Orazio Ferranti war Captain von Inler und Streller
Ex-FCB-Talent erzählt von seinem Leben im Knast

Er spielte mit Inler, Streller und den Degens. War Captain der U21. Gelobt als neuer Murat Yakin. Heute bewacht Orazio Ferranti keine Gegner sondern Häftlinge. SonntagsBlick begleitete ihn dabei.
Publiziert: 26.03.2017 um 15:22 Uhr
|
Aktualisiert: 12.09.2018 um 00:56 Uhr
1/10
Orazio Ferranti galt beim FCB als grosses Talent. In der Basler U21 war Ferranti (r.) Captain – nicht Inler (Mitte kl. Bild).
Foto: Stefan Bohrer/zvg
Sandro Inguscio (Text) und Stefan Bohrer (Fotos)

Sanft lässt er den Ball auf der Hacke abtropfen. Gekonnt lässt er ihn danach in der Luft tänzeln. Links. Rechts. Innenrist-Pass zu seinem Gegenüber, welcher sich über den begnadeten und unerwarteten Mitspieler freut. Die Abwechslung schätzt. Erfreut lächelt.

Eine Abwechslung in seinem sonst durchstrukturierten, kontrollierten Alltag. Ein Alltag, in dem sein Gegenüber auf ihn aufpasst, ihn vor dem Gang in die Freiheit abhält. Sein Gegenüber: Orazio Ferranti. Normalerweise nicht Fussball-Partner sondern Aufseher. Gefängnis-Betreuer.

Beim kleinen Kick am Nachmittag scheint die Sonne deshalb nicht in ein Stadionrund, sondern durch die Gitterstäbe an der Decke des Innenhofes. Das Spielgerät ist keine hartgepumpte Lederkugel, sondern ein ungefährlicher Softball.

Es reicht, um einige Minuten Spass zu haben. Die Umstände zu vergessen. Fussball im Gefängnis. Und das mit einem ehemaligen Profi-Fussballer als Gegenüber. Ferranti macht es für die Häftlinge möglich.

Dass er eines Tages im Gefängnis als Aufseher mit Häftlingen kicken wird, konnte sich der Italo-Schweizer damals als Teenager nicht erträumen. Damals, als er die Nachwuchsabteilungen des FCB durchlief. In der U21 Captain und Leader war. Spieler wie Gökhan Inler, Marco Streller oder die Degen-Zwillinge anführte. Als Innenverteidiger als nächster Murat Yakin gelobt wurde. Nein, damals träumte er vom Profi-Vertrag, nicht von Arbeit im Knast. «Ich war sicher, dass ich es schaffen werde. Vielleicht zu selbstsicher. Vielleicht gab ich deshalb die letzten Prozent mehr nicht, die es benötigt hätte», sagt der 32-Jährige heute.

Extra Prozente, die vielleicht auch das Glück auf seine Seite gezwungen hätten. Glück, das ihm fehlte.  «Christian Gross hatte damals die erste Mannschaft übernommen und interessierte sich wenig für den Nachwuchs. Ich war ihm nicht gross und breit genug. Spieler wie Zwyssig, Quennoz, Yakin oder später Smiljanic spielten auf meiner Position. Da hatte ich keine Chance», sagt Ferranti. Während Streller nach Thun ausgeliehen wurde und von dort die Rückkehr schaffte. Während Philipp Degen das Glück hatte, dass auf seiner Position ein Platz in der Profi-Mannschaft frei wurde, wurde der Innenverteidiger nach Baden ausgeliehen.

2003 unterschreibt Ferranti vor der Sommerpause in Baden, als der NLB-Klub als Zweitplatzierter noch von der NLA träumt. «Als ich nach der Pause nach Baden kam, waren wir zu Sechst im Training. Der Klub hatte finanzielle Probleme, alle versuchten wegzukommen», erinnert sich Ferranti. Abstiegskampf statt Aufstiegsträume. Dazu Verletzungspech statt Rückkehr-Ambitionen. Goalie Pascal Zuberbühler bricht ihm im Spiel gegen Xamax die Rippe. Nach der Verletzung wechselt er zu Delemont, wo er sich an der Schulter verletzt.

Eine Verletzung, die er heute noch spürt. Eine Verletzung, die seine Motivation stiehlt. «Die Luft war raus, ich verlor den nötigen Biss und entdeckte andere Dinge im Leben», sagt Ferranti heute. Er lernt die ehemalige Miss-Schweiz-Kandidatin Diana Knezevic (31) kennen, gründet mit ihr eine Familie, eröffnet in Basel ein Kleidergeschäft. Statt selber zu kicken empfängt er Fussballer wie Granit Xhaka, Xherdan Shaqiri oder Haris Seferovic als Stammkunden.

Als er das Geschäft verkauft, folgen Ausbildungen zum Masseur, Jobs in der Security-Branche. Bis eines Tages ein Familienfreund, der im Gefängnis Bässlergut arbeitet, ihn darauf aufmerksam macht, dass der Beruf als Aufseher ihm liegen könnte. Ferranti wagts.

Statt mit seiner Empathie als Captain seine Mitspieler anzuführen, nutzt er sie ab da, um Schlägereien im Strafvollzug zu verhindern. Statt mit seinen Fremdsprachenkenntnissen (Italienisch, Deutsch, Französisch, Englisch, Serbo-Kroatisch) die ausländischen Spieler zu integrieren, nutzt er sie, um im Ausschaffungstrakt zwischen den Insassen zu vermitteln.

«Ich versuche mich in die Menschen hinein zu versetzen, ihre Schicksale zu sehen, zu verstehen, warum sie in ihrem Leben ohne Perspektiven hier gelandet sind. Wer wollte nur seiner Familie helfen und suchte sich deshalb ein neues Leben mit Arbeit und wer will nur unser System ausnutzen. Es sind viele feine Unterschiede, die wir als Betreuer erkennen und berücksichtigen müssen», sagt Ferranti und schöpft vorsichtig das geschnetzelte Poulet neben die Polenta.

Es ist 11 Uhr. Essenszeit im Gefängnis. Saliou (21) übernimmt den Teller, händigt ihn seinem Mitinsasse aus. Der Gambier hat sich die Rolle als Hilfskraft im Ausschaffungs-Sektor erarbeitet. Hilft putzen und Essen ausschöpfen. «Ich bin seit zwei Jahren auf Reise. Ich kam über Italien und wurde an der Grenze zu Deutschland gestoppt. Weil ich keine Papiere hatte, wurde ich hierhin gebracht», sagt Saliou. Seit 4 Monaten sitzt er hier. Wie lange er bleiben muss? Er weiss es nicht. «Ich wollte nur ein besseres Leben finden. Solange sie keine Papiere von mir finden, bleibe ich hier drin.»

Ferranti ist sich der Realität im Ausschaffungstrakt bewusst: «Vielen geht es hier drin immer noch besser als dort, wo sie herkommen. Sie bekommen dreimal am Tag eine Mahlzeit, können im Gefängnis arbeiten, bekommen im Schnitt 9 Franken pro Tag dafür und können sich mit diesem Geld etwas in unserem Kiosk kaufen oder das Geld heimschicken. Und am Ende bekommen sie einen Gratis-Flug zurück in die Heimat.»

Rufe aus der Zelle unterbrechen das Gespräch. «Keine Fotos von mir! Ich will nicht erkannt werden. Ich kenne meine Rechte!», bellt einer aus der Zelle. Hinter der silbernen schweren Türe gegenüber dröhnt der neueste Hit des Rappers Drake aus dem TV. Mittagessen vor dem Fernseher, dazu eine Cola aus dem Kiosk. Danach ein Knoppers oder Mars zum Dessert, oder einfach eine Zigarette. Alles bezahlt mit Geld, dass die Insassen im Gefängnis verdient haben. 

Für viele ist der Verdienst im Gefängnis gutes Geld. Geld, mit dem sie in der Heimat nach der Ausschaffung ein paar Monate leben können. Keine Ausnahme, dass sie in der Schweiz wieder auftauchen, wenn es aufgebraucht ist. Werden sie geschnappt, beginnt das Prozedere von vorne. Den Behörden sind die Hände gebunden.

Die Betreuer haben keine Zeit, um das System ausserhalb der Mauern zu hinterfragen. Sie haben die Hände voll zu tun, um den Alltag dahinter im Griff zu haben. Es gibt genug zu tun. Das Gefängnis Bässlergut hat 43 Plätze im Strafvollzug im ersten Stock und 30 Plätze in der Ausschaffungshaft im 2. Stock. Verteilt auf fünf Stationen mit Einer-, Zwei-, Vierer, Fünfer- und Sechser-Zellen. 12 Millionen kostete der Komplex auf 3200 Quadratmetern. Die Bauarbeiten für einen Neubau sind bereits im Gang. Zusätzliche Verstärkungen zu den 27 bestehenden Mitarbeitern sind gesucht.

Für eine Arbeit, die Ferranti erfüllt, auch wenn sie so sehr im Gegensatz zu der Zukunft steht, von der er damals als FCB-Talent geträumt hatte. Statt sich als Profi-Sportler von Drogen weit weg zu halten, sucht er sie heute in den Zellen der Insassen. Marihuana, Kokain, Amphetamin, Alkohol – alles wird reingeschmuggelt. Statt seine Stollen in den Rasen zu rammen, muss er dafür sorgen, dass Insassen eine spitzig gefeilte Zahnbürste nicht in den Körper ihres Zellengenossen rammen. Statt sich eine dicke Rolex ums Handgelenk zu binden, nimmt er eine reingeschmuggelte Apple-Watch einem Insassen ab mit der er sich Zugang zum Internet verschaffen wollte. Statt sich nach dem Training unter der Dusche das Gras abzuwaschen, kommts auch vor, dass er sich den Kot eines Insassen abwaschen muss, weil dieser im Bunker durchgedreht ist, alles verwüstet, sein Geschäft auf den Boden verrichtet und die Wärter damit beworfen hat.

«Schwierig ist es, wenn der Insasse psychische Probleme hat und eigentlich in eine psychiatrische Anstalt müsste, aber bei uns landet, weil die Anstalt keinen Platz hat. Es ist fast unmöglich abzuschätzen, wie sie reagieren und wann von ihnen eine Gefahr ausgeht. Genau wie bei Insassen in der Ausschaffungshaft, von denen man keine Papiere hat und von denen man nicht weiss, zu was sie in der Vergangenheit schon fähig waren», sagt Ferranti.

Einsperren im Bunker, in dem es nichts ausser einer dünnen Matratze gibt? Einsperren in der videoüberwachten Eckzelle, in der der TV hinter dickem Glas liegt, damit er nicht zerstört werden kann? Verlegung in eine andere Station aufgrund Religions- oder Herkunfts-Problemen? Die Zelle stürmen und den Insassen überwältigen?

Genau die Fragen, die seinem Einsatzleiter durch den Kopf schnellen, als ein Betreuer plötzlich Alarm auslöst. Ein Häftling hat sich aus dem Zellentrakt auf den Gang geschlichen und auf den Boden gelegt. Das Ausrücken der Betreuer geschieht innert Sekunden. Die Handschuhe sind an, die Brille auf. Wenig später Entwarnung. Keine Gefahr. Nur Protest.

Eine weitere Situation, die glimpflich ausging. Ein weiterer Tag, der gemeistert ist im Gefängnis. Ferranti schliesst die Augen, atmet tief durch die Nase, als er um 17.39 Uhr die Anlage verlässt. Mit einem leichten Knarren schiebt sich das hohe Gittertor zur Seite. Letzte Sonnenstrahlen glitzern auf den Zacken des Stacheldrahtes. Feierabend. «Das ist der Moment, in dem du realisierst, was Freiheit bedeutet. Ich kann hier rauslaufen, habe meine Arbeit verrichtet und kann heim zu meiner Familie, zu meinen Kindern. Für sie bin ich nicht der Fussballer, sondern der Aufseher, der die Bösen bewacht.»

Für die «Bösen» im Gefängnis ist er der, der sie bewacht – und dabei aber ganz gut Fussball spielen kann.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.
Credit Suisse Super League 24/25
Mannschaft
SP
TD
PT
1
FC Zürich
FC Zürich
14
7
26
2
FC Basel
FC Basel
14
20
25
3
FC Lugano
FC Lugano
14
6
25
4
Servette FC
Servette FC
14
2
25
5
FC Luzern
FC Luzern
14
4
22
6
FC St. Gallen
FC St. Gallen
14
6
20
7
FC Lausanne-Sport
FC Lausanne-Sport
14
2
20
8
FC Sion
FC Sion
14
0
17
9
BSC Young Boys
BSC Young Boys
14
-5
16
10
Yverdon Sport FC
Yverdon Sport FC
14
-10
15
11
FC Winterthur
FC Winterthur
14
-21
11
12
Grasshopper Club Zürich
Grasshopper Club Zürich
14
-11
9
63-mal Challenge League

Orazio Ferranti wird am 23. Oktober 33 Jahre alt. Der 1,85 m grosse Ex-Verteidiger kickte bis ins Jahr 2003 im Nachwuchs des FCB. Danach spielte er in Baden, Locarno, Delémont und bei den Old Boys Basel. Er brachte es auf 63 Spiele in der Challenge League, traf dabei zweimal.

Orazio Ferranti wird am 23. Oktober 33 Jahre alt. Der 1,85 m grosse Ex-Verteidiger kickte bis ins Jahr 2003 im Nachwuchs des FCB. Danach spielte er in Baden, Locarno, Delémont und bei den Old Boys Basel. Er brachte es auf 63 Spiele in der Challenge League, traf dabei zweimal.

«Ich wollte hier rein!»

Häftling Sükrü Korkmaz (32) musste sich selber schützen.

Warum sitzen Sie im Gefängnis?
Sükrü Korkmaz: Es sind verschiedene kleine Dinge zusammengekommen... Manchmal hat man eben Ticks im Kopf und dann macht man Gegenstände kaputt, bevor man Köpfe kaputt macht.

Was sind denn «verschiedene kleine Dinge»?
Kleinigkeiten. Drohungen, Sachbeschädigungen, Verstösse gegen das Betäubungsmittelgesetz und so. Ich hab 13 Monate dafür gekriegt. Jetzt muss ich halt sitzen, aber wenigstens habe ich hier drin Zeit um nachzudenken.

Jetzt, wo Sie nachdenken konnten, bereuen Sie Ihre Taten?
Nein. Ich wollte ja ins Gefängnis ...

Wie bitte?
Ich wollte hier rein, weil ich gemerkt habe, dass ich sonst etwas richtig Dummes anstelle und dann für längere Zeit ins Gefängnis hätte gehen müssen. Deshalb habe ich mehrere kleine Dinge angestellt und mich danach der Polizei gestellt.

Und wie ist der Gefängnis-Alltag mit Ihrem Betreuer Ferranti?
Okay. Wichtig ist, dass man sich gegenseitig respektiert, so entsteht ein gewisses Vertrauen, welches unser beider Alltag problemloser gestalten kann.

Korkmaz (links) vertreibt sich die Knast-Zeit mit einer Partie Schach.
Stefan Bohrer

Häftling Sükrü Korkmaz (32) musste sich selber schützen.

Warum sitzen Sie im Gefängnis?
Sükrü Korkmaz: Es sind verschiedene kleine Dinge zusammengekommen... Manchmal hat man eben Ticks im Kopf und dann macht man Gegenstände kaputt, bevor man Köpfe kaputt macht.

Was sind denn «verschiedene kleine Dinge»?
Kleinigkeiten. Drohungen, Sachbeschädigungen, Verstösse gegen das Betäubungsmittelgesetz und so. Ich hab 13 Monate dafür gekriegt. Jetzt muss ich halt sitzen, aber wenigstens habe ich hier drin Zeit um nachzudenken.

Jetzt, wo Sie nachdenken konnten, bereuen Sie Ihre Taten?
Nein. Ich wollte ja ins Gefängnis ...

Wie bitte?
Ich wollte hier rein, weil ich gemerkt habe, dass ich sonst etwas richtig Dummes anstelle und dann für längere Zeit ins Gefängnis hätte gehen müssen. Deshalb habe ich mehrere kleine Dinge angestellt und mich danach der Polizei gestellt.

Und wie ist der Gefängnis-Alltag mit Ihrem Betreuer Ferranti?
Okay. Wichtig ist, dass man sich gegenseitig respektiert, so entsteht ein gewisses Vertrauen, welches unser beider Alltag problemloser gestalten kann.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?