Warten auf den neuen Hardturm
Ich will endlich wieder meine alte Heimat zurück

Die Älteren unter euch mögen sich vielleicht noch erinnern: In Zürich gab es mal das Stadion Hardturm. Seit bald 17 Jahren warten die Fans auf den Neubau. Die Leiden eines GC-Sympathisanten.
Foto: Benjamin Soland
Das lange, zermürbende Warten auf das neue Hardturm-Stadion in Zürich
RMS_Portrait_AUTOR_760.JPG
Daniel LeuStv. Sportchef
Publiziert: 21.03.2024 um 14:11 Uhr
|
Aktualisiert: 22.03.2024 um 14:55 Uhr

Wo ist dieses Schild? Hier irgendwo in unserem Kellerabteil muss es doch sein. Kinderwagen, Aquarium, alte Schulzeugnisse, Oster-Dekorationen – ich finde alles, nur eben nicht dieses verdammte Schild. Das Schild, es hing einst während Jahrzehnten im Hardturm. Bis dort 2007 das letzte Spiel stattfand und danach die Bagger auffuhren und das altehrwürdige, geschichtsträchtige Stadion dem Boden gleichmachten.

Sechstausendundsechsundvierzig Tage, sechstausendundsiebenundvierzig Tage, sechstausendundachtundvierzig Tage. Die Tage, in denen im Hardturm kein Fussballspiel mehr ausgetragen wurde, sie werden immer mehr. Ein Ende? Nicht in Sicht.

Rückblende. 1. September 2007, GC gegen Xamax, die Derniere im Hardturm. Als der Schiedsrichter um 19.35 Uhr die Partie abpfeift, gibt es kein Halten mehr. Alle strömen aufs Spielfeld, alle reissen Schalensitze aus den Verankerungen, alle schneiden sich ein Stück Grün aus dem heiligen Rasen, alle nehmen mit, was sich mitnehmen lässt. Und es lässt sich an diesem Tag sehr viel mitnehmen.

Mut zur Lücke: Nach dem letzten Spiel 2007 wird der Rasen geplündert.
Foto: Daniel Leu

Stunden später gehe auch ich nach Hause. Im Gepäck zwei hellblaue, vergilbte Schalensitze, ein Stück Rasen und eben dieses verdammte Schild, das sich seitdem in unserem Keller immer mehr versteckt hat und das in den letzten Jahren immer mehr aus meinem Gedächtnis entwichen ist.

Alles muss weg! Abschied vom Hardturm.
Foto: Daniel Leu

So ist es auch mit meiner Fan-Liebe zu GC. Seit es den Hardturm nicht mehr gibt, hat sie stark abgenommen. Der Hardturm, das war einst ein Stück weit meine Heimat. Eine Heimat, die es durch den Stadion-Abriss so nicht mehr gibt. Ich fühle mich deshalb als Vertriebener. Heimatlos. Meiner Fussball-Identität beraubt. Das macht mehr mit einem, als man auf den ersten Blick zu glauben scheint und einem lieb ist.

Die GC-Startelf damals? Ein Traum!

Wann meine Liebe zu GC genau anfing, weiss ich heute nicht mehr. Waren es meine älteren Cousins, denen ich nacheifern wollte? Oder war es der Besuch der GC-Goalie-Legende Martin Brunner im Training unseres FC Bäretswil?

Woran ich mich aber noch genauestens erinnern kann, war mein erster Stadionbesuch im Hardturm. Den vergisst man ein Leben lang nie mehr, genauso wie seine erste grosse Liebe. 3. Mai 1988, GC gegen YB, 3:0. Die GC-Startelf damals? Ein Traum! Brunner, Andermatt, In-Albon, Egli, Stiel, Ponte, Sforza, Bianchi, Matthey, Cesar, Gren. Trainer Kurt Jara. An jenem Tag sass ich elfjähriger «Goof» mit Hamü, einem Freund meines Vaters auf der Haupttribüne. Es war gefühlt ein lauer Frühlingsabend und gefühlt eine Wahnsinnsstimmung in einem vollen Stadion. Gemäss offiziellen Match-Telegramm waren damals aber nur 3500 Zuschauer im Hardturm. Egal.

Alt, älter, Hardturm: Die sanitären Anlagen 2007.
Foto: Daniel Leu

Danach ging ich regelmässig in den Hardturm. Ich nahm den 850er-Bus von Bäretswil nach Wetzikon, stieg dann in die S5 nach Zürich Hauptbahnhof und wechselte dort ins violette Vierertram bis Station Bernoulli-Häuser. Dort ging es dann durchs blaue Gestänge-Wirrwarr beim Eingang hinein ins Stadion. Und dann tat sich diese eindrucksvolle Welt auf. Dieses Flickwerk namens Fussballstadion, das Pissoir, ein Relikt von früher, die brüchige Estrade Ost, der Horber-Cervelat. Heimat für ein paar Stunden.

Legendär: Das blaue Stangenwirrwarr beim Eingang.
Foto: Daniel Leu

Ich war da, als das grosse GC 1993 in der Auf-/Abstiegsrunde an einem verregneten und kalten Samstagabend auf Delémont traf und vor mickrigen 2600 Zuschauern bloss 1:1 spielte. Torschützen der grosse Giovane Elber und der mir bis heute unbekannte Gabor Pölöskei.

Ich war da, als GC 1995 und 1996 in der Champions League gleich in sechs Heimspielen gegen die Grossen des europäischen Fussballs antreten durfte. Highlights: das 3:0 gegen Glasgow Rangers (mit einem gewissen Paul Gascoigne und Brian Laudrup) und das 3:1 gegen Auxerre (mit Trainerfuchs Guy Roux).

Ich war da, als GC 2001 gegen Porto ein letztes Mal gefühlt ernsthaft um den Einzug in die Champions League kämpfte. Doch nach dem 2:2 auswärts leitete GC-Goalie Peter Jehle im Heimspiel mit seinem Riesenflop den Anfang vom Ende ein.

Ich war da, als der Letzigrund umgebaut wurde, wir dem FCZ Asyl boten und unser Erzrivale als Heimteam ausgerechnet gegen GC 2007 im Hardturm den Meistertitel feiern durfte.

Aus Trotz parkiere ich auf der anderen Seite der Geleise

Einmal war ich aber nicht da, 2004 beim legendären Cup-Halbfinal zwischen GC und dem FCZ. Ein geschichtsträchtiger Abend. Auch für mich persönlich. Ich wohnte damals in Aarau im Exil. Existenzieller Streit mit meiner Freundin. Als sie ihre Zahnbürste eingepackt hatte und scheinbar für immer von dannen gezogen war, lag GC aussichtslos 2:5 zurück. Das war der Moment, in dem ich den TV anstellte, um über den Bruch zu meiner grossen Liebe hinwegzukommen. Der Rest der Geschichte ist bekannt. GC kehrte das Spiel, gewann sensationell noch mit 6:5 und ebenso wichtig: Wenige Tage später gab es die Versöhnung zwischen meiner Freundin und mir. Heute ist sie die Mutter unserer beiden wunderbaren Kinder. Beim anschliessenden Cupfinal zwischen GC und Wil waren wir längst wieder zusammen und sassen nebeneinander im St. Jakob-Park. Doch was dort dann passiert war, wäre wiederum eine andere Geschichte.

Die einstige Heimat der GC-Fans: Die Estrade Ost.
Foto: BENJAMIN SOLAND

Springen wir wieder nach vorne, ins Jahr 2007, nach dem letzten Spiel im Hardturm. Im November wage ich mich dann erstmals und für sehr lange Zeit auch letztmals in den umgebauten Letzigrund, der neuen Heimspielstätte von GC. Wie ein kleines Kind parkiere ich aus Trotz mein Auto auf der anderen, der richtigen Seite der Geleise und laufe über die Duttweilerbrücke rüber zum Letzigrund. Es wird ein trostloses Ergebnis, aber nicht nur, weil GC im Cup-Achtelfinal gegen Basel 0:1 verliert. Stichwort ungerechtfertigter Penalty, möglicherweise aber auch leicht subjektiv gefärbt. Hier im Letzigrund entsteht im kalten Rund einfach kein Heimatgefühl.

Wann kommt endlich der neue Hardturm?

Noch immer blockieren Beschwerden und Rekurse das Grossprojekt «Ensemble», zu dem nebst dem Stadion zwei Hochhäuser mit Wohnungen gehören. Vor wenigen Tagen kam raus, dass auch der Verein «Pro lebenswertes Zürich – Limmatraum» seit Jahren hinter den Kulissen gegen den neuen Hardturm kämpft.

Die im letzten August vom Baurekursgericht abgewiesenen Einsprachen wurden ans Verwaltungsgericht weitergezogen. Danach ist auch noch der Gang ans Bundesgericht zu erwarten. Erst dann ist die Baubewilligung gültig. FCZ-Boss Ancillo Canepa rechnet daher frühestens 2029 mit einem bezugsbereiten Stadion.

Noch immer blockieren Beschwerden und Rekurse das Grossprojekt «Ensemble», zu dem nebst dem Stadion zwei Hochhäuser mit Wohnungen gehören. Vor wenigen Tagen kam raus, dass auch der Verein «Pro lebenswertes Zürich – Limmatraum» seit Jahren hinter den Kulissen gegen den neuen Hardturm kämpft.

Die im letzten August vom Baurekursgericht abgewiesenen Einsprachen wurden ans Verwaltungsgericht weitergezogen. Danach ist auch noch der Gang ans Bundesgericht zu erwarten. Erst dann ist die Baubewilligung gültig. FCZ-Boss Ancillo Canepa rechnet daher frühestens 2029 mit einem bezugsbereiten Stadion.

Über ein Jahrzehnt lang ignoriere ich danach die neue GC-Heimspielstätte. Bis zum absoluten Tiefpunkt. 20. Juli 2019. GC spielt mittlerweile in der Challenge League. Saisonauftakt gegen Stade-Lausanne-Ouchy. Ein Geisterspiel, weil die GC-Chaoten beim Abstieg in Luzern randaliert hatten. Ich schreibe eine Reportage über die neue Hoppers-Realität. Ein leerer Letzigrund, ein unattraktiver Gegner, Bonjour Tristesse trotz mühsam erkämpftem 2:1-Heimsieg. Nach der Partie mahnt GC-Trainer Uli Forte: «Jetzt sollte allen klar sein: Diese Saison wird kein Spaziergang.»

Bonjour Tristesse: GC-Geisterspiel 2019 in der Challenge League.
Foto: BENJAMIN SOLAND

Jetzt gibt es dort gar einen Briefkasten

Kein Spaziergang ist in jenen Jahren nach wie vor das neue Stadion. Es gibt Einsprachen, Stimmrechtsbeschwerden, Genehmigungsverfahren. Als ich mit meiner Familie im Frühsommer 2022 mal wieder das Hardturm-Gelände besuche, steht dort noch immer kein neues Stadion, und auch die Bagger, die eineinhalb Jahrzehnte zuvor alles niedergerissen hatten, sind noch nicht wieder aufgekreuzt. Auf der Brache riecht es an diesem sonnigen Nachmittag nicht nach Rasen, sondern nach Gras. Längst wurden aus dem Stadion-Areal Schrebergärten, eine Bienenzüchterei und ein bunter Pumptrack.

Pumptrack statt Stadion.
Foto: BENJAMIN SOLAND

Meine Kinder freuts, mich aber weniger. Als mein älterer, damals achtjähriger Sohn fragt, warum hier nicht einfach das neue Stadion gebaut wird, merke ich nach wenigen Sätzen, dass ich ihm keine logische Antwort geben kann.

Ein letzter Besuch in diesem März. Kein Scherz, mittlerweile gibt es auf der Brache sogar einen Briefkasten, benutzt von den Hardturm-Besetzern. Sie könnten dort ja noch länger wohnen (und möglicherweise gar alt werden). Adresse auf dem Schild: Hardturmstrasse 333.

Mittlerweile hat die Hardturm-Brache gar einen eigenen Briefkasten.
Foto: BENJAMIN SOLAND

Apropos Schild. Neuerlicher Besuch im Grümpel-Keller. Dank eines Tipps meiner Freundin finde ich das Schild doch noch. Es hat sich hinter der Tür und hinter Bambusstangen und Eishockeystöcken versteckt. Wenn doch nur alles so einfach wäre …

Endlich wieder aufgetaucht: Das Schild aus dem altehrwürdigen Hardturm.
Foto: Daniel Leu
Stadion-Neubau: Es geht auch anders

Ein Blick gen Osten lässt uns Schweizer neidisch erblassen, denn Linz in Oberösterreich beweist, dass ein Stadion-Neubau keine Hexerei sein muss. Innerhalb von zwei Jahren wurden dort gleich zwei neue Arenen gebaut: die Raiffeisen Arena (LASK) und das Hofmann-Personal-Stadion (Blau-Weiss Linz). Bei beiden Stadien fuhren 2021 die Bagger auf, und beide wurden 2023 feierlich eröffnet.

Daniel Leu

Ein Blick gen Osten lässt uns Schweizer neidisch erblassen, denn Linz in Oberösterreich beweist, dass ein Stadion-Neubau keine Hexerei sein muss. Innerhalb von zwei Jahren wurden dort gleich zwei neue Arenen gebaut: die Raiffeisen Arena (LASK) und das Hofmann-Personal-Stadion (Blau-Weiss Linz). Bei beiden Stadien fuhren 2021 die Bagger auf, und beide wurden 2023 feierlich eröffnet.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?