Brasil-Legende Jairzinho (74)
«Pelé und ich gehen uns aus dem Weg»

BLICK trifft Brasiliens Altmeister Jairzinho am Strand von Rio und spricht mit ihm über seinen ewigen Rivalen Pelé und darüber, weshalb Brasilien Top-Favorit der WM ist.
Publiziert: 11.06.2018 um 21:55 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 04:58 Uhr
Martin Arn (Text) und Toto Marti (Fotos), Rio de Janeiro

Wer Jairzinho, den brasilianischen Weltmeister von 1970, treffen will, der begibt sich am besten in die Taberna Atlantica. Die Kneipe an der Copacabana ist sein zweites Zuhause. Sein Appartement ist nur eine Strassenecke entfernt.

Das ist gerade nach einer durchzechten Nacht äusserst hilfreich. Jairzinho trinkt und feiert gerne. In Brasilien ist der untersetzte Mann mit dem Bierbauch immer noch ein absoluter Topstar. Wo immer er sich zeigt, muss er für Dutzende von Selfies hinhalten. Unzählige Male malt er seinen Namen auf T-Shirts und wechselt dabei souverän zwischen Bier- und Whiskeyglas. Zu den Drinks lässt er sich konsequent einladen.

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Jairzinho ist auch heute noch eine begehrte Persönlichkeit in Brasilien.
Foto: TOTO MARTI

In lichten Momenten erzählt er von damals, als er bei der WM 1970 in jedem Spiel ein Tor erzielte. Ein Rekord, der bis heute unerreicht ist. Sir Alf Ramsey, damals Coach der Engländer, sagte über den Flügel: «Jairzinho war bei diesem Turnier besser als Pelé. Er war noch schwieriger zu kontrollieren.»

«Furacão da Copa» nannten sie ihn, «Wirbelsturm des Turniers». Und Jairzinho gilt als Entdecker von Ronaldo, dem er – so erzählt es Jairzinho jedenfalls – auch gleich den Übernamen Fenomeno verpasst habe.

«Passt auf», habe er zu den Spieleragenten Reinaldo Pitta und Alexandre Martins 1992 gesagt: «Es gibt da bei São Cristóvão ein absolutes Phänomen.» Für 7500 Dollar kauften die beiden die Transferrechte an Ronaldo. «Das sind Diebe», sagt Jairzinho, wenn er heute über sie spricht.

An Ronaldos Transfers zu Eindhoven, Barcelona, Inter Mailand, Real Madrid und AC Mailand hat Jairzinho keinen Centavo verdient. Darben muss er freilich nicht. Sieben Wohnungen wies er 2008 aus, als er auf der Liste der Kommunistischen Partei für das Stadtparlament von Rio kandidierte. Heute führt er eine Fussballschule und verdient sein Geld mit Werbeauftritten und als TV-Experte.

BLICK-Reporter Arn hat Jairzinho in dessen Heimat getroffen.
Foto: TOTO MARTI

Gerade vor der WM ist Jairzinho ein gefragter Mann. Den ersten Termin mit BLICK lässt er ohne Erklärung platzen. Auch am nächsten Mittag lässt sich er sich nicht blicken. «Ich war erst um sechs Uhr im Bett», entschuldigt er sich per Sprachnachricht. Morgen werde es klappen, lässt er ausrichten.

BLICK trifft den Altmeister schliesslich am Strand des Nobelviertels Barra da Tijuca, wo er ebenfalls eine Wohnung hat. Jairzinho streicht sich zufrieden über den satten Bauch. Gleich nach dem ausgiebigen Mittagessen hat er sich einen neuen Toyota gekauft, jetzt ist er bereit fürs Interview.

Über sich selber spricht er konsequent in der dritten Person.

BLICK: Jairzinho, wer war besser beim Titel 1970, Sie oder Pelé?
Jairzinho: 
Diese Entscheidung überlasse ich Ihnen und dem Publikum. Aber: Jairzinho ist bis heute der einzige Spieler, der bei einer WM-Endrunde in jedem Spiel getroffen hat. Es waren sechs Spiele, und Jairzinho hat siebenmal getroffen. Und wer hat gegen England das entscheidende Tor geschossen? Jairzinho!

Jairzinho hebt beim Jubeln Pelé hoch.
Foto: INTERNET

Sie und Pelé sind nicht die allerbesten Freunde?
Wir gehen uns aus dem Weg, selbst wenn wir uns manchmal sehen, bei Events oder im TV-Studio. Aber ich habe seine Nummer nicht. Ich brauche sie auch nicht.

Unter dem neuen Coach Tite ist Brasilien wieder eine Macht: Was macht er anders als seine Vorgänger Scolari und Dunga?
Er gibt den Spielern Selbstvertrauen. Er redet mit ihnen, geht auf sie ein. Das Spiel von Brasilien ist wieder variabler geworden, vor allem vom Mittelfeld nach vorne in die Spitze.

Gegen die Schweiz ist Brasilien klarer Favorit, oder?
Favorit ja! Aber die Schweiz ist nicht zu unterschätzen. Sie ist zu Recht bei der Endrunde dabei. Das Team hat Qualität. Es wird nicht einfach für Brasilien.

Wer wird Weltmeister?
Derjenige, der alle Spiele gewinnt.

Brasilien?
Brasilien ist dazu in der Lage. Das Team ist unter Tite ungeschlagen und damit der grosse Favorit.

Dann muss Jairzinho los. Der neue Toyota wartet. «Wir sehen uns am Abend in der Taberna», sagt er, «da unterhalten wir uns weiter, okay?» Die Sonne ist längst untergegangen hinter den Hügeln von Rio. Jairzinho sitzt tatsächlich in der Taberna an der Copacabana. An ein Interview ist aber nicht mehr zu denken.

Für Jairzinho ist Brasilien Top-Favorit an der WM.
Foto: TOTO MARTI

Das liegt nicht nur an den vielen leeren Bierflaschen auf dem Tisch, sondern vor allem daran, dass er keine Sekunde alleine ist. Väter mit ihren Söhnen, Grossväter mit den Enkeln, Frauen, Alte, Junge. Alle wollen etwas von ihm. Ein Foto, eine Unterschrift, eine Umarmung. «Hier in der Taberna», sagt er, «bin ich auf jeden Fall besser als Pelé.»

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Brasilien 1970: Das beste Team aller Zeiten?

Nach dem frühen Aus an der WM 1966 (Brasilien wurde nur Gruppendritter hinter Portugal und Ungarn) waren die Sambakicker 1970 in Mexiko auf Wiedergutmachung aus. Angeführt von Pelé, Jairzinho, Carlos Alberto, Rivelino und Tostão gewannen sie alle Spiele.

Im Final demütigte das Team von Coach Mario Zagallo Italien gleich mit 4:1. «Niemals zuvor hat eine Mannschaft eine WM so dominiert», sagte Englands Coach Sir Alf Ramsey nach dem Turnier.

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