Rolf Bantle feiert in diesem Jahr in einem Alters- und Pflegeheim in Basel seinen 80. Geburtstag. Er will nur noch in Ruhe seinen Lebensabend verbringen. Der Rummel, der um seine Person und sein Schicksal vor einigen Jahren entsteht, ist ihm schon damals eher unangenehm.
Denn seine spektakuläre Geschichte geht um die Welt!
Am 24. August 2004 reist Bantle mit weiteren Insassen seines Wohn- und Werkheims mit dem Car nach Mailand zum Spiel seines FCB gegen Inter Mailand. Es geht um die Qualifikation zur Champions League. Beim FCB spielt neben Captain Murat Yakin auch ein gewisser David Degen.
Beim Stand von 4:1 für Inter kurz vor Spielende drückt bei Bantle die Blase. Er sucht eine Toilette auf. Bei der Rückkehr zu seinen Kollegen irrt er sich und landet im falschen Sektor. Nach dem Schlusspfiff sucht er im Gewühl der 50'000 Zuschauer nach seiner Reisegruppe. Erfolglos. Und später findet er auch den Reisecar auf dem grossen Parkplatz nicht.
Mit 20 Euro und 15 Franken im Hosensack steht er jetzt da. Und verbringt die erste Nacht im Freien. Dann die zweite, dann die dritte. Am Ende sind es elf Jahre. Bantle lebt als Obdachloser und findet Gefallen an seiner neuen Freiheit auf den Strassen Mailands. Ihm habe es an nichts gefehlt, sagt er rückblickend.
Er hat eine Decke und einen Schlafsack und findet im Studentenquartier Baggio auch junge Menschen, die ihn unterstützen und Sympathien für den kurligen Obdachlosen haben. Er habe, formuliert er es in der Strassensprache, nie an den Ranzen gefroren. Die Tage verbringt er meist in der öffentlichen Bibliothek. Und freundet sich mit den Studenten an.
Als bevormundeter Junge ohne Familie wächst Bantle bei Pflegeeltern auf und kommt früh in eine Knabenerziehungsanstalt. Er schlägt sich später mit verschiedenen Jobs durchs Leben, bevor er in einem Wohn- und Werkheim landet. In Mailand kann er nun tun und lassen, was er will. Und auch die spendierten Becher Wein zählt keiner.
Einige Wochen nach dem Abstecher nach Mailand meldet die Amtsvormundschaft Basel einen gewissen Rolf Bantle als vermisst, die Fahndung bleibt erfolglos. Angehörige, die ihn suchen, gibt es nicht. 2011 meldet ihn das Zivilgericht Basel-Stadt als verschollen. Keiner fragt mehr nach ihm.
Bantle wäre wohl immer noch in Mailand, wenn er vor neun Jahren bei einem Sturz auf dem Trottoir nicht den Oberschenkel gebrochen hätte. Er kommt ins Spital. Und die Dinge nehmen nach Abklärung seiner Personalien ihren Lauf. Das Konsulat organisiert einen Helikopterflug ins Unispital Basel. Dort wird der Sozialdienst auf sein Schicksal aufmerksam.
Bantle wird danach in ein Pflege- und Alterszentrum in Basel verlegt. Dort findet er seine Ruhe. Und dort lebt er heute noch. Sein Status als «Verschollener» wird vor bald zehn Jahren wegen «Wiederauftauchens» aufgehoben.
Das Schicksal von Rolf Bantle geht vor zehn Jahren um die Welt. Auf jedem Kontinent wird über den Mann, der nach einem Toilettenbesuch elf Jahre verschollen bleibt, berichtet. Heute könnte so etwas kaum mehr passieren. Der FC Basel spielt nicht mehr in Mailand. Sondern in Yverdon oder auf der Lausanner Pontaise. Dort findet man den Bus immer.