Es läuft die 57. Minute bei Deutschlands WM-Hauptprobe gegen Saudi-Arabien in der Leverkusener BayArena. Bundestrainer Jogi Löw bringt Ilkay Gündogan für Marco Reus. Und Pfiffe hallen durchs Stadion!
Der Hintergrund: Vor rund einem Monat posieren die beiden türkischstämmigen Nationalspieler Mesut Özil und Gündogan gemeinsam mit dem türkischen Präsidenten Recep Erdogan. Die Bilder wurden auf dem Twitter-Kanal der AKP gepostet, der Partei des umstrittenen Machthabers.
Die hohen Wellen, welche das Foto schlägt, gehen über die deutsche Landesgrenze hinaus. Der Tenor: «Das ist geschmacklose Wahlkampfhilfe», «der Präsident eines deutschen Nationalspielers sitzt in Berlin, nicht in Ankara» oder «die sollen sich auf Fussball konzentrieren».
Gündogan und Özil werden angefeindet. In der Presse, von der Politik, in Sozialen Medien. Und auch im Stadion: Nicht nur in Klagenfurt beim Test gegen die Ösis in dieser Woche, sondern auch am Freitagabend in Leverkusen. Bei jedem Ballkontakt wird der ManCity-Star ausgepfiffen. Özil kommt nicht zum Einsatz – bei ihm hätte es wohl ähnlich ausgesehen.
Khedira verstehts, aber nur teilweise
Die anderen Spieler der deutschen Nationalmannschaft und auch Trainer Löw nehmen nach der Partie Stellung zu den Vorkommnissen. «Das hat mir wehgetan», sagt Löw gegenüber «Sky». Kimmich zur «Bild»: «Wenn wir wieder Weltmeister wollen werden, muss jeder einzelne Spieler unterstützt werden.»
Khedira versteht die Fans teilweise: «Es ist ok, wenn man damit nicht einverstanden ist und seine Meinung äussert. Aber er ist trotzdem deutscher Nationalspieler. Er bekennt sich zu Deutschland, er hat sich den Medien gestellt. Ich persönlich finde die Pfiffe nur schade. Es hat uns alle beeinflusst, nicht nur Ilkay.»
«Wollte nie ein politisches Statement setzen»
Tatsächlich hat sich Gündogan zur Thematik geäussert. «Alle türkisch-stämmigen Fussballer aus der Premier League waren zu diesem Treffen in London eingeladen. Da sind die Fotos entstanden», sagte der 27-Jährige diese Woche zur Deutschen Presse-Agentur.
Und weiter: «Ich bin immer offen für Kritik. Jeder Mensch hat seine eigene Meinung. Deshalb haben wir die Meinungsfreiheit. Dafür stehe ich auch. Klar haben wir aufgrund unserer türkischen Wurzeln noch einen sehr starken Bezug zur Türkei. Das heisst aber nicht, dass wir jemals behauptet hätten, Herr Steinmeier sei nicht unser Bundespräsident oder Frau Merkel nicht unsere Bundeskanzlerin. Deshalb war es auch nie ein Thema, ein politisches Statement zu setzen.»
Mesut Özil hat sich zur Debatte noch nicht geäussert. Aber das Thema scheint bei unseren nördlichen Nachbarn noch nicht abgeschlossen zu sein. Fortsetzung folgt. Spätestens, wenn Gündogan oder Özil an der WM in Russland zum Einsatz kommen. (leo)