einer meiner Onkel. Doch in dieser Epoche hatten die Engländer das Sagen, und ein Beamter verstand in der Tat Miller statt Milla und trug das so ein. So heisse ich nun Miller.» Und das mit dem, der schnell rennt? «Das stimmt. Aber nicht, dass ich den Namen deswegen erhalten habe», sagt Milla lachend. Ääh Miller.
A.Ku.
Warum heisst Roger nicht so wie seine ganze Familie? Miller. Da gibts zig Geschichten, was der Ursprung sein soll. Wie jene vom Standesbeamten, der das falsch eingetragen hat. Oder jene von Jean-Michel Nyambe, einem Freund der Familie aus Douala. «Milla bedeutet im Douala-Dialekt: Einer, der schnell rennt. Roger kriegte diesen Namen mit zehn oder elf, als er mit dem Fussballspielen begann, weil er mit Abstand der Schnellste war. Der Name blieb.» Und der Betroffene selbst? Milla sagt: «Was Jean-Michel da erzählt, ist Blödsinn. Das war so: Ich hätte eigentlich von Beginn weg Milla heissen sollen, wie einer meiner Onkel. Doch in dieser Epoche hatten die Engländer das Sagen, und ein Beamter verstand in der Tat Miller statt Milla und trug das so ein. So heisse ich nun Miller.» Und das mit dem, der schnell rennt? «Das stimmt. Aber nicht, dass ich den Namen deswegen erhalten habe», sagt Milla lachend. Ääh Miller.
A.Ku.
In Katar wird er dabeisein. Natürlich, auf Einladung der Fifa. Zusammen mit seiner zweiten Frau Astrid Stéphanie Ondobo, die hier alle nur ehrfurchtsvoll Madame Stéphanie nennen. «Kamerun spielt an der Weltmeisterschaft. Da muss ich doch auch vor Ort sein.» Die politische Diskussion mag er nicht gross führen. «Diese Dinge hätte man anschauen sollen, bevor man Katar die WM gab. Jetzt soll man die Katari die WM organisieren lassen und schauen, wie die das machen.»
Der Rat an Choupo-Moting
Zur Legende geworden ist Milla, als er Kamerun an der WM 1990 als 38-Jähriger mit seinen vier Toren und dem Tanz an der Cornerfahne in den Viertelfinal führte. Erstmals überhaupt kam eine afrikanische Mannschaft so weit. Und das Team von 2022? Hat es die Qualität, es den Helden von 1990 gleichzutun? Immerhin geht Verbandspräsident Samuel Eto’o davon aus, dass man den Titel hole … «Wir sind daran, eine Mannschaft aufzustellen, die kompetitiv ist. Und ich denke, die Dinge laufen gut. Es hat Qualität.» Eric Maxim Choupo-Moting? «Zum Beispiel. Er hatte Verletzungsprobleme, ist aber nun voll da und aktuell der beste Spieler von Bayern München. Nur spielt er bei den unbezähmbaren Löwen nicht so wie bei Bayern. Ich habe ihm gesagt: Eric, du musst hier auch spielen wie Lewandowski. Einfach. Dann bist du stark. Ich hoffe, er hört auf mich.»
Die Schweizer Mannschaft kennt Milla nicht speziell gut. «Xhaka schon. Was der mit Arsenal leistet: Chapeau. Und wer Frankreich mit einem sehr grossen Spiel ausschaltet, hat viel Qualität. Aber es wird auch für die Schweiz sehr schwierig werden. Nur schon gegen Kamerun. Wer da verliert, muss wohl Brasilien und Serbien schlagen. Wir werden sicher als kleinstes Team in diese Gruppe steigen. Und hoffentlich auch Grosse schlagen wie 1990 Argentinien, Kolumbien und Rumänien.»
Millas Beziehungen zur Schweiz
Dabei hat Milla enge Beziehungen zur Schweiz. «Meine Schwiegermutter, Schwägerinnen und mein Schwager leben in der Westschweiz. Und meine Frau hat in Neuenburg gelebt.» Nun bringts sie dann und wann ein Fondue mit nach Jaunde. «Ich habe das aber noch nie versucht.» Auch Millas ältester Sohn lebt in der Schweiz und hat jahrelang für die Fifa gearbeitet. «Blatter hat ihn einst eingestellt. Jetzt hat er demissioniert. Vielleicht wollte ihn Infantino nicht mehr. Ich weiss nicht.» Dessen jüngerer Bruder Germain hat eben bei Celta Vigo unterschrieben. «Er hat viel Talent», sagt Roger. «Ich hoffe, er packts und wird besser als ich. Aber dann muss er hart arbeiten. Tut man das nicht, reicht Gott dein Talent an jemand anders weiter.»
Weltberühmt wurde Milla wegen seiner Tore, aber vor allem wegen seines Cornerfahnen-Tänzchens. Heute studieren die Cracks Torjubel ja minutiös ein. Wie wars damals? «Das war total spontan! Ich hatte nichts eingeübt. Ich wusste ja nicht mal, dass ich Teil dieses Teams sein, ins Spiel kommen und dann noch ein Tor erzielen würde. So schickte mich Gott halt in Richtung Cornerfahne, um zu tanzen und Merci zu sagen an alle, die mich unterstützt hatten.» Makossa soll dieser Tanz heissen, wird nun kolportiert. «Blödsinn», ereifert sich Milla. «Makossa ist der Tanz von Douala. Das hier aber ist der Roger-Milla-Tanz.»
Wird jemals ein 42-Jähriger wieder ein WM-Tor schiessen?
Unsterblich geworden ist Milla aber auch wegen seiner Altersrekorde. Zuerst stellt er jenen für den ältesten Spieler an einer Endrunde auf. Mit 42 an der WM 1994 in den USA. Diesen Rekord ist er aber bald los. Zuerst an den kolumbianischen Goalie Faryd Mondragon 2014. Danach an den ehemaligen Sion-Torwart Essam El-Hadary. Der Ägypter war bei der WM 2018 in Russland unglaubliche 45 Jahre alt. «Das war Folklore! Die haben diese Goalies doch nur eingesetzt, um einen Rekord aufzustellen. Ich bin nach wie vor der älteste Feldspieler. Das zählt.» Und einer, der einen Rekord aufgestellt hat, der kaum je wird übertroffen werden. Mit dem Ehrentreffer 1994 im Spiel gegen Russland (1:6) ist er der älteste Torschütze der WM-Geschichte: 42.
Was ist das Geheimnis seines Alters? «Also erstens kam ich erst mit 25 Jahren nach Frankreich. Das ist ein Alter, in dem andere auch schon aufhören. Wenn ich mit 17 nach Europa gekommen wäre, hätte ich diese Rekorde kaum aufgestellt. Zum anderen war mein Leben skandal- und exzessfrei. Ich lebe sehr gesund.» Wie zum Beweis verschlingt er zum Nachtessen einen ganzen Fisch. Und vom Supermarkt-Wein, den er auftischt, trinkt er nicht mal ein Gläschen …
Organisierter Fussball ist in Kamerun, das 1960 von der Kolonialmacht Frankreich unabhängig wurde, eine ziemlich junge Sache. 1923 soll ein Fotograf, ein gewisser George Goethe aus Sierra Leone, Fussball nach Kamerun gebracht haben. Der Fussballverband seinerseits setzt darauf, dass ein Lehrer namens Charles Lalanne nach dem Ersten Weltkrieg in Douala erste Fussballteams ins Leben gerufen haben soll. Die Nationalmannschaft, die seit 1972 als «lions indomptables», als unbezähmbare Löwen, bezeichnet wird, wurde 1950 gegründet, nach einer Reise von Offiziellen nach Frankreich. Bei seinen bisher sieben WM-Teilnahmen wurde Kamerun, das 27 Millionen Einwohner zählt, fünfmal Gruppenletzter und einmal Gruppendritter. 1990 erreichte die aktuelle Nummer 43 der Welt nach einem Sieg im Eröffnungsspiel gegen den amtierenden Weltmeister Argentinien sensationell als erste afrikanische Mannschaft die Viertelfinals, schied dort gegen England mit 2:3 nach Verlängerung aus. Den Afrikacup gewann Kamerun fünfmal. Zudem wurde man 2000 in Sydney Olympiasieger. Die 1961 auf die Beine gestellte erste Liga in Kamerun heisst seit 2007 Elite One und gilt als professionell.
A.Ku.
Organisierter Fussball ist in Kamerun, das 1960 von der Kolonialmacht Frankreich unabhängig wurde, eine ziemlich junge Sache. 1923 soll ein Fotograf, ein gewisser George Goethe aus Sierra Leone, Fussball nach Kamerun gebracht haben. Der Fussballverband seinerseits setzt darauf, dass ein Lehrer namens Charles Lalanne nach dem Ersten Weltkrieg in Douala erste Fussballteams ins Leben gerufen haben soll. Die Nationalmannschaft, die seit 1972 als «lions indomptables», als unbezähmbare Löwen, bezeichnet wird, wurde 1950 gegründet, nach einer Reise von Offiziellen nach Frankreich. Bei seinen bisher sieben WM-Teilnahmen wurde Kamerun, das 27 Millionen Einwohner zählt, fünfmal Gruppenletzter und einmal Gruppendritter. 1990 erreichte die aktuelle Nummer 43 der Welt nach einem Sieg im Eröffnungsspiel gegen den amtierenden Weltmeister Argentinien sensationell als erste afrikanische Mannschaft die Viertelfinals, schied dort gegen England mit 2:3 nach Verlängerung aus. Den Afrikacup gewann Kamerun fünfmal. Zudem wurde man 2000 in Sydney Olympiasieger. Die 1961 auf die Beine gestellte erste Liga in Kamerun heisst seit 2007 Elite One und gilt als professionell.
A.Ku.