Argentinier hängen 18-Meter Messi-Shirt auf
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Südamerikaner siegessicher:Argentinier hängen 18-Meter Messi-Shirt auf

Macht er sich im WM-Final unsterblich?
Lionel Messi: Picasso, Mozart, Genie!

Lionel Messi soll 45 Millionen Argentiniern den Weltmeistertitel schenken und nebenbei gleich noch das Land retten. Das könnte schwierig werden.
Publiziert: 18.12.2022 um 00:26 Uhr
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Aktualisiert: 18.12.2022 um 21:19 Uhr
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Argentinien und Lionel Messi: Das war nicht immer die grosse Liebe. Doch 2021 gewannen sie zusammen die Copa América.
Foto: AFP
Martin Arn

Lionel Messis Jugendtrainer Ernesto Veccio (†65) hat Tränen in den Augen, als ihn Blick kurz vor seinem Tod in Rosario besucht. Er raucht filterlose Zigaretten. Die Kippen spickt er durch seine Autowerkstätte: «Einen wie ihn habe ich nie mehr trainiert. Es gab nichts, was ich ihm hätte beibringen können. Messi ist Picasso, er ist Mozart. Messi ist ein Genie.»

Man hat von Messi viele Geniestreiche gesehen in all den Jahren. Einmal umspielte er das halbe Team von Getafe. 2012 erzielte Messi 91 Tore in einem Kalenderjahr. Ein Rekord für die Ewigkeit. Siebenmal wurde er zum Weltfussballer gewählt.

«Vielleicht», mutmasst Jorge Valdano, der argentinische Weltmeister von 1986, nach dem 3:0-Sieg der Argentinier am vergangenen Dienstag im Halbfinal gegen Kroatien, «sehen wir gerade den besten Messi.»

Messi tanzt vor dem 3:0 mit seinem Gegenspieler Josko Gvardiol so lange Tango, bis dem besten Verteidiger des Turniers schwindelig wird. Messi täuscht, trickst, strauchelt. Doch der Ball klebt an seinen Schnürsenkeln. Und als er ihn schliesslich zur Mitte passt, muss Stürmer Julian Alvarez nur noch den Fuss hinhalten.

Lionel Messis Traumsolo vor dem 3:0
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Zauberfloh zaubert:Lionel Messis Traumsolo vor dem 3:0

Vielleicht wird Lionel Messi irgendwann einmal nach seiner Karriere davon erzählen, wie gross der Druck war, der an dieser Wüsten-WM auf ihm lastete. Argentinien war vor dem Turnier 36 Spiele ungeschlagen. Im vergangenen Jahr haben die Gauchos die Copa América gewonnen.

«Messi wird niemals Maradona sein»

Dann kamen der 22. November und das erste WM-Gruppenspiel gegen Saudi-Arabien. Messi trifft nach zehn Minuten zur Führung. Aber weil der Argentinier gerne mal zu Überheblichkeit neigt, geht die Ordnung im Team von Trainer Lionel Scaloni nach der Pause komplett verloren. Die Saudis drehen das Spiel. «Wir glauben es nicht», schreibt die argentinische Sportzeitung «Olé» voller Entsetzen. Auf der Titelseite Messi, der gesenkten Hauptes vom Platz schreitet. «Messi wird niemals Maradona sein», höhnen die argentinischen Journalisten.

Es ist der ewige Vergleich. Messi oder Maradona? Als Maradona im November 2020 verstarb, wurden die Fahnen im Land auf halbmast gesenkt. Es gab drei Tage Staatstrauer.

Nach der Auftaktniederlage gegen Saudi-Arabien wurde in Argentinien alles in Frage gestellt. Trainer Scalonis Taktik und Messi sowieso. «Wir hatten nach der Niederlage gegen Saudi-Arabien fünf Endspiele. Wir haben alle gewonnen. Ich hoffe, dass es so weitergeht.»

Wie oft haben sie Lionel Messi in der Heimat vorgeworfen, kein richtiger Argentinier zu sein, weil er schon mit 14 zu Barcelona ging. Weil er mit Argentinien bis vor einem Jahr keinen Titel gewonnen hatte. Weil ihm die Leidenschaft fehlt, die «viveza criolla», diese Schlitzohrigkeit der Argentinier, wenn sie das Gegenüber mit einem Augenzwinkern übers Ohr hauen.

Maradona hat mit der Hand ein Tor erzielt, Gegner mit einem Kung-Fu-Schlag niedergestreckt und nach einem positiven Dopingtest bei der WM 1994 gesagt: «Man hat mir die Beine abgeschnitten.» Maradona war Drama und grosse Worte.

Messi zitterte die Stimme, als er zum ersten Mal als Kapitän der Argentinier eine Kabinenansprache hielt.

2016 hiess es in Argentinien: «Messi ist keiner von uns»

Argentiniens Fussballer haben sich immer über ihre Technik und den unbedingten Siegeswillen, wenn es sein musste, auch mit unfairen Mitteln, ausgezeichnet. Messi ist anders. Er hat das Fussballspielen nicht auf staubigen und holprigen Plätzen in den argentinischen Elendsvierteln, sondern in der Barcelona-Akademie gelernt.

«Er ist keiner von uns», lautete das Urteil, als Messis Argentinier im Endspiel des Südamerika-Cups 2016 gegen Chile im Penaltyschiessen verloren. Messi trat danach zwischenzeitlich aus der Nationalmannschaft zurück.

In Katar ist alles anders. Messi führt sein Team an. Fünf Tore hat er bisher erzielt. Und nebenbei gezeigt, dass er auch richtig gallig sein kann. Im hochemotionalen Spiel gegen Holland liess sich Messi zu verbalen Ausfällen gegen Holland-Trainer Louis van Gaal und Wout Weghorst («Was guckst du, Schwachkopf?») hinreissen. In Argentinien mögen die Leute solche Gemeinheiten. Und mit seinen fünf Toren hat er im Alter von 35 Jahren doch noch die Herzen der mitgereisten Argentinier erobert.

«Was schaust du so du Idiot, hau ab!»
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Messi zu Oranje-Star:«Was schaust du so du Idiot, hau ab!»

Zu Hause herrscht Chaos und Kriminalität

50’000 Fans begleiten die Selección in Katar. Es gibt unter den 45 Millionen Argentiniern tatsächlich ein paar Menschen, die sich die Reise in den Orient leisten können. Die grosse Mehrheit lebt dagegen in ärmlichen Verhältnissen. Viele Eltern können das Geld für den Schulbus nicht aufbringen. Die Inflation wird Ende Jahr fast 100 Prozent betragen. Das Durchschnittseinkommen beträgt 650 Franken.

In Rosario, wo Messi aufgewachsen ist, haben Drogenbanden ganze Stadtviertel in ihre Gewalt gebracht. Nach Sonnenuntergang darf man bei Rot über die Kreuzung fahren, weil es zu gefährlich geworden ist, anzuhalten.

Als vor wenigen Tagen im Südosten Rosarios Miguel Roulin vor seiner Haustür mit zehn Schüssen hingerichtet wird, rät der Polizeiinspektor der Staatsanwältin davon ab, den Tatort zu besichtigen. Man könne ihre Sicherheit nicht garantieren. In Rosario gab es in diesem Jahr bereits 265 Morde.

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«Messi ist die einzige Hoffnung, die wir noch haben»
Ein arbeitsloser argentinischer Fabrikarbeiter über den Zauberfloh
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Lionel Messi hat unweit vom Tatort seine Jugendliebe Antonella geheiratet. Eine israelische Sicherheitsfirma sorgte für die Sicherheit der Gäste.

Vor zehn Tagen verurteilte ein Gericht die ehemalige Präsidentin Cristina Kirchner zu sechs Jahren Haft, weil sie sich bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bereichert hatte.

Der amtierende Präsident, Alberto Fernandez, ein Dozent der juristischen Fakultät von Buenos Aires, spricht kein Wort Englisch und gilt als schwächster Staatschef seit der Rückkehr zur Demokratie im Oktober 1983. In seiner dreijährigen Amtszeit sind die Preise explodiert. Es gibt im Land ein halbes Dutzend Wechselkurse, weil niemand die wertlosen Pesos haben will.

40 Prozent der Bevölkerung leben unter dem Existenzminimum.

«Nur Messi kann dieses Land retten»

Das Einzige, was die Nation am Rio de la Plata noch zusammenhält, ist der Fussball und die Aussicht auf den dritten WM-Titel. «Messi ist die einzige Hoffnung, die wir noch haben», sagt der arbeitslose Fabrikarbeiter Angel Bravo am Abend nach dem 3:0 gegen Kroatien im Staatsfernsehen, als Zehntausende in den Strassen von Buenos Aires feiern. Angel Bravo hat kurz vor der WM seinen Job verloren, weil niemand in die marode Industrie investieren will. «Nur Messi kann dieses Land retten.» Das sind womöglich etwas zu hohe Erwartungen an einen 35-jährigen Mann, der keine 1,70 m misst.

Selbst wenn Messi für Argentinien den dritten WM-Titel gewinnt und damit endgültig als grösster Fussballer in die Geschichte eingeht, ist dem Land kaum mehr zu helfen. Schon gar nicht mit einem 36,8 cm grossen Pokal.

Martin Arn hat sechs Jahre als Korrespondent in Buenos Aires und Rosario gearbeitet.

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