Weltstar Cissé sagt mit Traumtor und Hattrick Tschüss
«Hätte gerne bei Yverdon weitergemacht»

Djibril Cissé (36), WM-Teilnehmer und Sieger der Champions League. Auch mit einem künstlichem Hüftgelenk verzaubert er die Schweizer Provinz.
Publiziert: 15.05.2018 um 08:20 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 15:15 Uhr
Cissé trifft bei Yverdon-Abschied dreifach
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Bester Skorer in der Promotion League:Cissé trifft bei Yverdon-Abschied dreifach
Dario Dietsche (Text) und Christian Merz (Fotos)

Es ist ein besonderer Samstagnachmittag auf der Sportanlage Heerenschürli in Schwamendingen. Nebst dem vertrauten Geruch brutzelnder Bratwürste und öliger Sonnencreme liegt eine ungewohnte Anspannung in der heissen Frühsommerluft.

120 Zuschauer. 240 Augen schauen nur auf einen Mann. Auf Djibril Cissé. Ein Weltstar des Fussballs. 41 mal stürmt er für die Nationalmannschaft Frankreichs. Mit Liverpool gewinnt er 2005 die Champions League. Seine Tore schiesst er in England, Frankreich, Italien, Griechenland, Russland und Katar.

Cissé gewinnt 2005 mit Liverpool die Champions League.
Foto: AP

Cissés ständige Begleiter: Farbige Frisuren, schwere Verletzungen, fette Schlagzeilen und spektakuläre Salto-Jubel. Vor drei Jahren verkündet er unter Tränen seinen Rücktritt vom Profifussball, schreibt eine Autobiographie, lässts als DJ in Frankreichs Clubs krachen.

Plötzlich machts auf dem Heerenschürli Wumms, alle sind baff. Ein doppelter Haken, Vollspann ins Lattenkreuz – Riesenkiste. Cissé, mittlerweile 36, kanns noch immer – und wie! «Das war eines der fünf schönsten Tore meiner Karriere: Technisch wars sehr schwer, Druck hinter den Ball zu kriegen, doch er ging voll ab», so der Yverdon-Stürmer zu seinem 3:2-Siegtreffer gegen die U21 des FCZ. Auch die anderen zwei Tore kommen auf sein Konto, der Hattrick ist perfekt. Der Knipser steht zwei Runden vor Schluss bei 24 Saisontreffern in der dritten Schweizer Liga – sieben mehr als der Zweitrangierte der Skorerliste.

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Cissés Präzision im Abschluss ist mit 36 noch immer überragend. Djibril Cissé sagt Tschüss in Schwamendingen | Der Franzose ist der überragende Mann bei seinem drittletzten Spiel für Yverdon.
Foto: Christian Merz

«Ich habe dem Präsidenten 20 bis 25 Tore versprochen. Noch eins und ich bin zufrieden», sagt der Vollblutprofi. Zum Aufstieg reichen seine Tore nicht. Dennoch ist Cissé «super glücklich», er habe nach knapp drei Jahren Wettkampfpause die Freude am Fussball wiedergefunden. Vor drei Jahren steht er nach seiner insgesamt dritten Operation mit künstlichem Hüftgelenk und ohne sportliche Perspektive da. Kein Klub will den Stürmer verpflichten. Überraschend öffnet Yverdon dem nimmersatten «Löwen» letzten Sommer die womöglich letzte Tür.

Treue Yverdon-Seelen – Olivier (l.), Jérôme (M.) und Corinne.
Foto: CHRISTIAN MERZ

«Der Verein kündigte uns einen grossen ‹Transfer-Coup› an, doch wir erwarteten doch nicht einen solchen Hammer», erzählt Yverdon-Fan Jérôme (38) und singt weiter im Takt «Allez Yverdon». Der Riesen-Star hat sich mehr als nur in die Amateur-Truppe integriert. «Djibril geht als Vorbild voran, gerade für die jungen Mitspieler. Klar sind wir traurig, dass er geht», so die ebenfalls aus dem Waadtland hergefahrene Corinne (45).

Dylan Tavares (r.) beackert bei Yverdon die linke Aussenbahn.
Foto: ZVG

Einer dieser Jungen ist Dylan Tavares (21). Cissé hält grosse Stücke auf den Aussenverteidiger: «Dylan gefällt mir. Er hat, wie viele andere hier, das Zeug für die Super League.» Tavares gibt die Blumen zurück: «Djibril macht ganz klar den Unterschied – er ist beeindruckend. Ich lerne deshalb so  viel von ihm, weil er sich auch Zeit nimmt, mich konstruktiv zu kritisieren.»

Zeit nimmt sich der frisurentechnisch aktuell gebändigte Star auch für seine Fans. Geübt freundlich lächelnd nimmt er nach Spielschluss eine Flasche Lokalbier entgegen. Das obwohl Cissé keinen Alkohol trinkt: «Willst du die Flasche? Sonst jemand?», ruft er beim Teambus in die Runde. Immer diszipliniert, in jeder Beziehung ein Profi, meint der aus Eschenbach angereiste Frankreich-Fan Rolf (44): «Cissé ist keinesfalls fürs ‹Pläuscheln› hier, er staucht seine Teamkollegen auch mal zusammen, will unbedingt gewinnen».

Mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen nimmt Cissé eine geschenkte Flasche Bier entgegen.
Foto: CHRISTIAN MERZ

Weshalb tut sich der Champions-League-Sieger die Amateur-Liga an? «Ich kann nicht anders. Am Tag, an dem ich nicht mehr schreie auf dem Platz, muss ich aufhören», sagt Cissé und führt aus: «Ich war nie der Talentierteste, aber mental schon immer der Stärkste». Und die körperlichen Leiden? « Die Hüfte schmerzt überhaupt nicht. Im Alter musst du dein Spiel eben anpassen, ich halte den Ball etwas länger und das Verteidigen übernehmen meine Teamkollegen». Cissé lacht.

«Was Cissé mit künstlichem Hüftgelenk zu Stande bringt, beeindruckt mich», sagt Zuschauer Rolf (44) im passenden Yverdon-Trikot.
Foto: CHRISTIAN MERZ

Er fühlt sich beim Provinzklub offensichtlich wohl. Dennoch verlässt er Yverdon Ende Saison, «meine Kumpeltruppe», wie er sagt. Er wird diese Zeit vermissen: «Ich mag die kleinen Stadien, besonders das unsere. Und auch die Qualität der Plätze überraschte mich positiv. Zudem spricht man hier allseits über Fussball; ein Land der Fussballkenner – ich liebe die Schweiz». Der tatsächliche Grund ist nicht sportlicher, sondern finanzieller Natur: Die rund 25'000 Franken Lohn pro Monat sind den Investoren zu viel. Cissé bedauerts: «Ich hätte gerne weitergemacht, ich habe sicher noch ein Jahr Fussball in den Beinen.»

Cissés Zukunft ist noch ungewiss – er habe noch mindestens ein Jahr Fussball in den Beinen.
Foto: CHRISTIAN MERZ

Ob und – wenn ja – wo Cissé noch eine Saison dranhängt, weiss er nicht: «Im Moment habe ich nichts, ich lasse allfällige Angebote auf mich zukommen.» Im Juni ist ein weiterer DJ-Auftritt in Frankreich geplant, eine eigene Kleidermarke besitzt er ebenfalls. Längerfristig sieht er sich jedoch im Fussballgeschäft – als Sportdirektor oder im Scoutingbereich. Die Yverdon-Fans werden sein kurzes Gastspiel nie vergessen. Und ihm bleibt sein Traumtor und der Hattrick in Schwamendingen. Doch jetzt sagt der Weltstar «Tschüss» – oder doch nur «auf Wiedersehen»?

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