Wir befinden uns im Zeitalter des schnellsten Fussballs, der je gespielt wurde: Man kann dem irrsinnigen Tempo kaum noch folgen – was gestern noch richtig war, ist schon heute falsch.
«Legende Löw» schwärmte der «Spiegel» beispielsweise noch letzte Woche. Die Begeisterung hat aber nur kurz gewährt, stattdessen zittern die deutschen Fussballfans inzwischen dem nächsten Samstag entgegen: Jetzt noch ein Flop gegen Schweden, und die Weltmeister können sich die Kugel geben, samt der Legende.
Was war Löws Plan?
0:1 gegen Mexiko. Das Schlimmste daran war die Art dieses Fehlstarts. «Der Taktiksieger heisst Osorio», lobte der entsetzte Oliver Kahn hinterher den Trainer Mexikos. Förmlich ins Messer ist dem der Bundestrainer gelaufen. Joachim Löw liess seinen Verteidiger Kimmich auf Rechtsaussen stürmen, und hinten war Deutschland ständig offen, nicht nur beim Konter zum Tor des Tages.
«Wir haben diese Strategie lange ausgetüftelt», lobte sich der Triumphator Osorio hinterher unter dem Beifall der Fachwelt, während sich viele fragten: Und was war Löws Plan? «Wir hatten keine Lösung», wundert sich Toni Kroos, der Real-Star. Und Abwehrchef Mats Hummels ist wegen der mangelnden Absicherung stocksauer: «Jérôme Boateng und ich stehen da hinten oft alleine.»
Alarmstimmung macht sich breit. Schockiert fragt sich das Land: Was ist aus den Weltmeistern geworden? Alle wissen: Das sind herausragende Spieler. Aber wie gut ist der Trainer?
Die Frage verträgt kaum das Schnaufen, denn Jogi Löw ist statistisch betrachtet der erfolgreichste Bundestrainer aller Zeiten. Nur selten hat er verloren, und er ist Weltmeister. Aber in diesem Klima der Euphorie ist untergegangen, dass es seit der WM 2014 immer holpriger läuft. Schon bei der EM 2016 scheiterten die deutschen Favoriten, obwohl das Niveau der Konkurrenz eher dürftig war. Doch damals hiess es: Wieder waren wir in einem Halbfinal, und mit unserem unerschöpflichen Talentschuppen ziehen wir dem Rest der Welt 2018 wieder das Fell über die Ohren.
Im Ausland wurde schon damals die Skepsis lauter. Die «L’Équipe» wunderte sich: «Zwei Jahre nach Brasilien haben die Deutschen keinen Plan mehr. Und der «Corriere dello Sport» staunte: «Die Deutschen machen keine Angst mehr.»
Plötzlich bläst ein Gegenwind
Umso grösser ist plötzlich die Angst in Deutschland. Die ersten Nörgler fragen sich: Wurden wir 2014 nicht wegen, sondern trotz Löw Weltmeister? Und ist Jogi nicht schon bei der EM 2012 gegen die Italiener im Halbfinal taktisch nichts mehr eingefallen?
So kann über Nacht der Gegenwind blasen. Vor einer Woche war Löw noch für zwei von drei Deutschen der tollste, schönste und bestfrisierte Trainer der Welt, ein Hexer und Messias, der die Hand auflegte und den Ball segnete, bis es gegen Brasilien irgendwann 7:1 stand. Und wer auch nur leise in Zweifel zog, dass da ein Übertrainer eine Übermannschaft befehligte, stand schnell da als vaterlandslose Spassbremse.
Nur ganz Mutige lehnten sich mit einer zweiten Meinung noch aus dem Fenster, wie der Philosoph und Fussballexperte Wolfram Eilenberger, der im «Spiegel» neulich erklärte, dass Deutschland angesichts dieser Fülle von Klassespielern mindestens zwei Titel zu wenig geholt hat, vor allem bei dem EM-Turnieren 2012 und 2016.
«Das ist kein Spitzentrainer», sagt Eilenberger. Er kann sich dabei berufen auf Löws lückenhafte Biografie als Klubtrainer. Einmal stieg er mit Karlsruhe sogar in die dritte Liga ab. Vor der WM 2006 suchte dann Jürgen Klinsmann händeringend einen Co-Trainer und fand Löw. Als Klinsmann abtrat, wurde Löw Bundestrainer. Ein Sommermärchen.
Und Löws Glück ging weiter steil. Aufgrund des Nachwuchsprogramms, das der DFB in der Krise der Jahrhundertwende gestartet hatte, fielen die Talente plötzlich wie Kokosnüsse von den Bäumen, als «Goldene Generation». Scharenweise liefen Löw fortan Weltklassespieler zu. Seine Mannschaft ist so begabt, dass man sich fast wieder an die glorreichen 70er Jahre des FC Bayern erinnert, als Franz Beckenbauer dem bekannten Kolumnisten Horst Vetten verriet: «Auch mit Ihnen als Trainer würden wir Meister werden.»
Löw macht allerhand richtig, aber womöglich nur halb so fehlerlos, wie viele im Überschwang oft glauben. Unbestritten ist seine Fähigkeit, Harmonie und Teamgeist zu erzeugen – aber seine unerschütterliche Treue beispielsweise zum unfitten Bastian Schweinsteiger 2016 war so diskutabel wie jetzt das Festhalten an Özil.
Das sind heikle Tage, aus blauem Himmel hat der Blitz eingeschlagen. Die «Goldene Generation», die prädestiniert ist für die grösste Ära des deutschen Fussballs, sieht den WM-Final im Moment nur noch mit dem Fernrohr.
Vom 14. Juni bis 15. Juli findet in Russland die Fussball-Weltmeisterschaft 2018 statt.
- Alle Infos, Highlights und Hintergründe – kurz den WM-Ticker – finden Sie hier.
- Sämtliche Ergebnisse und die besten Torjäger gibts hier in der Übersicht.
- Die Spieler aller teilnehmenden Mannschaften im Porträt: Wer wie gut spielt, lesen Sie hier im interaktiven Special.
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