Marcel Reif, wir erreichen Sie telefonisch in Deutschland. In Zeiten des Coronavirus muss die Frage gestellt werden: Wie gehts Ihnen gesundheitlich?
Marcel Reif: Gut, danke. Ich habe noch keine Grippe. Aber ich habe jetzt gerade alle Flüge gestrichen. Es macht keinen Sinn. Die Dinge werden sich wegen dem Coronavirus noch verschlimmern. Wir sind leider noch lange nicht am Ende der Geschichte. Die Länder werden ihre Grenzen zumachen. Die Chinesen haben das einzig Richtige gemacht. Wobei: Auch sie haben den Virus am Anfang unterschätzt.
Mit 70 Jahren gehören Sie auch zur Risikogruppe. Haben Sie keine Angst?
Klar, aber es ist in der jetzigen Lage vernünftiger, nicht auf Panik zu machen. Man muss sich dem stellen, in vernünftigem Rahmen, darum habe ich jetzt auch alle Flüge abgesagt.
Hat das Coronavirus auch sonst Einfluss auf Ihr Privatleben?
Natürlich. Meine Frau arbeitet als Medizinerin in einer Klinik. Wir versuchen jetzt schon, die sozialen Kontakte auf ein Minimum zu beschränken. Ich mache Homeoffice, soweit dies geht. Auch mit Skype, zum Glück gibt es das heute. Denn ich arbeite ja beim Fernsehen, mich muss man deshalb am Bildschirm sehen.
Als am 23. Februar in Italien die ersten Serie-A-Spiele wegen dem Coronavirus abgesagt wurden, was dachten Sie sich dabei?
Schon zuvor, als die chinesische Millionenstadt Wuhan abgeriegelt wurde, dachte man, so etwas geht nur in einem totalitären System. Jetzt weiss man: Das war die einzig richtige Methode. Und die einzige Chance, die Ausbreitung des Virus in den Griff zu kriegen. Nur: Man weiss natürlich auch, die Italiener neigen zum Drama. Sie haben dann aber Schritt für Schritt, zuerst in der Lombardei, alles abgeriegelt, um die Ausbreitung zu verhindern. Sie haben Grossveranstaltungen untersagt. Sie haben alles richtig gemacht, nur vielleicht ein wenig zu spät.
Die englische Premier League hat das Virus lange Zeit unterschätzt ...
Ja, bei den Engländern kam natürlich wieder der Reflex der «Splendid Isolation» (wunderbare Isolation, die Red.). Die Engländer sagten sich wie schon oft: Wir leben auf einer Insel, wir bekommen vom Virus nichts ab. Das war ein grosser Fehler – und ein kostspieliger dazu.
Was halten Sie von Geisterspielen?
Ehrlich gesagt gar nichts. Ich verstehe ja, dass die Ligen ihre Meisterschaften fertig spielen wollen. Aber ist das noch Fussball? Ich glaube, es wird zu Absagen der Meisterschaften kommen müssen. Wir haben jetzt Mitte März, die Meisterschaften gehen bis Mitte Mai. Wir können jetzt nicht zwei Monate lang Geisterspiele veranstalten. Du musst jetzt den Stecker ziehen, manchmal musst du den Menschen auch zu seinem Glück zwingen. Ich glaube, es werden in Europa keine Geister-Meisterschaften zu Ende geführt.
Nächsten Dienstag und Mittwoch fällt die Champions League aus, das Teleclub-Studio in Volketswil ZH wird leer bleiben. Was machen Sie an diesen fussballfreien Abenden?
Ich werde so tun, als hätte es Fussball nie gegeben. Meine Frau und ich werden Gesellschaftsspiele machen, Bücher lesen. Der Teleclub hat meine Reise nach Paris abgesagt. Im ersten Moment dachte ich: Schade! Doch jetzt muss ich nächste Woche so tun, als könnte es ein Leben ohne Fussball geben, dabei ist Fussball für mich lebenswichtig.
Sie sagten diese Woche auch mal: «Wichtig ist nur die Gesundheit, so wichtig der Fussball auch ist.»
Genau. Man kann jetzt nicht rumjammern. Wir sind Teil der Gesellschaft.
Wer soll deutscher Meister werden, wenn alles abgesagt wird?
Gute Frage, das weiss ich jetzt noch nicht. Die ersten vier Klubs in der Tabelle sollen nächste Saison Champions League spielen dürfen. Der Meistertitel ist in Deutschland ökonomisch nicht so wichtig. Wenn es diese Saison keinen Meister gibt, müssten wir damit leben. So eine dramatische Situation erfordert ungewöhnliche Massnahmen. Aber nicht alle Klubs haben finanziell ein solches Polster wie Bayern, Liverpool, YB oder der FC Basel. Und: Was ist zum Beispiel mit dem FC Thun los, wenn er ohne Zuschauer spielen muss und danach auch noch absteigt? Die Klubs sollten in dieser Zeit auch über Solidarität nachdenken: Müssten, ehrlich gesagt, nicht die Reichen den Armen helfen?
Schlimm wäre ein Meisterschaftsabbruch in der Premier League vor allem für Jürgen Klopp, der mit 25 Punkten vor Manchester City die Tabelle anführt und mit allergrösster Wahrscheinlichkeit den ersten Titel seit 30 Jahren für die Reds holen würde ...
Ja, das wäre wirklich bitter. Wenn jetzt einer tatsächlich sagt, dass ManCity noch eine Chance auf den Titel hat, glaubt er an den Weihnachtsmann. Ich würde mir wünschen, dass City-Trainer Pep Guardiola hinstehen und sagen würde: «Liverpool ist Meister!»
Besonders bitter wäre ein Meisterschaftsabbruch auch für Super-League-Leader St. Gallen, wo Trainer Peter Zeidler mit seiner Rasselbande bisher hervorragende Arbeit leistet ...
... ja, aber man kann deshalb nicht einfach so tun, als wäre mit dem Coronavirus alles halb so schlimm, und damit Todesopfer in Kauf nehmen. Weiterspielen kann eigentlich keine Option sein.
Kann es unter diesen Umständen in diesem Sommer überhaupt eine EM geben?
Wenn du dir eine Situation aussuchen willst, bei der wirklich alles den Bach runter gehen und im Chaos enden soll, dann organisiere eine paneuropäische EM in zwölf Ländern. Von Baku in Aserbaidschan bis Dublin in Irland. Das klingt in der jetzigen Zeit wie ein schlechter Scherz. Wenn keine EM stattfindet, haben die Ligen, wenn die Situation mit dem Virus wieder im Griff sein sollte, eventuell die Möglichkeit, ihre Meisterschaften zu Ende zu spielen.
Die Schweiz müsste an der EM unter anderem in Italien spielen ...
... Italien? Undenkbar. Ausser, es gäbe plötzlich noch eine Wunderheilung. Ich habe jetzt, wie gesagt, meinen Flug nach Zürich gestrichen. Auch den Rückflug nach Berlin. Die Champions-League-Sendung ist gestrichen. Ich muss jetzt so tun, als könnte es ein Leben ohne Fussball geben.