Von wegen Fans sind wichtig!
An dieses Geisterspiel kann sich niemand mehr erinnern

BLICK will wissen, ob Spiele ohne Fans für Fussballer wirklich derart grausam sind und hat sich umgehört. Das Resultat: Geisterspiele sind zum Vergessen – wortwörtlich.
Publiziert: 19.05.2020 um 01:58 Uhr
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Aktualisiert: 19.05.2020 um 08:29 Uhr
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Sommer 2008: Adrian Nikci und der FCZ spielen gegen YB und Mario Raimondi vor leeren Rängen.
Foto: EQ Images
Michael Wegmann

Keiner, der zujubelt, der anpeitscht, der pfeift. Keine Fans, keine Stimmung, keine Atmosphäre. «Unangenehm.» «Grausam.» «Die Antithese von Fussball», sagen Fussballer und Trainer über Geisterspiele. «Sport ohne Herz» oder: «Wie eine Bar ohne Drinks», schreiben Fussball-Journalisten.

Logisch müssen sich Geisterspiele bei den Direktbeteiligten unwiderruflich ins Gedächtnis einbrennen, sollte man meinen. Traumatische Erlebnisse. Albträume. Langzeitschäden.
Deshalb fragen wir den heutigen Thun-Trainer Marc Schneider, was ihm alles so durch den Kopf schiesst, wenn er ans trostlose 1:2 im August 2008 beim FCZ zurückdenkt. Ans einzige Geisterspiel seiner Karriere. Ans einzige Geisterspiel von YB. Doch irgendwie kommt alles ein wenig anders.

Marc Schneider, welche Erinnerungen haben Sie an Ihr Geisterspiel mit YB gegen den FCZ?
Marc Schneider: Welches Geisterspiel?

Im Letzigrund am 3. August 2008. Sie verloren 1:2.
Daran kann ich mich nicht erinnern.

Ihr Kumpel Silvan Aegerter schoss ein Tor für den FCZ.
Ah, jetzt weiss ich welches Spiel! (lacht) Es war brutal heiss damals. Dass wir ohne Fans­ ­gespielt haben, weiss ich aber nicht mehr.

Dann kann es also nicht so schlimm gewesen sein.
In dem Fall wars wohl kein einschneidendes Erlebnis für mich. Aber fragen Sie mal Häbi, der weiss sicher noch mehr.

Thomas Häberli, wir reden mit Fussballern, die schon mal ein Geisterspiel absolviert haben. Wie war Ihres?
Thomas Häberli: Habe ich wirklich schon einmal in einem Geisterspiel gespielt?

Ja. Im Sommer 2008 gegen den FCZ.
Ui, das ist jetzt peinlich. In dieser Saison war ich sogar Captain bei YB. Aber vielleicht war ich an diesem Tag verletzt. Ja, ich muss verletzt gewesen sein.

Waren Sie nicht. Zumindest spielten Sie 90 Minuten durch. Erminio Piserchia war damals Ihr Trainer.
Piserchia? Dann muss es in der vierten oder fünften Runde gewesen sein. Er hat für zwei Spiele übernommen, bis Vladimir Petkovic gekommen ist. Dass man Andermatt schon nach dem dritten Spiel entliess, beschäftigte mich damals sehr. Ans Geisterspiel erinnere ich mich trotzdem nicht. Aber fragen Sie mal Marc Schneider, der weiss noch alles.

Schon gemacht. Er hat uns an Sie verwiesen.
(Lacht) Dann versuchen Sie es mal bei Mario Raimondi.

Foto: Keystone

Mario Raimondi, haben Sie in Ihrer Karriere ein Geisterspiel absolviert?
Mario Raimondi: Ein Geisterspiel? Warten Sie kurz. Ich nehme mal an, dass ich eines gespielt habe, sonst würden Sie kaum fragen, oder?

Ja.
Irgendwas ist da in meinem Hinterkopf. Aber ich brauche ein bisschen Zeit. Ach, helfen Sie mir doch!

Im 2008 im Letzigrund gegen den FCZ.
Darauf wäre ich jetzt nicht gekommen. Haben wir gewonnen?

Nein, 1:2 verloren. Auch Marc und Häbi konnten sich nicht erinnern.
Das beruhigt mich jetzt aber! (lacht)

Irgendwie kann ein Geisterspiel für einen Fussballer also nicht so ein traumatisches Erlebnis sein.
Die Umstände waren damals auch andere. Es war für uns ein einziges Geisterspiel in der Saison, das ist nicht so speziell. Aber 13 hintereinander, die nun anstehen, wären schon was anderes. Wer hat damals eigentlich die Tore erzielt?

Saif Ghezal für YB. Dusan Djuric und Silvan Aegerter für den FCZ.
Dann fragen Sie am besten Sile. Er erinnert sich bestimmt. So viele Tore hat er ja nicht wirklich geschossen.

Foto: Keystone

Bevor wir Aegerter anrufen, versuchen wir es noch bei anderen YB-Profis von damals: Bei Baykal, Marco Schneuwly und Alberto Regazzoni.

Baykal, haben Sie schon mal in einem Geisterspiel gespielt?
Baykal: Ja, das hab ich.

Endlich jemand, der sich erinnert. Und wie wars?
Das war 2005 mit dem FC Basel auswärts gegen Roter Stern Belgrad. Delgado und Rossi haben beim 2:1-Sieg die Tore geschossen.

Also kein Geisterspiel in der Super League erlebt?
Nein, da war ich nie auf dem Platz.

Doch. Im Sommer 2008 spielten Sie mit YB beim FCZ im leeren Letzigrund. Sind die Erinnerungen daran verblasst?
Ja, komplett. Als Fussballer war ich jeweils total fokussiert. Dass da keine Fans auf der Tribüne waren, hab ich also total ausgeblendet. Fussball ist Unterhaltung, Fans gehören dazu. Aber wenn sie nicht da sind, ist es noch immer Fussball. Es geht noch immer um Sieg oder Niederlage.

Foto: SOL

Marco Schneuwly. Haben Sie gute Erinnerungen an Ihr einziges Geisterspiel?
Marco Schneuwly: Bei einem Geisterspiel bin ich nie auf dem Platz gestanden.

Doch, sind Sie.
Wann soll das gewesen sein?

Im Sommer 2008 gegen den FCZ im Letzigrund.
Echt jetzt?! Da habe ich jetzt Glück gehabt! (lacht) Ich wäre gerade jede Wette eingegangen, dass ich nie Teil eines Geisterspiels gewesen bin. Es hat auf alle Fälle keinen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Alberto Regazzoni, so wie es aussieht, werden in der Schweiz die Profi-Ligen ohne Zuschauer fertig gespielt.
Alberto Regazzoni: ... Geisterspiele, scandalo! Ohne Zuschauer, das ist wirklich schlimm!

Sie müssen es ja wissen.
(Lacht) Sie meinen, weil ich meine letzte Saison beim FC Rancate in der 3. Liga vor jeweils etwa 50 Zuschauern gespielt habe?

Nein. Sie haben in der Super League bei einem wirklichen Geisterspiel gespielt. Zuschauer waren keine zugelassen.
Oioioi! Vero? Ganz ohne Fans?

Ja.
Ah. Ich erinnere mich: Das war mit YB gegen Lausanne.

Nein, gegen den FCZ im Sommer 2008. Sie kamen zur Pause für Schneuwly.
Ein Geisterspiel! Und ich habe keine Ahnung mehr. Unglaublich!

Es scheint, als wäre dieses Geisterspiel wie von Geisterhand von der Festplatte der damaligen YB-Stars gelöscht. Ein Geisterspiel zum Vergessen! Fragen wir mal Albert Staudenmann, seit zehn Jahren YB-Kommunikationschef, davor Sportjournalist bei der «Berner Zeitung».

Albert Staudenmann, kein YB-Spieler kann sich mehr ans Geisterspiel beim FCZ erinnern.
Albert Staudenmann: Von einem Geisterspiel beim FCZ wüsste ich jetzt auch nichts mehr. Wann war das?

Im Sommer 2008.
Da war ich noch Journalist bei der «Berner Zeitung». Ich habe aber nicht alle YB-Spiele besucht, weil ich auch für die Nationalmannschaft zuständig war.

Foto: Andy Mueller/freshfocus

Wir schauen im Zeitungs-Archiv nach. Am 4. August, dem Tag nach dem Geisterspiel, titelt die «Berner Zeitung» auf Seite 9: «Ein Fussballerlebnis zum Vergessen». Und schreibt: «Eigentlich hat Spitzenfussball ohne Zuschauer so wenig Reiz wie ein Aufenthalt im Freibad ohne Wasser im Pool.» Autor des Artikels? Ja, irgendwie passt es: Albert Staudenmann.

Also muss doch Silvan Aegerter, der FCZ-Torschütze von damals, für alle Berner in die Bresche springen. Immerhin gelingt ihm damals ein gutes Spiel (BLICK-Note 5) – im Gegensatz zu Häberli (3), Baykal (2), Schneider (2), Raimondi (2), Regazzoni (2) und Schneuwly (2).

Silvan Aegerter, Sie müssen nun für Ihre ehemaligen YB-Konkurrenten einspringen.
Silvan Aegerter:
Warum?

Keiner von ihnen kann sich mehr an sein Geisterspiel erinnern. Sie hatten zwei.
Uii, das ist lange her. Ich glaube eines war gegen Xamax auf dem Letzigrund. Ich erinnere mich noch an die Fans, die hinter der Tribüne Stimmung machten und Leitern vor die Brüstung stellten. Mehr weiss ich nicht mehr.

Der Gegner war aber YB. Der FCZ gewann 2:1, und Sie haben ein Tor erzielt. Deshalb meinte Raimondi, Sie würden sich erinnern, da Sie nicht so oft getroffen hätten.
Mändu ist ein frecher Siech. Ein paar Tore habe ich doch gemacht.

Echt jetzt? Erinnern Sie sich nicht an Ihren Jubel ohne Fans?
Nein. Auch nicht an einzelne Spielszenen oder sonst was. Vielleicht haben ja alle, die dabei waren, diese Partie einfach verdrängen wollen. (lacht)

Foto: KATHI BETTELS

* Nachtrag: Marc Schneider (39) ist heute Trainer des FC Thun. Thomas Häberli (46) war bis Dezember 2019 Trainer beim FC Luzern, derzeit klublos. Mario Raimondi (39) coacht die U15 von YB. Baykal (37) ist Spielerberater. Marco Schneuwly (35) ist noch aktiv, er stürmt für Aarau in der Challenge League. Alberto Regazzoni (37) arbeitet mittlerweile beim Grenzwachtkorps im Tessin. Silvan Aegerter (40) arbeitet seit seinem Rücktritt 2014 wieder als Elektromonteur.

Geisterspiele in der Schweiz

19. April 2001 Sion – Servette (1:1)
22. Juli 2006 Basel – Schaffhausen (3:0)
5. August 2006 Basel – GC (2:3)
23. Juli 2008 Zürich – Luzern (2:1)
3. August 2008 Zürich – YB (2:1)
22. Mai 2019 GC – Sion (0:3)
20. Juli 2019 GC – Stade Lausanne Ouchy (2:1)

19. April 2001 Sion – Servette (1:1)
22. Juli 2006 Basel – Schaffhausen (3:0)
5. August 2006 Basel – GC (2:3)
23. Juli 2008 Zürich – Luzern (2:1)
3. August 2008 Zürich – YB (2:1)
22. Mai 2019 GC – Sion (0:3)
20. Juli 2019 GC – Stade Lausanne Ouchy (2:1)


Credit Suisse Super League 24/25
Mannschaft
SP
TD
PT
1
FC Zürich
FC Zürich
14
7
26
2
FC Basel
FC Basel
14
20
25
3
FC Lugano
FC Lugano
14
6
25
4
Servette FC
Servette FC
14
2
25
5
FC Luzern
FC Luzern
14
4
22
6
FC St. Gallen
FC St. Gallen
14
6
20
7
FC Lausanne-Sport
FC Lausanne-Sport
14
2
20
8
FC Sion
FC Sion
14
0
17
9
BSC Young Boys
BSC Young Boys
14
-5
16
10
Yverdon Sport FC
Yverdon Sport FC
14
-10
15
11
FC Winterthur
FC Winterthur
14
-21
11
12
Grasshopper Club Zürich
Grasshopper Club Zürich
14
-11
9
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