Wolfgang Niersbach (64) war angetreten, um Fragen zu beantworten. Als die äusserst kurzfristig einberufene Pressekonferenz des DFB-Präsidenten gestern beendet war, schien allerdings weniger denn je klar zu sein, was mit den ominösen 10 Millionen Franken passiert ist, die aus dem Umfeld des Organisationskomitees der WM 2006 an die Fifa geflossen waren.
Niersbachs Version: Weil sich das OK mit der Fifa zunächst nicht auf einen Organisationszuschuss einigen konnte, hätten sich OK-Präsident Franz Beckenbauer (70) und Fifa-Boss Sepp Blatter (79) unter vier Augen getroffen. Kurz darauf sei es mit der Fifa-Finanzkommission zu einem Deal gekommen: Ein 250-Mio.-Zuschuss wurde zugesagt. Unter einer Bedingung: Zuerst müssten 10 Mio. in die umgekehrte Richtung fliessen.
Beckenbauer habe sich spontan bereit erklärt, die Millionen aus seinem Privatvermögen zu bezahlen. Erst sein – mittlerweile verstorbener – Berater Robert Schwan habe ihn gestoppt. Woraufhin der damalige Adidas-Boss Robert Louis-Dreyfus eingesprungen sei. Louis-Dreyfus, 2009 verstorben, habe dem OK das Geld 2002 geliehen. All dies habe er erst diesen Sommer «auf Umwegen erfahren», sagt Niersbach, der damals im OK Mitglied war – in die exakten Hintergründe habe ihn Beckenbauer sogar erst vor wenigen Tagen eingeweiht.
Über ein Fifa-Konto habe der DFB die 10 Mio. 2005 zurückgezahlt. Dem Fussball-Weltverband wäre dann die Aufgabe zugefallen, das Geld an Louis-Dreyfus weiterzuleiten.
Eine Version, die bei der Fifa zurückgewiesen wird. «Ich bin mit diesem Vorgang nicht vertraut», lässt Sepp Blatter gestern ausrichten. «Nach heutigem Kenntnisstand wurde keine derartige Zahlung von 10 Millionen Schweizer Franken bei der Fifa im Jahr 2002 registriert», heisst es beim Fussball-Weltverband, eine derartige Kaution entspreche «in keiner Weise den Standardprozessen und Richtlinien».
Damit ist zunächst etwas klar: Einer der alten Freunde lügt. Blatter oder Beckenbauer. Mindestens.
Doch damit nicht genug. Heute legt Ex-DFB-Chef Theo Zwanziger nach. «Es ist eindeutig, dass es eine schwarze Kasse in der deutschen WM-Bewerbung gab», sagt Zwanziger dem «Spiegel». Es sei «ebenso klar, dass der heutige DFB-Präsident davon nicht erst seit ein paar Wochen weiss, wie er behauptet, sondern schon seit mindestens 2005. So wie ich das sehe, lügt Niersbach.» Schwere Vorwürfe.
Laut Zwanziger ging das Louis-Dreyfus-Geld an Mohamed Bin Hammam aus Katar, das habe ihm der ehemalige OK-Vize Horst R. Schmidt am Dienstag telefonisch bestätigt.
Beweisen lässt sich das alles bislang nicht. Weder die Version von Niersbach, die Version des «Spiegels», noch die Version von Zwanziger.
Sicher ist: Die 10 Millionen sind geflossen. Zuerst an die Fifa, dann vom OK über die Fifa angeblich zurück zu Louis-Dreyfus.
Darüber hinaus bleiben eine Reihe brisanter Fragen. Zum Beispiel: Warum musste das OK eine 10-Mio.-Zahlung leisten, um einen 250-Mio.-Zuschuss zu erhalten? Das klingt eher nach dem Geschäftsgebaren fiktiver nigerianischer Prinzen denn nach einem logischen Vorgang.
Oder: Warum musste man sich das Geld bei Privatmännern leihen, statt bei einer Bank ein Darlehen aufzunehmen? Warum wurden die Millionen unter Angabe eines falschen Verwendungszwecks zurückgezahlt?
Warum ging das Geld über die Fifa zurück zu Louis-Dreyfus und nicht direkt? Warum geht Zwanziger mit seinen Informationen zu den angeblichen «schwarzen Kassen» erst jetzt an die Öffentlichkeit?
Warum kann sich Wolfgang Niersbach an viele Details nicht mehr erinnern, wie er gestern erklärte? Und wie kann er dann behaupten, dass bei der Vergabe «alles mit rechten Dingen» abgelaufen sei, wie er gestern mehrfach versicherte? Und warum sagt eigentlich Franz Beckenbauer nichts? Der «Kaiser» scheint als OK-Präsident der Strippenzieher im 10-Millionen-Rätsel gewesen zu sein. Bislang schweigt er. (eg)