Es ist kalt im kleinen Besucherraum im Untersuchungshäftlings-Trakt in der Justizanstalt Graz-Jakomini. Eine eisige, höchst unsympathische Kälte. Wie draussen. An diesem Donnerstag versinkt die steirische Metropole in Nebel und Grau und Kälte. Alles ist grau. Auch die Fassade des Gefängnisses, in welchem die Nazis während des Krieges Insassen reihenweise enthaupteten. Die Geschichte trägt nicht zur Stimmungshebung bei.
Auch Sanel Kuljic (38) trägt Grau. Okay, die Farbe ist in Mode. Unter dem Sweater ein weisses T-Shirt. Beige Chinos. Die Haare kürzer als zur Aktivzeit. Bärtchen. Kuljic sieht erstaunlich gut aus für einen, der seit 26 Monaten in U-Haft sitzt. Beim Gespräch durch die offene Scheibe wirkt er nicht niedergeschlagen – auch wenn einmal kurz Tränen fliessen. Ganz bewusst will sich der ehemalige österreichische Nationalspieler nicht beklagen, sagt zum Beispiel: «Die Beamten hier sind perfekt! Wenn man denen gut kommt, gibt es keine Probleme.»
«Ich gab das Geld mit beiden Armen aus»
Rückblende. Es ist der 21. Mai 2006. Noch bevor Sions Aufstieg in der Barrage gegen Xamax feststeht, gelingt Christian Constantin der Coup: Er holt von Ried den aktuellen Torschützenkönig der Ösi-Bundesliga. Teamspieler überdies, wie man in Österreich sagt. Der Mann schlägt ein wie ein Meteorit. Nach vier Spielen hat Sion dreimal gewonnen und Kuljic gelingt dreimal ein Doppelpack. Es ist seine Saison! Doch schon im Winter will der Mann mit bosnischen Wurzeln trotzdem vorzeitig weg – Krach um Geld mit CC, der Kuljic die Freigabe verweigert.
Dennoch landet Kuljic bei Austria Wien. Und sagt heute: «Das war ein riesiger Fehler! Einer von vielen in meiner Karriere. So auch, dass ich nach der Zeit bei Xamax nicht zu GC gegangen bin, obwohl ich mich bereits mit Ciri Sforza, dem damaligen Trainer, getroffen hatte.» Aber er sei immer dem Geld nach. «Ich habe es mit vollen Armen ausgegeben.» Manchmal hatte er drei, vier Autos. «Ich konnte damit nicht umgehen. Rechnungen liess ich liegen, bis ein Berater mal eine Beige entdeckte. Dadurch zahlte ich oft das Doppelte. Seit dem Tod meines Vaters, als ich 17 war, war mein Leben ein totales Chaos.» Seine Karriere ist zu seiner Walliser Zeit auf dem Höhepunkt. «Es ist das Einzige, was mich stolz macht. Dass ich es trotz dieses Chaos-Lebens im Fussball geschafft habe.» Und er wird von den Fans geliebt. Überall.
Kartnig und der Adjutant. Untersuchungshäftling Kuljic wird nicht vergöttert. Er ist einer von vielen in Graz-Jakomini. Tagwache um 5. Frühstück. 6.30 Uhr Aufschluss. «Dann geht mein Arbeitstag los», sagt Kuljic. «Ich arbeite in der Krankenstation. Teile Essen aus. Beschrifte Medikamenten-Schachteln. Hole Medis. Putze. Ich helfe, wo es geht. Auch als Dolmetscher für Serbisch.» Seit einem Jahr, seit das Urteil ergangen ist, darf er auch als U-Häftling arbeiten. «So denkt man weniger nach. Das ist gut so», sagt er. Um 15.30 Uhr geht die Türe wieder zu. Die Zelle teilt Kuljic mit «meinem Adjutanten» wie er scherzhaft sagt. Ein paar Monate lang war auch Ex-Sturm-Graz-Präsident Hannes Kartnig Zellenkollege. «Der erzählte Geschichten! Da kugelte man sich vor Lachen», blickt Kuljic zurück. Einen Fernseher darf Kuljic haben, der läuft permanent. «Aber ich schaue nicht viel fern. Ich habe begonnen, mein Französisch aufzufrischen, auch Italienisch zu lernen. Ich schreibe Briefe, studiere meine Akten.» Zum Besuchertermin kommt er mit einem dicken Aktenberg unter dem Arm.
Übers Delikt darf nicht gesprochen werden
Die Akten. Sprechen dürfen wir nicht über seinen Fall. «Das erwünschte Interview wird von der Generaldirektion für den Strafvollzug genehmigt, sofern über das Delikt nicht gesprochen wird, da sich Hr. Kuljic noch in Untersuchungshaft befindet», heisst es im Mail von Oberstleutnant Manfred Ulrich, dem Leiter der Medienstelle, der das Interview zuvorkommend autorisierte. Klar, dass wir dennoch auch über das Delikt sprechen. Alles andere wäre abnormal und unmenschlich. Aber wir schreiben nichts über diesen Gesprächsteil.
Das Urteil. Ergangen am 3. Oktober 2014, im Namen der Republik Österreich. Kuljic wird zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Fünf! Als ihm Richterin Elisabeth Juschitz bei der Urteilsverkündung an den Kopf wirft: «Herr Kuljic, Sie waren ein Fussballgott. Diese Schande müssen Sie gegenüber den Fans erst mal gutmachen», bricht er in Tränen aus. Das Gericht kennt keine Gnade. Alles, was irgendwie erschwerend wirken kann, wird Kuljic angelastet: Die zahlreichen Verbrechen, der lange Deliktszeitraum, die Tatgemeinschaft, die führende Rolle, die Intensität und Massivität der Erpressungshandlungen. Im Urteil steht: «Aus spezial- und generalpräventiven Überlegungen konnte nur mit einer empfindlichen, gänzlich unbedingten Freiheitsstrafe vorgegangen werden. Kuljic ist auch als ‹Dreh- und Angelpunkt› der Betrugshandlungen zu sehen, weil er offenkundig die weiteren Beteiligten zusammengeführt und dadurch die Spiel- und Wettmanipulationshandlungen erst ermöglicht hat, womit das Vertrauen der Allgemeinheit, dass sportliche Wettkämpfe ehrlich und fair durchgeführt werden, massiv erschüttert wurde.» Das Gericht schliesst eine Teilverbüssung in Hausarrest mit elektronischer Fussfessel von Beginn weg aus.
Er hat denselben Rechtsbeistand wie Fritzl
Der Anwalt. Es ist nicht mehr derselbe, der Kuljic vor Landesgericht vertreten und das vernichtende Urteil hat einkassieren müssen. Heute ist Kuljics Rechtsvertreter Rudolf Mayer. Die wohl schillerndste Anwaltsfigur Österreichs. Verteidiger von Serienmördern und von Josef Fritzl. Dem Mann, der seine Tochter 24 Jahre in einem Kellergefängnis versteckte und missbrauchte. Mayer sagt zum Strafmass im Fall Kuljic: «Ich finde, es ist schon sehr hoch! Die Richterin war der Meinung, dass man mit den Spielmanipulationen die weisse Weste des Sports beschmutzt habe. Eigentlich betrogen sei das Volk, weil dieses glauben durfte, dass alle Spieler ehrlich und aufrichtig im Angesicht ihres Schweisses alles geben. Im Licht der aktuellen Ermittlungen im Fussball tönt das fast wie ein Hohn.» Das Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Graz läuft. Es ist Kuljics letzte Hoffnung auf Strafreduktion, nachdem der Generalprokurator beantragt hat, die Nichtigkeitsbeschwerde beim Obersten Gerichtshof abzuweisen. Im Frühling soll die Berufung verhandelt werden.
Der Idiot. Immer wieder betont Kuljic, dass es ihm nicht darum gehe, sich als Opfer der Justiz zu sehen. «Ich habe es verbockt. Ich habe Scheisse gebaut.» Warum hat er es getan? «Diese Frage stelle ich mir oft. Ich weiss keine Antwort. Ich kann nur sagen: Ich war der Idiot! Es tut mir unglaublich leid. Aber ich kann es nicht rückgängig machen.» Die Reue erscheint aufrichtig. Dennoch empfindet er Ungerechtigkeit in Anbetracht der Strafmasse für die Mitangeklagten. Der zweite Haupttäter, Dominique Taboga, kriegte zwar drei Jahre, war aber nach zwei Monaten wieder draussen, weil er als Kronzeuge mit den Untersuchungsbehörden kooperierte. «Der hätte seine Mutter verkauft, um seine Haut zu retten», sagt Kuljic. Die weiteren Mittäter wurden zu Freiheitsstrafen von ein bis vier Jahren verurteilt. Wurde da ein Exempel statuiert, indem man den Prominentesten am härtesten bestrafte? Dieses unterschwellige Gefühl kommt auf. Kuljic sagt: «Ich habe doch niemanden umgebracht!» Mayer sagt: «In der Schweiz musste keiner wegen Wettmanipulation ins Gefängnis. Hier setzt es drakonische Strafen ab.»
Der Fussball I. Mittlerweile kann sich auch Kuljic über die starken Leistungen der Austria-Elf freuen. «Wenn ich unsere fantastischen Fans sehe, denke ich umso mehr, welche Scheisse ich da gebaut habe.» Deshalb ist für Kuljic sicher, dass es für ihn im Fussball keine Zukunft gibt. «Mit dem, was ich gemacht habe, ist da kein Platz mehr für mich. Ich gehöre nicht mehr dahin. Aber ich werde keine Angst haben, eines Tages wieder ins Stadion zu gehen, mich zu zeigen. Ich habe auch keine Angst davor, von den Leuten beschimpft zu werden.»
«Haben wir 2015? Wie alt bin ich? Alles egal»
Der Fussball II. Dass Kuljic einen derart fitten Eindruck macht, hängt auch damit zusammen, dass er regelmässig kickt. «Auf einem Gummiplatz oder bei schlechtem Wetter in der Halle. Mit den Leuten hier wie Küche, Schneiderei, Gärtnerei und so weiter.» Eine Stunde täglich gibts frische Luft. Auch duschen ist jeden Tag möglich. «Man lernt hier die kleinsten Dinge unglaublich schätzen. Einen guten Kaffee. Oder die Aussicht aus dem Fenster.» Mit dem Zählen der Tage hat Kuljic längst aufgehört. «Zu Beginn habe ich sogar die Stunden gezählt. Jetzt frage ich mich: Haben wir 2015? Wie alt bin ich eigentlich? Alles egal. Der Begriff Zeit existiert nicht mehr.»
Freunde. Es kommen nicht viele Besucher zum U-Häftling Kuljic. «Ganz ehrlich: Ich habe kein grosses Bedürfnis danach. Bis vor kurzem kam meine Mutter regelmässig. Doch nun ist sie schwer krank. Mein Anwalt, ja. Sonst? Hannes Krawanga, der ehemalige Sportchef der «Kronen-Zeitung». Alle wussten, wo ich bin. Doch kaum einer hat sich gemeldet. Nein, die brauche ich nicht mehr. Wenn ich raus bin, kremple ich alles um. Auch meinen Freundeskreis.» Und seine Frau Nicoleta? Kuljic mag nicht über sie sprechen. Und was er sagt, ist – vorsichtig ausgedrückt – nicht eben freundlich. «Das war schon seit zig Jahren nicht mehr gut. Die erste Scheidungsverhandlung war im November. Am 21. Januar ist die zweite und letzte.» Deshalb sieht Kuljic seine zwei Kinder auch kaum mehr. Das sei okay so, sagt er. Sonst würden sie den Vorwürfen der Mutter ausgesetzt. Das wolle er nicht. «Wenn das Besuchsrecht genau geregelt ist, wird sich das ändern.»
Etappen. So hangelt sich Kuljic über die Zeit, die nicht existiert hier drinnen. Von Etappe zu Etappe. Haftverhandlung. Anklageschrift. Hauptverhandlung. Urteilsbegründung. Scheidungsverhandlung. Scheidung. Nichtigkeitsklage. Berufungsverhandlung. Diese Etappen helfen, die Zeit dazwischen verstreichen zu lassen. Zeit, in der Sanel vom Tod seines Opas, seiner Oma, eines Grossonkels erfährt. Vielleicht ist auch unser Besuch eine kleine Etappe im grauen Leben des U-Häftlings Kuljic. Denn das Syndrom der nichtexistenten Zeit spielt auch hier. Drei Stunden vergehen. Wie im Flug. Der Einschluss wartet.
Zweites Leben. Irgendwann gibt es eine letzte Etappe. Die Entlassung. Der Start ins zweite Leben des Sanel Kuljic. In jenes, in welchem Fussball keinen Platz mehr hat.
Am 12. November 2013 klicken auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums bei Salzburg die Handschellen. Sanel Kuljic und zwei weitere Tatverdächtige werden aufgrund einer Selbstanzeige von Grödig-Spieler Dominique Taboga verhaftet. Die Vorwürfe: Erpressung, Wettmanipulation (juristisch: gewerbsmässiger schwerer Betrug), Nötigung.
Kuljic wird in U-Haft gesetzt und zusammen mit sieben Mittätern ein Jahr später verurteilt. Ihnen wird vorgeworfen, im Zeitraum von 2004 bis 2013 versucht zu haben, 18 Spiele (v. a. von Grödig, Leoben und Kapfenberg, wo Taboga und Kuljic spielten) manipuliert zu haben – der grösste Wettskandal in Österreich. Kuljic soll bei der Hälfte der Spiele involviert gewesen sein. Sei es durch Herstellung der Kontakte und Treffen oder als Spieler.
Bei vielen Spielen wurden hohe Beträge (bis 50 000 Euro) auf ein bestimmtes Resultat gesetzt, vorwiegend bei asiatischen Wettanbietern. Allerdings traf dieses nur in der Minderheit der Fälle ein. Gleich in 14 Fällen war Taboga mit von der Partie.
Dass Kuljic viel härter bestraft wurde, liegt daran, dass er der Erpressung von Kronzeuge Taboga schuldig befunden wurde. Kuljic weist nach wie vor vehement von sich, diesen Tatbestand erfüllt zu haben.
Am 12. November 2013 klicken auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums bei Salzburg die Handschellen. Sanel Kuljic und zwei weitere Tatverdächtige werden aufgrund einer Selbstanzeige von Grödig-Spieler Dominique Taboga verhaftet. Die Vorwürfe: Erpressung, Wettmanipulation (juristisch: gewerbsmässiger schwerer Betrug), Nötigung.
Kuljic wird in U-Haft gesetzt und zusammen mit sieben Mittätern ein Jahr später verurteilt. Ihnen wird vorgeworfen, im Zeitraum von 2004 bis 2013 versucht zu haben, 18 Spiele (v. a. von Grödig, Leoben und Kapfenberg, wo Taboga und Kuljic spielten) manipuliert zu haben – der grösste Wettskandal in Österreich. Kuljic soll bei der Hälfte der Spiele involviert gewesen sein. Sei es durch Herstellung der Kontakte und Treffen oder als Spieler.
Bei vielen Spielen wurden hohe Beträge (bis 50 000 Euro) auf ein bestimmtes Resultat gesetzt, vorwiegend bei asiatischen Wettanbietern. Allerdings traf dieses nur in der Minderheit der Fälle ein. Gleich in 14 Fällen war Taboga mit von der Partie.
Dass Kuljic viel härter bestraft wurde, liegt daran, dass er der Erpressung von Kronzeuge Taboga schuldig befunden wurde. Kuljic weist nach wie vor vehement von sich, diesen Tatbestand erfüllt zu haben.
Kuljic wird am 10. Oktober 1977 in Hallein bei Salzburg geboren. Seine Eltern stammen aus Bosnien-Herzegowina.
Die Junioren macht er beim SV Grödig. Mit Austria Salzburg wird er 1997 Meister, allerdings spielt er in der gesamten Saison nur 17 Minuten. Über den Umweg der Regionalliga schafft er den Sprung doch noch.
2005/06 wird er in Ried mit der Rekordzahl von 34 Toren österreichischer Torschützenkönig und wechselt darauf nach Sion.
Den Vertrag im Wallis löst er im März 2007 nach einem Krach um Geld mit CC auf und geht zu Austria Wien, wo er deutlich mehr verdient als in Sion. Er ist mit elf Toren in der Meisterschaft und fünf im Uefa-Cup bester Austria-Schütze, wechselt Ende Saison dennoch zum unterklassigen SC Wiener Neustadt, mit dem er als Captain aufsteigt.
2010 geht er zu Xamax. Nach einem Jahr lehnt er ein Angebot von GC ab und geht – weil er dort mehr Geld verdient – nach Griechenland zu AE Larisa. In der Nationalmannschaft kommt er auf 20 Einsätze, macht drei Tore, darunter das 2:0 beim 2:1-Sieg gegen die Schweiz im Oktober 2006. Wegen seines Wechsels zu Wiener Neustadt wird Kuljic für die Euro 2008 in Österreich und der Schweiz nicht aufgeboten.
Kuljic wird am 10. Oktober 1977 in Hallein bei Salzburg geboren. Seine Eltern stammen aus Bosnien-Herzegowina.
Die Junioren macht er beim SV Grödig. Mit Austria Salzburg wird er 1997 Meister, allerdings spielt er in der gesamten Saison nur 17 Minuten. Über den Umweg der Regionalliga schafft er den Sprung doch noch.
2005/06 wird er in Ried mit der Rekordzahl von 34 Toren österreichischer Torschützenkönig und wechselt darauf nach Sion.
Den Vertrag im Wallis löst er im März 2007 nach einem Krach um Geld mit CC auf und geht zu Austria Wien, wo er deutlich mehr verdient als in Sion. Er ist mit elf Toren in der Meisterschaft und fünf im Uefa-Cup bester Austria-Schütze, wechselt Ende Saison dennoch zum unterklassigen SC Wiener Neustadt, mit dem er als Captain aufsteigt.
2010 geht er zu Xamax. Nach einem Jahr lehnt er ein Angebot von GC ab und geht – weil er dort mehr Geld verdient – nach Griechenland zu AE Larisa. In der Nationalmannschaft kommt er auf 20 Einsätze, macht drei Tore, darunter das 2:0 beim 2:1-Sieg gegen die Schweiz im Oktober 2006. Wegen seines Wechsels zu Wiener Neustadt wird Kuljic für die Euro 2008 in Österreich und der Schweiz nicht aufgeboten.