Was wurde in Europa nicht alles über diese Winter-WM geschimpft! Fussball im Schnee? Glühwein statt Bier? Drinnen statt draussen hocken? Was dabei vergessen geht: In Buenos Aires erleben die Menschen gerade einen magischen Fussball-Sommer. 30 Grad. Millionen auf der Strasse. WM-Final. Emotionen pur.
Und mittendrin im Fussball-Wahnsinn ein Mann, der mit erst 44 Jahren vor dem grössten Erfolg seiner Trainerkarriere steht: Lionel Scaloni. Kurz nach Abpfiff des Halbfinals wird er von seinen Gefühlen übermannt, präsentiert der Welt Tränen im Grossformat. Schon vor dem Duell gegen die Kroaten zeigt Scaloni grosse Emotionen, heult, als er auf die Bedeutung der WM für sein Land angesprochen wird, wie ein Sturzbach. «Meine Spieler spielen für die Menschen in Argentinien, für die Familien, für die Anerkennung. Sie spielen nicht für Geld», sagt Scaloni mit feuchten Wangen. Mehr Heimatliebe? Geht kaum!
Mehr Erfolg? Ebenfalls nicht. Seit Scaloni die «Albiceleste» nach der WM 2018 übernommen hat, hat die Mannschaft von 56 Spielen bloss fünf verloren. 2,30 Punkte im Schnitt. Überragende Zahlen. Unter Scaloni holte Argentinien vor einem Jahr die Copa America, nun steht er im WM-Final.
Erbe von Menotti und Bilardo?
Weil er Messi hat, klar. Aber auch weil er an der Seitenlinie ganz offensichtlich weiss, was er tut. Spielten die Argentinier im Viertelfinal noch mit einer Fünferkette, stellt er fürs Halbfinal auf vier Verteidiger um. Die an diesem Turnier verblüffenden Kroaten bleiben am Ende trotz starker Startphase chancenlos.
Ob Scaloni auch im Final am Sonntag die richtige Taktik wählt? Wenn ja, dann tritt er in die Fusstapfen der beiden argentinischen Weltmeistertrainer César Luis Menotti (1978) und Carlos Bilardo (1986). Die waren als Fussballer keine grossen Nummern, Scaloni ebenfalls nicht. Zwar stand er 2006 im WM-Kader, insgesamt aber kommt er nur auf sieben Einsätze im Nati-Dress. Fast 300 Spiele für La Coruna und Abstecher nach Santander, Lazio und Bergamo stehen auf seiner Visitenkarte.
Als Trainer war er ein Jahr lang die rechte Hand von Landsmann Jorge Sampaoli. Als dieser 2017 die argentinische Nati übernimmt, folgt ihm Scaloni als Assistent. Und beerbt diesen nach der WM 2018. Der Rest ist Geschichte.
Ob sich der Mann, der wie Namensvetter Messi aus Rosario stammt, am Sonntag Weltmeistertrainer nennen darf?