Um Marco Streller zu verstehen, hilft ein Beispiel aus seiner Zeit als Spieler. Als er vor vier Jahren im Alter von 33 Jahren ein Angebot von West Ham United hat, will der damalige FCB-Captain nach London wechseln. Als er dies seinem damals 6-jährigen Sohn Sean sagt, füllen sich dessen Augen mit Tränen: «Papi, was mache ich dann mit meinen Freunden hier?»
Streller sagt ab und bleibt in Basel. Ganz Bauch- und Gefühlsmensch. Als Spieler war er damals noch gefeiert und begehrt. Die Zeiten haben sich geändert. Als Sportchef steht er mittlerweile im eisigen Gegenwind.
Es sind schwere Zeiten für ihn in Basel. Neun Punkte Rückstand auf YB vor dem heutigen Direktduell. Der Titel ist in weiter Ferne. Champions und Europa League verpasst. Es sind Tage voller Anfeindungen und böser Vorwürfe. Und dementsprechend tief geht das dem Sportchef des FC Basel unter die Haut.
Streller selbst sagt: «Ich leide, unter der schwierigen Situation. Und ja, manchmal trage ich unsere Probleme nach Hause und habe zum Beispiel Mühe, einen Film ganz zu Ende zu schauen oder meiner Frau genau zuzuhören. Es geht mir einfach nahe. Weil ich den FCB von ganzem Herzen liebe. Und das macht es nicht einfacher Distanz zu gewinnen.» Streller weiter: «Am liebsten möchtest Du abends spät, wenn dir eine Idee kommt, sofort ins Büro fahren und alles verbessern. Um einfach den Klub aus dem Tief herauszuholen.»
Es sind offene Worte eines Menschen, der nicht zuletzt wegen seines Namens und wegen seiner Vergangenheit schneller und vielleicht auch härter kritisiert wird als zum Beispiel seine Vorgänger. Bernhard Heusler konnte sich einige Jahre im Windschatten von Gigi Oeri entwickeln, Georg Heitz begann als Sportkoordinator und arbeitete sich zum Direktor hoch. Streller ist sofort das Gesicht des Klubs – und voll unter Druck. «Da muss er durch», sagt sein Papa Thomas Streller (67). Im SonntagsBlick sprechen enge Vertraute von Streller.
Thomas Streller, Marcos Vater
BLICK: Herr Streller, wie stark trifft Sie die Kritik an Ihrem Sohn?
Thomas Streller: Natürlich, er ist immer noch mein Kind und ich will, dass es ihm gut geht. Aber meiner Frau geht’s noch näher, sie liest im Gegensatz zu mir auch mal Internet-Foren. Kaum ist sie vor dem Computer, flucht sie auch schon. Marco ist nun halt mal in einem Haifischbecken. Aber wenn es um den FCB geht hast Du schon das Gefühl, dass einiges auf Marco abgewälzt wird.
Inwiefern?
Er ist das klare Gesicht des FC Basel und muss für vieles seinen Kopf hinhalten. Das kann ja nicht spurlos an ihm vorbeigehen. Bei uns in Basel gibt’s halt nur zwei Dinge, die Fasnacht und den FCB. Und beim Fussball hat jeder das Gefühl, dass er mitreden kann. Aber Marco konnte sich auch viele Träume mit dem FCB verwirklichen. Jetzt sind die Wellen halt mal höher.
Nimmt er als emotionaler Mensch die Kritik zu persönlich?
Ja, er kann schnell auf zweihundert sein, gerade, wenn es um die Kinder geht. Aber er hat eine soziale Ader, es muss immer allen gut gehen. Und er liebt halt den Fussball und den FCB. Schon früher hat er in der Wohnung immer gespielt und den Ball mit ins Bett genommen. Er war ein kleiner Chaot, aber ein liebenswertes Schlitzohr, das alle mochten. Das ist er heute noch. Und er chrampft und chrampft, um den FCB vorwärts zu bringen.
Haben Sie ihm auch schon gesagt: «Hör auf, geniesse dein Leben, Du bist doch finanziell abgesichert?»
Es kann schon sein, dass er den einen oder anderen Franken mehr auf dem Konto hat als ich. Aber ich kenne seine finanzielle Situation nicht... (lacht). Nein, gar nicht. Wenn er den Karren herumreissen kann, dann wird er wieder gefeiert werden, keine Frage. Aber ja, es schmerzt, dass ihm im Moment alles um die Ohren geknallt wird. Aber er hat eine dicke Haut, ist ein Mann geworden. Als er vor Jahren seien Rücktritt aus der Nationalmannschaft gab, da war er noch ein Kind. Doch es ist ein Moment, der ihn als Mensch sehr geprägt hat.
Schwarzer Tag in Strellers Karriere
Es ist der 30. Mai 2008 in St. Gallen. Die Nati schlägt Liechtenstein 3:0 und doch ist einer tieftraurig: Stürmer Marco Streller wird vom Publikum ausgepfiffen. Die Mannschaft zieht ins Elephant, einen St. Galler Club. Für Streller wirds ein Frustsaufen. Am anderen Tag gibt er vor laufenden Kameras seinen Rücktritt aus der Nati, wohl noch mit «Rest-Alkohol», wie er heute sagt. Vom Verband geschützt wird er nicht. Auch heute gibt es Momente, in denen er sich beim FCB im Stich gelassen fühlt.
Marcos bester Freund Fabian Dreier
Schon zu jener Zeit an Strellers Seite ist Fabian Dreier (37). «Mein bester Freund», sagt Streller. Bei den B-Junioren spielen Sie zusammen in Aesch im Kanton Basel-Land. Dreier arbeitet im Aussendienst einer Krankenversicherung und ist der Götti von Strellers Sohn Sean (10).
BLICK: Herr Dreier, müssen Sie Ihren besten Freund oft verteidigen?
Fabian Dreier: Ja, besonders auf den regionalen Fussballplätzen. Jeder fragt, was falsch läuft. Jeder sagt dir, dass er doch endlich jenen und jenen Spieler holen soll. Mit diesen Stammtisch-Diskussionen wird man dauernd konfrontiert. Es gibt viele Besserwisser in der Region Basel. Aber ich lasse mich nie auf Diskussionen ein.
Wie haben Sie den 15-jährigen Marco Streller erlebt?
Wir hatten schon Flausen im Kopf damals. Wenn wir heute zum Skifahren gehen ins Wallis oder an den Spengler Cup, sind wir immer noch keine Klosterschüler. Aber die Profi-Karriere hat ihn nachhaltig verändert.
Inwiefern?
Ich weiss noch, dass ein Toyota Yaris sein erstes Auto war. Dann kam ein Corolla. Als er nach Stuttgart ging und im Mercedes Cabrio vorfuhr, da machten wir schon Sprüche. Er war immer ein sozialer Mensch, der die Gesellschaft von seinen Freunden schätzt.
Ein legendäres Erlebnis?
Wir besuchten ihn in Stuttgart, er spielte am Samstag. Die vernünftigen gingen Sonntag Mittag nach Hause, die Canstatter Wasen – also das Stuttgarter Oktober-Fest – fanden gerade statt. Er überredete mich, am Sonntag noch zu bleiben, er müsse mit der Mannschaft am Nachmittag hin. Ich sagte ihm zu und meinte, um 22 Uhr sei ich dann aber auf dem Zug. Ich war schliesslich noch in der Lehre.
Erwischten Sie den Zug?
Um 21.45 Uhr rannten wir wie von der Tarantel gestochen zum Bahnhof. Ich musste ein Taxi nach Basel nehmen. Ich war morgens um sieben Uhr pünktlich beim Job, aber das Taxi kostete 300 Euro.
Hat Streller wenigstens bezahlt?
Nein, meine Mutter, glaube ich.
Wie ist Marco heute?
Er ist bald darauf Vater und ich Götti geworden, er wurde ruhiger. Natürlich sprechen wir heute noch viel über Fussball. Ausser die Frauen sitzen am Tisch, dann geht’s eher um Mode oder so. Er hat sowieso ein Riesen-Glück mit seiner Frau Désirée, sie nimmt ihm auch jetzt in der harten Zeit viel ab, gerade mit Sean und Elin.
Wie gehts Marco, denken Sie?
Wenn man ihn nicht kennt, denkt man, es geht ihm blendend. Wenn Du ihm aber nahe stehst, dann sieht es anders aus. Was nach der Entlassung von Raphael Wicky und dem Ausscheiden aus der Europa League auf ihn zukam, war extrem. Auch wenn er es nie zu geben würde: Er überfliegt die Kommentare im Internet sicher und es trifft ihn. Bei einem Grillabend, wenn man offener miteinander spricht, spürt man, dass ihn alles sehr mitnimmt.
«Im Whatsapp-Chat gehts lustig zu und her»
Sport als Ausgleich, damit ist es auch vorbei. Dreier riss sich das Kreuz- und Innenband sowie den Meniskus, Streller erlitt einen Innenbandriss. Beide spielen bei den Senioren des SC Dornach, auch mit Alex Frei (38) und Beni Huggel (41). «Im Whatsapp-Chat der Senioren geht es sehr lustig zu und her», erzählt Dreier. «Das Problem ist, dass 90 Prozent Seich geschrieben und viel gelacht wird und einige die wichtigen 10 Prozent dann übersehen...»
Nicht nur der SC Dornach, auch ein anderes prägendes Erlebnis verbindet Frei, Streller und Huggel. Es geht um das Barrage-Spiel in der Türkei im Jahr 2005. Schon bei der Anreise werden alle schikaniert, das Gepäck kommt nicht an, nachts gibt’s Anrufe direkt ins Hotelzimmer. Und nach dem WM-Qualifikation der Schweizer kommt es zur Schande von Istanbul, mit all den Jagdszenen. «Ich hatte Todesangst», sagt Streller. Das Ereignis verbindet. Die Bande mit unter den drei Ex-Nati-Spielern hält bis heute, wie auch mit dem heutigen Zürich-Trainer Ludovic Magnin (39).
Auch die WM mit dem Aus gegen die Ukraine im Penaltyschiessen stärkt die Freundschaft. Inklusive Strellers Zungenspiel beim Elfmeter in Köln. «Das wird ihn das Leben lang prägen», sagt Papa Streller, «er wollte Verantwortung übernehmen, weil er immer eine grosse Klappe hatte.» Streller sagt, er könne heute darüber lachen.
Gute alte Freunde: Huggel, Frei, Magnin, Fink
Bestimmt auch mit Beni Huggel. Der heutige SRF-Experte ist Strellers engster Freund aus dem Fussball-Zirkus. Sie spielten zusammen in Arlesheim. Huggel war 19 und Streller durfte als 15-Jähriger im Zweitliga-Team mittrainieren. Seit 22 Jahren gehen sie durch dick und dünn.
Huggel sagt: «Man spürt, dass ihn alles sehr beschäftigt und mitnimmt. Weil vieles in seinem Kopf herumschwirrt, weil er die ganze Anspannung mit sich herum schleppt. Es ist schwer für ihn, dass die ganze Stadt das Gefühl hat, was er besser und was anders machen kann. Ohne, dass die meisten eine Ahnung davon haben.»
Für Huggel ist Strellers Verbundenheit zum FC Basel dabei nicht immer von Vorteil: «Seine Loyalität zum FCB ist extrem und schön. Für seine Psycho-Hygiene wäre es aber besser, wenn er es distanzierter sehen würde. Aber das wichtigste ist, dass er sein Umfeld nicht wechselt. Da kriegt er auch ehrliche Meinungen.» Auch Andrea Roth, als Clubkultur-Beauftragte des FCB eine enge Mitarbeiterin von Streller, sagt: «Schon als Spieler war er voller Leidenschaft für den Fussball und dieses Feuer spürt man auch jetzt. Auch seine Identifikation mit dem Klub nimmt man täglich wahr.»
Ludovic Magnin, der 2007 mit Streller in Stuttgart Meister wurde, sagt: «Ich habe Strelli vor kurzem an einem Anlass getroffen. Er hat ein paar graue Haare gekriegt. Wir haben beide mehr Druck und Verantwortung als früher. Als Trainer könntest du dich 24 Stunden pro Tag mit Fussball beschäftigen, der Druck ist immer da. Als Sportchef wird das wohl dasselbe sein.» Er rät Streller: «Man muss sich unbedingt gewisse Zeitfenster suchen, in welchen man abschalten kann. Im Moment kann ich das noch gut...»
Anders ist es bei Strellers langjährigem Weggefährten Alex Frei (38). Als Sportchef des FC Luzern schmeisst er kurz vor einem Burnout hin. Er schläft zu jener Zeit nur noch zwei, drei Stunden und ist gegenüber seiner Familie abwesend, am Esstisch kaum ansprechbar. «Ich konnte nicht mehr abschalten. Das Ergebnis kennen wir», sagt Frei heute.
Es ist klar, dass er Strellers Gefühle gut nachvollziehen kann. Frei sagt: «Das schwierige ist: Du musst die Kritik zwar aufnehmen, auch die Gedanken aus sozialen Medien. Aber die Kritik darf dich nicht auffressen. Sonst gehst du kaputt.»
Frei weiter: «Im Sportchef-Job ist es so: Wenn es gut läuft, arbeitest du 15 Stunden am Tag. Wenns schlecht läuft, sind es 18 Stunden. Aber du musst dir Auszeiten nehmen, das Handy ausschalten. Ab gewissen Uhrzeiten weniger erreichbar sein als zur normalen Tageszeit. Und dann musst Du rausfinden, was für dein ganz persönliches Gleichgewicht das Beste ist. Der eine geht Wandern, der andere Pilze suchen, der dritte läuft Marathon.»
Frei sagt, dass er nie mehr Sportchef sein wolle. Aber für beide ist klar, dass sie als langjährige Nati-Spieler schneller angegriffen werden: «Damit müssen wir leben, ob ich es gerecht finde oder nicht, interessiert niemanden. Jeder hat eine Meinung zu uns, auch, wenn man uns gar nicht persönlich kennt. Das ist die schöne und zugleich die hässliche Seite des Fussballs. Jeder kann irgendetwas reinschreien oder ins Internet schreiben. Unabhängig davon, ob es Quatsch oder Wahrheit ist.»
Frei ist aber auch überzeugt: «Diese schwere Zeit stärkt Strellers Profil. Er hat öffentlich Fehler zugegeben, das hat er gut gemacht. Und im Fussball wird jede Woche abgerechnet – das kann als Sportchef hart sein, ist aber auch alle sieben Tage eine Chance.»
Dieses Gefühl kennt auch Thorsten Fink (50). Mit GC verlor er vergangene Woche im Cup in Nyon. Er sagt: «Streller ist ein super Mensch, als Captain konnte er alle mitreissen. Das wird ihm auch als Sportchef gelingen. Es kann nicht alles, wie sich die heutige Situation darstellt, seine Schuld sein. So schnell kann man gar nicht alles kaputt machen.» Vielmehr seien die fetten Jahre des FC Basel vielleicht vorher schon langsam zur Neige gegangen. Fink: «Er ist ein guter Junge. Gut wäre, dass er lernt, abzuschalten. Schlafen ist das wichtigste, oder mal einen Film schauen und gut essen gehen.»
Streller selbst sagt: «Ich denke darüber nach, wieder Yoga zu machen. Vielleicht würde es mir gut tun.» Nur weiss auch er: Am Ende des Tages helfen ihm nur Siege. Am besten schon heute bei Meister YB.
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | FC Zürich | 14 | 7 | 26 | |
2 | FC Basel | 14 | 20 | 25 | |
3 | FC Lugano | 14 | 6 | 25 | |
4 | Servette FC | 14 | 2 | 25 | |
5 | FC Luzern | 14 | 4 | 22 | |
6 | FC St. Gallen | 14 | 6 | 20 | |
7 | FC Lausanne-Sport | 14 | 2 | 20 | |
8 | FC Sion | 14 | 0 | 17 | |
9 | BSC Young Boys | 14 | -5 | 16 | |
10 | Yverdon Sport FC | 14 | -10 | 15 | |
11 | FC Winterthur | 14 | -21 | 11 | |
12 | Grasshopper Club Zürich | 14 | -11 | 9 |