David Wagner, waren Sie in der Schule ein guter Kunstturner?
David Wagner: Nein, ich war schlecht. Während meines Sportstudiums an der Uni musste ich im Turnen allerdings alle Scheine bestehen: Reck, Boden, Barren, Salto, Handstand. Alles bestanden. Warum?
Weil es ein ganz schöner Spagat ist, den Sie zwischen Champions und Super League vollführen müssen.
Den Spagat konnte ich damals nicht. Und ich kann ihn auch heute noch nicht. Aber um ganz ehrlich zu sein: Es ist ja nicht wirklich etwas Neues. Wir hatten ja von Beginn an einen Balanceakt zu vollführen mit Champions-League-Qualifikation, Meisterschaft und Cup. Und dabei bleibt es, der Umfang verändert sich nicht. Nur die Gegner sind andere.
Aber der Fokus verlagert sich doch, wenn ein Cristiano Ronaldo für sein erstes internationales Spiel nach seiner Rückkehr zu ManU nach Bern kommt. Das ist doch eine ganz andere Dimension, als wenn Cluj kommt.
Ein Gegner wie Manchester United ist natürlich nicht alltäglich. Die meisten Super-League-Gegner sieht man dagegen viermal im Jahr. Doch das Spiel gegen Zürich war von der Wertigkeit her nicht weniger wichtig.
Der Druck in der Meisterschaft ist schon ziemlich gross nach den guten Saisonstarts von Basel und FCZ.
Klar. Wir durften uns eine Niederlage gegen Basel nicht leisten. Aber das galt auch schon in Sion. Es fehlen uns einige Punkte in unserer Rechnung. Die gilt es in den nächsten 31 Spielen gutzumachen.
Was haben Sie gedacht, als Ihr Gegner Manchester United plötzlich mit Ronaldo geschmückt daherkam?
Ich fand das schon ziemlich cool! Aber es war ja klar, dass sich United noch verstärken musste, nachdem sie sahen, gegen wen sie im ersten Spiel anzutreten haben (lacht laut) ...
Ronaldo ist der Wahnsinn. Wenn man gesehen hat, wie er Portugal wieder rettete ...
Aber vor seinen beiden Toren in Irland hat er einen Penalty verschossen. Von da her passt er bestens zu uns … Aber ManUtd ist ja nicht nur Ronaldo. Nein, die Champions League wird cool. Dafür haben wir auch sehr hart gearbeitet. Und nicht nur wir. Auch diejenigen, die letzte Saison den Titel geholt haben und jetzt nicht mehr bei YB sind wie Gerry Seoane. Jetzt wollen wir das, wie man so schön sagt, geniessen. Ich weiss, was damit gemeint ist. Aber geniessen kannst du nur, wenn du gut Fussball spielst. Und das wollen wir machen. Und versuchen, Punkte mitzunehmen.
Und nicht nur Ronaldo kommt. ManUtd ist eine Weltauswahl.
Das ist beeindruckend. Und irgendwie auch verrückt. Da kannst du eine Mannschaft mit zehn Stürmern aufstellen. Dann spielen Martial und Lingard halt in der Innenverteidigung. Ich weiss aus eigener Erfahrung: Es ist extrem spassig, sich mit solchen Teams zu messen. Da wird eine Wahnsinns-Atmosphäre herrschen. Wir freuen uns extrem auf das Spiel und die elektrisierende Stimmung im Stadion Wankdorf.
Und Paul Pogba bittet zum Tanz – wie beim WM-Out gegen die Schweiz.
Da kann ich nur sagen: Das Ding ist erst zu Ende, wenn es zu Ende ist. Er ist ein Ausnahmekönner. Pogba hat schon damals gespielt, als wir mit Huddersfield ManUtd schlagen konnten.
Sie haben eine kunterbunte Herkunft: Deutschland, Thailand, USA. Sind da von überallher Einflüsse mitgekommen?
Wahrscheinlich schon. Deswegen sehe ich ja so aus, wie ich aussehe.
Irgendwie nicht zuzuordnen …
Ja, genau (lacht laut). Das passt: nicht zuzuordnen. Was Charakter und Wesenszüge anbelangt, weiss ich nicht, um ganz ehrlich zu sein, ob das so ist. Rein optisch schon. Was man sagen kann: Ich bin einer, der gerne auf dieser Welt ist und das auch gerne lebt und zeigt. Ich unterhalte mich gerne mit Leuten, bin kommunikativ – am Ende aber doch ein einfach gestrickter Typ, der kein Abenteurer ist, auch wenn meine Trainervita das nicht unbedingt widerspiegelt. Denn ich mag Routinen. Einer, der immer wieder das Gleiche macht, wenn er weiss, das ist gut – sowohl im Job als auch im Restaurant: Wenn ich weiss, dass mir etwas schmeckt, dann nehm ich das. Da bin ich dann kein Ausprobierer.
Gibts da auch schon erste Schweizer Einflüsse – oder war die Zeit dafür zu kurz?
Eher ein paar Ausdrücke: tipptopp, parkieren, grillieren, mir luege. Ich finde Schweizerdeutsch eine herausragend grosse Herausforderung. Englisch ist zehnmal einfacher … Ich hoffe jedenfalls viele Jahre hier zu bleiben, um diese neue Kultur richtig kennenzulernen. Klar sind weder England noch die Schweiz das exotischste Ausland. Aber es ist anders als das, was ich 45 Jahre kannte. Das lässt dich reifen und mehr «open-minded» sein. Das ist das, was ich sehr wertschätze, weil man in der Regel am Arbeiten und in seinem Tunnel ist. Ich bin aufgeschlossen allem gegenüber und lerne gerne dazu. Um ganz ehrlich zu sein.
Zählen Sie mit, wie oft Sie an einer Medienkonferenz sagen: «Um ganz ehrlich zu sein»?
Sage ich das so oft, echt?
Ja. Da gibts schon Zusammenschnitte auf Youtube und so …
Wirklich? Ich bin nicht auf Social Media. Wahrscheinlich habe ich das in England gelernt, weil die in jedem dritten Satz sagen: «To be honest.»
Das kommt also unbewusst.
Ja. Also um ganz ehrlich zu sein: Es ist hier und jetzt das erste Mal, dass ich bewusst «um ganz ehrlich zu sein» sage … Ich werde mir Mühe geben, mich zu verbessern.
Sind Sie als Vater stolz, dass Ihre Tochter Lea den Job als «Sportschau»-Moderatorin beim ARD erhalten hat?
Nö. Ich bin stolz, dass meine beiden Töchter Sachen gefunden haben, die sie mit Leidenschaft und Freude machen. Die jüngere Tochter studiert soziale Arbeit. Aber auf beruflichen Erfolg der Kinder stolz zu sein? Wahrscheinlich fehlt mir dieses Gen.
Gabs mit Lea erste Fachdiskussionen über YB?
Nein. Es geht häufiger um sie, um ihre Inhalte, wo ich vielleicht den einen oder anderen Tipp geben kann. Aber, um ganz ehrlich zu sein – ups, da wars wieder ... Lea macht auch Radfahren und Skispringen. Da kann ich nicht helfen.
Dann ist das Risiko also gering, dass sie sich erneut auf Social Media negativ über VAR-Entscheide äussert – wie es der Fall war, als Sie Schalke-Trainer waren.
Ich glaube, sie hat unterschätzt, welch mediale Wirkung das hat – wenn sie es, bei meiner Funktion, als meine Tochter macht.
Es könnte an Ihnen als Nicht-Social-Media-Nutzer auch einfach vorbeigehen.
Social Media ist vollständig an mir vorbeigegangen. Ich verstehe nicht, wie man das gut finden kann – das, was man privat macht, permanent mit allen zu teilen. Und was ich beruflich mache, kriegt man auch so mit. Aber ich muss auch nicht alles verstehen.
Als Sie als Spieler aufhörten, sagten Sie, Sie hätten keine Lust mehr, dass Ihnen jemand vorschreibt, was Sie zu essen und wann Sie ins Bett zu gehen haben. Da gibt es nun wirklich niemanden, der das tut?
Nein, ausser meinem Gewissen.
Sie nahmen sich eine Auszeit vom Fussball, als Sie als Spieler aufhörten. Warum?
Ich hatte keine Lust mehr auf meine Leidenschaft. Ich habe gespürt, dass ich nicht mehr dafür brenne, und sagte mir: Es muss noch was anderes ausserhalb dieser Fussballblase geben, das Spass macht. Doch weil ich nicht viel anderes kann, begann ich zu studieren: Lehramt. Ich stellte mir vor, dass man da zwölf Wochen frei hat und jeweils nur einen halben Tag arbeitet. Das stimmt natürlich überhaupt nicht. Aber so studierte ich Sport und Biologie. Und habe abgeschlossen. Wenn wir von Stolz reden: Darauf bin ich stolz!
Dann kamen Sie doch zurück ...
Mein bester Freund sagte mir: Die Kombination Ex-Profi, abgeschlossenes pädagogisches Studium und Fussballlehrer ist eine Wild Card für einen Einstieg in den Profi-Fussball. Ich war fast vier Jahre draussen. Erst im letzten kam ich ein bisschen zurück. Dieser Freund wurde damals Trainer in Mainz. Und ich habe kein Spiel von ihm gesehen. Obwohl ich nur 70 Kilometer entfernt lebte. Dazu kam das Erkennen der finanziellen Relationen.
Dieser beste Freund …
Ja, ja – es ist Jürgen Klopp.
Trotz seines Tipps lief es nicht gut an.
Nein. Ich war Jugendtrainer bei Hoffenheim. Doch mein Vertrag wurde nach zwei Jahren nicht verlängert. So war ich arbeitslos, ging mich aufs Arbeitsamt bewerben und studierte wieder. Bis die Offerte als Trainer der Dortmunder Reserven kam.
Seither haben Sie aber schon das eine oder andere Spiel Ihres besten Freundes gesehen?
Klar. Auch ganz nah. Weil wir gegeneinander gespielt haben, als ich Trainer von Huddersfield war.
Haben Sie da ein Spiel gewonnen?
Nein. Ich habe alle verloren. Zweimal Premier League, zwei Testspiele. Wir haben in zwei Meisterschaftsspielen nicht mal ein Tor geschossen.
Manchester United aber haben Sie geschlagen. Wie war das möglich?
Wir waren an dem Tag bockstark. United hat uns sicher auch unterschätzt. Wir waren super in der Chancenverwertung. Und das Wetter war katastrophal, so dass man eigentlich nicht vor die Tür hätte gehen wollen.
Hat eigentlich YB Sie ausgesucht – oder Sie YB?
Naheliegend wäre mit meiner Vita gewesen, dass ich auf einen Job in der Bundesliga oder in England gewartet hätte. Ich habe meinem Agenten aber gesagt, dass mich auch Mannschaften in kleineren Ligen interessieren, die eine Chance haben, international zu spielen und Titel zu gewinnen. Gepaart damit, dass man dort Neues kennenlernt. Und dann kam YB und hat mich gefragt. Jetzt kann sich jeder selber ausmalen, was zuerst war. Ich habe bei YB eine sehr gut funktionierende Organisation mit Menschen angetroffen, die einem schnell ans Herz wachsen.
Haben Sie eigentlich gegen YB-Chefscout Stéphane Chapuisat gespielt?
Mmh. Ich habe gegen Dortmund gespielt. Lassen Sie mich überlegen. Klar! Als der BVB die Champions League gewann und wir mit Schalke den Uefa-Cup. Also: Er hat gespielt und ich hab gesessen …*
Also keine konkreten Erinnerungen an Chappi?
Mehr an die Innenverteidiger. An Jürgen Kohler und Julio Cesar. Gegen die musste ich ja spielen.
Aber vom TV kannten Sie ihn schon.
Logisch. Um ganz ehrlich zu sein: Als Chappi bei den Gesprächen dabei war – das ist 'ne Legende. Nicht dass ich in Ehrfurcht erstarrt wäre. Aber es ist einzigartig, welch ein Stürmer Stéphane war! Zudem ist er ein richtig netter, bescheidener und lieber Mensch.
* Am 13. April 1996 stand Wagner sieben Minuten gemeinsam mit Chappi auf dem Platz, als er in einem seiner total 30 Bundesliga-Einsätze bei einem 0:0 gegen den BVB kurz vor Schluss bei Schalke Youri Mulder ersetzte. S04 war damals Tabellenvierter, Dortmund Leader.
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | FC Lugano | 18 | 6 | 31 | |
2 | FC Basel | 18 | 21 | 30 | |
3 | FC Lausanne-Sport | 18 | 9 | 30 | |
4 | FC Luzern | 18 | 3 | 29 | |
5 | Servette FC | 18 | 2 | 29 | |
6 | FC Zürich | 18 | -1 | 27 | |
7 | FC Sion | 18 | 4 | 26 | |
8 | FC St. Gallen | 18 | 6 | 25 | |
9 | BSC Young Boys | 18 | -4 | 23 | |
10 | Yverdon Sport FC | 18 | -12 | 17 | |
11 | Grasshopper Club Zürich | 18 | -10 | 15 | |
12 | FC Winterthur | 18 | -24 | 13 |