Foto: Felix Bingesser

Ex-Basel-Präsident Jäggi spricht über Selbstmordversuch
Darum schoss ich mir in den Kopf

«Selbstmordversuch in diesem Park», lautet die Schlagzeile im BLICK vom 3. September 2016. Seither wird gerätselt, was mit René C. Jäggi genau passiert ist. Jetzt spricht Jäggi.
Publiziert: 29.08.2019 um 19:02 Uhr
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Aktualisiert: 30.08.2019 um 10:32 Uhr
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René C. Jäggi mit BLICK-Sportchef Felix Bingesser.
Foto: Felix Bingesser
Felix Bingesser

René C. Jäggi ist in Spreitenbach voll in seinem Element. Bei der Eröffnung des Hotel Hilton erzählt der Ex-FC-Basel-Präsident von den vielen weiteren grossen Plänen, die er wälzt. Er prostet seinen Geschäftspartnern zu, ist mittendrin, voller Tatendrang. Und er wirkt in seinem schicken Anzug noch immer wie ein Topmanager, der er zeitlebens war. Immer noch der Strahlemann aus Basel, dem der Erfolg steter Begleiter war. Dem das Glück an den Schuhsohlen zu kleben schien.

Jäggi ist in jungen Jahren erfolgreicher Judoka, einer der besten des Landes. Er studiert in Basel, in St. Gallen und in Tokio. Und macht eine märchenhaft anmutende Karriere. Mit 38 Jahren ist er oberster Chef der Weltmarke «Adidas». Später rettet er den FC Basel vor dem finanziellen Kollaps. Er holt als Präsident die Mäzenin Gigi Oeri an Bord und wird zum Baumeister des grossen FCB. Er ist später Vorstandsvorsitzender beim 1. FC Kaiserslautern in der Bundesliga. Und beteiligt an vielen Firmen. Verwaltungsrat hier, Verwaltungsrat dort.

Mit seinem unerschütterlichen Optimismus, mit seiner Begeisterungsfähigkeit, mit seiner jovialen Art kann er Menschen für sich einnehmen. Nichts scheint diesen Mann von Welt mit Zweitwohnsitz in Florida erschüttern zu können. 

Suizidversuch im Park

Und dann kommt der 1. September 2016. Es kommt die Meldung, dass ein 67-jähriger Mann im Gartenpark des Bethesda-Spitals mit einer schweren Schussverletzung aufgefunden wird. Im Morgengrauen entdecken die Angestellten der Privatklinik den Mann. Er sitzt auf einem Stuhl in der Nähe der Villa Burkhardt. Mehr tot als lebendig. Es ist ein schrecklicher Anblick. 

Schnell sickert durch, dass es sich beim Schwerverletzten um René C. Jäggi handelt. Die Fussballwelt ist geschockt, Basel ist geschockt, die Schweiz ist geschockt. Schnell wird gemunkelt, dass es sich um einen Suizidversuch handelt. Und kurz darauf wird diese These von der Staatsanwaltschaft bestätigt.

Es beginnen die Spekulationen. Warum im Park eines Spitals? Hatte er einen privaten Schicksalsschlag? Hatte er finanzielle Probleme? Leidet er unter Depressionen? Es ist die ohnmächtige Suche nach einem rationalen Grund für diese wahnwitzige Tat. Man versucht sich vorzustellen, wie verzweifelt jemand sein muss, um seinem vermeintlich so erfolgreichen Leben ein derartiges Ende zu setzen. Und kann es sich nicht vorstellen.

Jäggi steckt sich in der Abenddämmerung die Pistole in den Mund und drückt ab. Die Kugel zerfetzt den Gaumen und tritt bei der Stirn wieder aus. Das linke Auge wird zerstört. Aber Jäggi lebt. «Dabei habe ich noch bei Google nachgelesen, wie man so etwas richtig macht», sagt er heute. Er wechselt auf der Kommunikationsplattform Whatsapp am Abend auch seinen Status. «Ich habe alles auf Schwarz gesetzt», schreibt er da. Er plant diesen Suizid so rational, wie er Geschäfte abwickelt. 

Am Tag der Tat besucht er auch noch seinen Vater. Er schreibt in seiner Stube vier Stunden Abschiedsbriefe, regelt noch seinen Nachlass, verteilt die Briefe in die entsprechenden Briefkästen. Dann geht er in ein Restaurant, bestellt sich sein Lieblingsessen und trinkt eine gute Flasche Wein.

Später will er noch einen Freund besuchen. Aber der ist nicht zu Hause. Und dann kommt die Dämmerung und sein Weg führt ihn in den Park des Bethesda-Spitals. Da kam vor kurzem sein erster Enkel zur Welt, dort wird er Grossvater. Und dort schliesst sich ein Kreis, denkt sich Jäggi. Er setzt sich auf einen Stuhl. Und setzt um, was er geplant hat. Mit der Pistole, die er schon den ganzen Tag im Hosensack trägt.

«Bin ich im Himmel?»

Jetzt wird alles schwarz. Jäggi liegt drei Wochen auf der Intensivstation im Koma. Und als er die Augen erstmals wieder aufschlägt, da schaut er seiner Tochter ins Gesicht. «Was machst du da? Bin ich im Himmel?», fragt er verwundert. «Nein, Papi, wir sind im Spital», sagt seine Tochter. Ist er in diesem Moment enttäuscht, dass er noch lebt? «Nein. Es ist wie ein Reset-Knopf, den ich gedrückt habe. Und jetzt bin ich wieder da. Ich habe jetzt einfach einen zweiten Geburtstag.»

Das System des doch so unerschütterlichen Optimisten Jäggi fährt schnell wieder hoch. Und der Kampfgeist des einstigen Spitzensportlers und Topmanagers kehrt zurück. Jäggi wird abgeschottet und beginnt eine viermonatige Rehabilitation Er hat das linke Auge verloren. Ein Kunststoffauge füllt die Lücke. Die Augenlider hängen noch ein wenig herunter. «Aber das wird noch korrigiert», sagt er. Genauso wie ihm noch ein Eingriff im Gaumen bevorsteht, damit er auch wieder richtig zubeissen kann. 

Er muss in der Therapie vieles wieder lernen. Aber er hat keine Hirnverletzungen. «Ich kann sogar besser japanisch reden als vorher», scherzt er. Es gibt viele Eingriffe und Untersuchungen. Er macht schnell Fortschritte. Einmal zieht er sich eine Kappe tief ins Gesicht, setzt sich eine Brille auf und «flüchtet» mit einer Krankenschwester an der Hand in die Stadt. Er möchte wieder einmal das richtige Leben riechen. Sie gehen in ein Fonduestübli. Jäggi bleibt unerkannt. 

Nach und nach kehrt er ins ganz normale Leben zurück. Nimmt wieder an der Fasnacht teil, taucht beim Basler Tennisturnier auf und schaut an der Seite von Trainerlegende Helmuth Benthaus jedes FCB-Spiel. Und ist schon wieder ganz der Fachmann. «Ich möchte mich zur jetzigen Vereinsführung nicht gross äussern», sagt Jäggi. Immerhin dies: «In der derzeitigen Verfassung hat der FCB in der Gruppenphase der Champions League nichts verloren.»

Er ist auch Vizepräsident des FC Pratteln, wo sein Schwiegersohn Präsident ist. «Wir sind gut in die Saison gestartet», sagt er nicht ohne Stolz. Auch dort möchte er etwas bewegen und mit dem FC Pratteln im Regionalfussball für Furore sorgen. Jäggi ist kein Verwalter. Egal auf welcher Stufe. Auch geschäftlich ist er wieder engagiert, reist um die Welt. Und ist auch dem Judosport verbunden. Er ist Botschafter des internationalen Judoverbandes und weilt derzeit für drei Wochen bei der Weltmeisterschaft in Japan.

Die Frage nach dem Warum

Was bleibt ist die Frage nach dem Warum. Die Frage, wie es zu dieser Wahnsinnstat kommen konnte. War es die Angst vor dem Verlust an Ansehen und Bedeutung? Die Angst vor der Tatsache, nicht mehr im Zentrum zu stehen und als älterer Mann Schritt für Schritt etwas an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden? «Nein», sagt Jäggi. Hatte er finanzielle und geschäftliche Probleme? «Nein», sagt Jäggi. Leidet der an Depressionen? «Nein», sagt Jäggi.

Ja was ist es denn? Eine simple und schlüssige Erklärung gibt es nicht. Gereift ist der Entscheid innerhalb weniger Tage. Jäggi war im Vorfeld seines Selbstmordversuches als Botschafter für den Judoverband noch in Brasilien. Viel beschäftigt ist er da nicht. Und das stört ihn. Daheim erlebt er auch mit, wie ein Freund im Alter krank und gebrechlich wird. Wird es ihm genauso ergehen? Warten auf ihn, den Macher, nur noch einige Repräsentationsaufgaben? Er wird nachdenklich. 

Als Judoka und als Mann, der viel Zeit in Japan verbracht hat, ist er auch mit der Kultur der Japaner vertraut. Will ein Samurai so enden, fragt er sich? Vielleicht hat Jäggi auch noch eine andere Erklärung. Aber die will er vielleicht nicht in der Zeitung lesen. «Ich war immer sehr hart zu mir», sagt er. 

Vor drei Jahren hat man René C. Jäggi mit einer Pistole in der Hand gefunden. Mehr tot als lebendig. «Dieser Tag gehört jetzt zu meinem Leben. Aber es geht mir besser denn je», sagt er.

Fünf Enkelkinder hat er mittlerweile schon. Gut möglich, dass er schon bald zum sechsten Mal Grossvater wird.

Kommentar von BLICK-Sportchef Felix Bingesser

René C. Jäggi ist ein Mann der Extreme. Extrem ehrgeizig, extrem erfolgreich, extrem risikofreudig, vielleicht auch extrem eitel. Extrem hart zu sich selber aber auch extrem liebenswürdig. Unsere Wege haben sich in den letzten fast dreissig Jahren immer wieder gekreuzt.

Und immer wieder begeistert er mit seiner einnehmenden Art und seiner Begeisterungsfähigkeit. Immer wieder muss man auch schmunzeln: Ist es nicht auch ein wenig naiv, wenn alles immer „super“ ist, die Perspektiven immer rosig sind und alles fast ein wenig nach Schaumschlägerei und Hochstapelei tönt?

Aber die Stunden mit René C. Jäggi sind immer angenehm und unterhaltsam. Lieber ein Mann, der vielleicht auch ein kleiner Verdrängungskünstler ist. Der aber weiss, dass es zum Optimismus gar keine Alternative gibt. Lieber einer, der mit Superlativen um sich wirft statt ein Griesgram, der sein Leben lang Haare in der Suppe sucht.

Der Schock war gross, als exakt vor drei Jahren die Meldung kam, dass sich ausgerechnet dieser Mann das Leben nehmen wollte. Drei Jahre lang hat er sich zurückgezogen, wurde abgeschirmt, wollte nicht reden.

Und jetzt sitzt er da. Und erzählt die Geschichte dieser fatalen Tage. Und sagt, es ist keine Überraschung: „Es geht mir besser denn je.“ Es ist, als hätte man sich jede Woche zum Bier und zum Schwatz getroffen. Es ist, als wäre er nie drei Jahre von der Bildfläche verschwunden.

Vielleicht ist seine Art auch ein Teil seines Problems. Viel wichtiger ist: Jäggi ist zurück im Leben, zurück in der Gesellschaft, zurück im Sport. Und das ist eine wunderbare Nachricht. Zumindest für alle jene, die ihn mögen.

Ich gehöre dazu. 

René C. Jäggi ist ein Mann der Extreme. Extrem ehrgeizig, extrem erfolgreich, extrem risikofreudig, vielleicht auch extrem eitel. Extrem hart zu sich selber aber auch extrem liebenswürdig. Unsere Wege haben sich in den letzten fast dreissig Jahren immer wieder gekreuzt.

Und immer wieder begeistert er mit seiner einnehmenden Art und seiner Begeisterungsfähigkeit. Immer wieder muss man auch schmunzeln: Ist es nicht auch ein wenig naiv, wenn alles immer „super“ ist, die Perspektiven immer rosig sind und alles fast ein wenig nach Schaumschlägerei und Hochstapelei tönt?

Aber die Stunden mit René C. Jäggi sind immer angenehm und unterhaltsam. Lieber ein Mann, der vielleicht auch ein kleiner Verdrängungskünstler ist. Der aber weiss, dass es zum Optimismus gar keine Alternative gibt. Lieber einer, der mit Superlativen um sich wirft statt ein Griesgram, der sein Leben lang Haare in der Suppe sucht.

Der Schock war gross, als exakt vor drei Jahren die Meldung kam, dass sich ausgerechnet dieser Mann das Leben nehmen wollte. Drei Jahre lang hat er sich zurückgezogen, wurde abgeschirmt, wollte nicht reden.

Und jetzt sitzt er da. Und erzählt die Geschichte dieser fatalen Tage. Und sagt, es ist keine Überraschung: „Es geht mir besser denn je.“ Es ist, als hätte man sich jede Woche zum Bier und zum Schwatz getroffen. Es ist, als wäre er nie drei Jahre von der Bildfläche verschwunden.

Vielleicht ist seine Art auch ein Teil seines Problems. Viel wichtiger ist: Jäggi ist zurück im Leben, zurück in der Gesellschaft, zurück im Sport. Und das ist eine wunderbare Nachricht. Zumindest für alle jene, die ihn mögen.

Ich gehöre dazu. 

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