Übrigens – die SonntagsBlick-Kolumne
Die Piraten entern die Bundesliga

Der FC St. Pauli steht vor der Rückkehr in die Bundesliga. Mit ihm kommt auch viel Pathos und viel Geschichte zurück. Die Kolumne von Felix Bingesser.
Publiziert: 21.04.2024 um 21:15 Uhr
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Aktualisiert: 22.04.2024 um 00:35 Uhr
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Die Pauli-Piraten stehen kurz vor dem Sprung ins Oberhaus des deutschen Fussballs.

Verkehrte Welt im Norden Deutschlands. Die stolzen Hanseaten vom Hamburger Sportverein dürften den Wiederaufstieg in die 1. Bundesliga erneut verpassen. Dafür mischen wohl die Freibeuter aus dem Vergnügungsviertel St. Pauli bald wieder die Bundesliga auf. Die Donnerklänge von «Hells Bells», der Pauli-Hymne von AC/DC, werden die Gegner beim Einmarsch auch in der obersten Liga wieder in Angst und Schrecken versetzen. 

Seit den 60er-Jahren, seit den militanten Protestbewegungen der Linken in der besetzten Hafenstrasse unweit des Millerntors, gibt es den Mythos FC St. Pauli. Der Aussenseiter, der Klub des Proletariats als Gegenstück zum bürgerlichen HSV. Die Piraten mit dem Totenkopf in der Flagge, der «Sexy-Aussenseiter» aus dem verruchten Vergnügungsviertel.

Der polysportive FC St. Pauli ist in den letzten Jahrzehnten auch zu einem politischen Statement geworden. Er steht für Offenheit, für Toleranz, gegen Diskriminierung und gegen Rassismus. Auch wenn der Klub längst zu einem modernen Fussballunternehmen mit VIP-Logen und perfektem Marketing geworden ist, hätte seine Rückkehr in die Bundesliga gerade in diesen Zeiten in Deutschland auch eine wichtige symbolische Komponente. Der FC St. Pauli als Gegenstück zum aufkeimenden Rechtsextremismus.

Baumeister des sportlichen Erfolgs am Millerntor ist der Jungtrainer Fabian Hürzeler, dessen Wurzeln in Schaffhausen sind. Hürzeler ist eines der grössten Trainertalente in Deutschland. Und ein begehrter Mann. Sein Erfolg mit den Piraten sorgt dafür, dass er eher früher als später bei einem der ganz grossen Klubs an der Seitenlinie stehen wird.

In St. Pauli gibt es neben dem Fussball auch andere wundersame Sportgeschichten zu entdecken. In der Ritze, der legendärsten Kneipe auf der Reeperbahn, wird heute noch Boxtraining angeboten. Leute wie Vitali und Wladimir Klitschko oder Henry Maske haben dort schon trainiert.

Der «Goldene Handschuh» ist eine andere Kneipe auf dem Kiez, mit grossem Bezug zum Boxsport. Gegründet worden ist sie von Herbert Nürnberg, der 1937 und 1939 Box-Europameister gewesen ist. Heute wird das Lokal in vierter Generation von der Familie Nürnberg geführt. Traurige Berühmtheit hat der «Goldene Handschuh» auch durch den Hamburger Serienmörder Fritz Honka erhalten. Honka hat seine späteren Opfer jeweils in diesem Lokal kennengelernt, bevor er sie umgebracht und zerstückelt hat. Vor fünf Jahren kam der Film über eines der dunkelsten Kapitel von St. Pauli in die Kinos.

Und unweit vom «Goldenen Handschuh» gibt es den Elbschlosskeller, der als «härteste» Kneipe Deutschlands gilt. Seit bald 70 Jahren ist das Lokal durchgehend und 24 Stunden am Tag geöffnet. Auch über den Elbschlosskeller gibt es ein Buch. Über «diese Parallelwelt, in der sich nicht nur traurige, sondern auch viele schöne und menschliche Momente abspielen» wie es im Vorspann heisst. Vom Obdachlosen, der ehemaligen Prostituierten bis hin zu Anwälten und Millionären ist der Elbschlosskeller Heimat für jedermann.

Mit dem FC St. Pauli kehrt nach 1977 und 2010 zum dritten Mal mehr als ein Fussballklub in die Bundesliga zurück. Es sein denn, man stolpert noch auf der Zielgeraden. Dann gäbe es mehr als genug Möglichkeiten, sein Elend auf der Reeperbahn zu ertränken.

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