Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich. Es ist eine andere Zeit. Das grosse Problem dieser Epoche sind Hooligans. In den Strassen der Austragungsorte randalierende und blindwütig um sich schlagende Horden Vollidioten. Vor allem aus Deutschland und England. Immer wieder rückt der Sport in Frankreichs Grossstädten in den Hintergrund.
Ganz besonders an jenem 21. Juni in Lens. Deutschland hat gegen Jugoslawien gespielt. Nur 2:2. Der Frust bei den Fans ist gross. Auch bei jenen, die ohne Tickets unterwegs sind. Rund 300 Deutsche ziehen durch die Strassen. Die meisten Geschäfte haben wegen befürchteten Ausschreitungen geschlossen. In den Kneipen gibts nur Nicht-Alkoholisches. Grossleinwände sind abgebaut worden. Die Angst vor den Hools schleicht durch Lens.
Nivel muss als Ersatz herhalten
Die Deutschen suchen Jugoslawen, um sich zu prügeln. Einzig: Sie finden keine. Die Polizei hat die beiden Fanlager rigoros getrennt. Also werden die Flics zum neuen Feindbild.
In einer Seitenstrasse der Rue Bollaert, Nähe Bahnhof, stehen drei Polizisten. Ihr Job: die abgestellten Polizeifahrzeuge bewachen. Die Hools machen sie aus. Es ist ein halbes Dutzend. Ein Zeuge erinnert sich gehört zu haben, dass einer ruft: «Jetzt gehen wir auf die drei Bullen los, das sind nur drei, wir machen Brei aus denen.» Zwei fliehen, weil sie keine Zeit haben, ihre Gewehre mit Gasgranaten zu laden. Nivel indes erwischen die Hools.
... bis der Schädel bricht
Einer reisst ihn zu Boden. Der Franzose verliert seinen Helm. Andere gehen darauf auf den zweifachen Familienvater los. Mit Reklametafeln und mit dem Gasgranaten-Aufsatz. Dabei bricht der Schädel des Flics. Die Hools fliehen, lassen Nivel in seinem Blut zurück. Halbtot. Ein weiterer Zeuge spricht von einer Minute, einer einzigen Minute «Blutrausch». Richter Rudolf Esders, der die Täter ein gutes Jahr später verurteilen wird, spricht von purer Lust an Gewalt, von Menschen, die zu Monstern wurden. «Ihr Verhalten war ein Schock für jeden zivilisierten Menschen.»
Die Probleme mit Hooligans an Fussball-Grossanlässen akzentuiert sich zwei Jahre später, an der EM in Holland und Belgien. Es reisen Horden von gewaltbereiten Hools an – wieder vor allem aus Deutschland und England. Blick-Reporter Alain Kunz war damals in Charleroi mittendrin. Er erinnert sich: «Es war völlig absurd! Die Stadt bereitete sich auf die Prügler vor wie auf ein Volksfest mit Schlägerei-Potenzial.» Charleroi (heute 200'000 Einwohner) lässt die Öffentlichkeit daran teilhaben, wie gut sie sich rüstet. «Sie lud uns Fussball-Journalisten in den sogenannten Hooligan-Knast ein, um uns diesen stolz vorzustellen.» 15 Garagen wurden für die EM zu Zellen mit rostigen Gittern umgerüstet.
Denn in Charleroi steigt das Hochrisikospiel aller Risikospiele: Deutschland gegen England. 15'000 Fussballtouristen reisen aus dem Mutterland des Fussballs an. 10'000 aus Germany. Bevor diese die Stadt in Beschlag nehmen, tun es 3000 Sicherheitskräfte und Medienleute. Kunz: «Alle haben sie sich auf der Place Charles II. besammelt. Polizei und Co. haben für uns Journalisten eine durch sie gesicherte Zone eingerichtet. Dann hiess es Warten. Wie auf den Anpfiff im Stadion. Irgendwie pervers.»
Dann kommen sie. Nachmittags um zwei. Engländer und Deutsche. Medienwirksam und dem vorgesehenen Drehbuch folgend prügeln sie sich, schmeissen mit Stühlen und Bierflaschen um sich und werfen Schaufenster ein. Die belgische Polizei kennt kein Pardon. Sie setzt Gummiknüppel, Wasserwerfer und Tränengas ein. Die Lager werden separiert. «Ich habe Glück, als ein Polizei-Pferd in einer Seitengässchen durchgeht und ich mich mit einem Sprung aus der Gefahrenzone bringen kann.» Viele Hooligans landen in Plastik-Handschellen im Hooliganknast. Am Ende werden es 500 sein. Man will ja die eigens hergerichteten Zellen auch benutzen. Alles geht aber glimpflich ab. Einen zweiten Fall Nivel gibts zum Glück nicht.
Mit der weit entfernten WM 2002 in Japan und Südkorea wird das Ende dieses Grossanlass-Hooliganismus eingeläutet
Die Probleme mit Hooligans an Fussball-Grossanlässen akzentuiert sich zwei Jahre später, an der EM in Holland und Belgien. Es reisen Horden von gewaltbereiten Hools an – wieder vor allem aus Deutschland und England. Blick-Reporter Alain Kunz war damals in Charleroi mittendrin. Er erinnert sich: «Es war völlig absurd! Die Stadt bereitete sich auf die Prügler vor wie auf ein Volksfest mit Schlägerei-Potenzial.» Charleroi (heute 200'000 Einwohner) lässt die Öffentlichkeit daran teilhaben, wie gut sie sich rüstet. «Sie lud uns Fussball-Journalisten in den sogenannten Hooligan-Knast ein, um uns diesen stolz vorzustellen.» 15 Garagen wurden für die EM zu Zellen mit rostigen Gittern umgerüstet.
Denn in Charleroi steigt das Hochrisikospiel aller Risikospiele: Deutschland gegen England. 15'000 Fussballtouristen reisen aus dem Mutterland des Fussballs an. 10'000 aus Germany. Bevor diese die Stadt in Beschlag nehmen, tun es 3000 Sicherheitskräfte und Medienleute. Kunz: «Alle haben sie sich auf der Place Charles II. besammelt. Polizei und Co. haben für uns Journalisten eine durch sie gesicherte Zone eingerichtet. Dann hiess es Warten. Wie auf den Anpfiff im Stadion. Irgendwie pervers.»
Dann kommen sie. Nachmittags um zwei. Engländer und Deutsche. Medienwirksam und dem vorgesehenen Drehbuch folgend prügeln sie sich, schmeissen mit Stühlen und Bierflaschen um sich und werfen Schaufenster ein. Die belgische Polizei kennt kein Pardon. Sie setzt Gummiknüppel, Wasserwerfer und Tränengas ein. Die Lager werden separiert. «Ich habe Glück, als ein Polizei-Pferd in einer Seitengässchen durchgeht und ich mich mit einem Sprung aus der Gefahrenzone bringen kann.» Viele Hooligans landen in Plastik-Handschellen im Hooliganknast. Am Ende werden es 500 sein. Man will ja die eigens hergerichteten Zellen auch benutzen. Alles geht aber glimpflich ab. Einen zweiten Fall Nivel gibts zum Glück nicht.
Mit der weit entfernten WM 2002 in Japan und Südkorea wird das Ende dieses Grossanlass-Hooliganismus eingeläutet
Kroaten-Coach Blazevic ehrt Nivel
Kroatiens Nationalcoach Miroslav Blazevic (1935–2023), der auch kurz Schweizer Nati-Coach war, ehrt das Opfer, indem er jedes Spiel seines Teams mit einem Polizeihut auf dem Kopf coacht. Es waren viele Spiele. Kroatien spielte sich auf Platz drei.
Sechs Wochen lang bleibt Nivel im Koma. Als er aufwacht, ist er invalid. Halbseitig gelähmt. Auf einem Auge blind. Er kann weder riechen noch schmecken und nur noch schlecht hören. Zu Beginn kann er noch einigermassen sprechen. Mittlerweile geht auch das nicht mehr. Er kann sich nur noch mit Gesten und Blicken verständigen. Auch Lesen und Schreiben ist nicht mehr möglich. «Unser Leben wird von den Folgen dieses Tages bestimmt», sagt seine Ehefrau Lorette. «Man hat ihm seine Freiheit genommen. Es ist viel Leid und Trauer entstanden. Die Bitterkeit ist unermesslich», sagt sie zu «Sportbild».
Zehn Jahre Knast für den Haupttäter
Der Haupttäter wird wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung zu zehn Jahren Haft verurteilt. Die drei Mittäter zu sechs bis dreieinhalb Jahren. Alle sind sie längst raus aus dem Gefängnis. «Sie bekamen ihr Leben zurück. Mein Mann nicht», sagt Lorette.
In Deutschland gilt der 21. Juni als der schwärzeste Tag in der Geschichte des DFB. Bundeskanzler Helmut Kohl nennt die Vorfälle «eine Schande für unser Land.» Der Verband kümmert sich bis heute durchgehend um Nivel. 2000 wird unter Beteiligung des DFB und der Fifa die Daniel-Nivel-Stiftung gegründet, die sich gegen Fussballgewalt und für die deutsch-französische Freundschaft einsetzt. 2018 wird der Franzose mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.