Internet? Gibt’s damals noch nicht. Trotzdem gehen die Bilder um die Welt. 90. Minute im Tourbillon. Sion führt gegen Wettingen im NLA-Spiel 1:0. Es läuft die Nachspielzeit. Wettingens Captain Martin Rueda gewinnt einen Prellball, läuft danach Richtung Sion-Goal. Und bezwingt Nati-Goalie Stefan Lehmann mit einem herrlichen Lob. Denken alle im Stadion. Nur einer nicht: Ref Bruno Klötzli pfeift just in dem Moment, als der Ball in der Luft die Torlinie überquert, das Spiel ab. Unfassbar!
«Für mich heute noch absolut unverständlich», sagt Rueda, der später als Trainer unter anderem bei YB und Lausanne arbeitete, heute bei der Binelli Group als Teamleiter Verkauf Occasionen sein Geld verdient.
Die Wettinger Spieler laufen nach dem Pfiff Sturm. In Todesangst rettet sich der Schiri unter Polizeischutz in die Garderobe. Und rapportiert danach, dass ihn vier Spieler tätlich angegriffen haben:
Die Nummer 3, Germann (Faustschläge in die Schultergegend und den Bauch), die Nummer 12, Frei (ins Gesicht gegriffen), die Nummer 6, Kundert (ins Gesäss getreten), und die Nummer 9, Baumgartner (Kniestoss in den Rücken). Er sei nicht verletzt worden, habe aber um die Gesundheit gebangt. Am Sonntag erhielt der Schiedsrichter telefonisch Morddrohungen. Auch dies wird er im Rapport zuhanden der Nationalliga festhalten.
Die Kontroll- und Strafkommission verhängt drastische Strafen. Am schlimmsten erwischt es Germann: ein Jahr Sperre, 20 000 Franken Busse. In zweiter Instanz verschärft das Verbandssportgericht Ende November 1989 die Berufsverbote für Reto Baumgartner (von 7 auf 10 Monate) und Martin Frei (von 6 auf 8 Monate). Roger Kundert muss 4 Monate aussetzen.
«Ich erhielt die Aufforderung, ich solle mich aufhängen»
Seit zwei Jahren ist Ex-Schiedsrichter Bruno Klötzli (68) pensioniert. Erst als Pächter eines Restaurants fand er seinen Frieden. Denn der Skandal von Sion hat lange nachgewirkt auf sein Leben.
Interview: Alain Kunz
BLICK: Bruno Klötzli, wie geht es Ihnen heute?
Bruno Klötzli: Sehr gut! Ich bin Ende 2017 pensioniert worden. Mein Leben ist angenehm. Ich gehe ein-, zweimal pro Woche in Restaurants von Kollegen aushelfen. So bleibe ich aktiv und unter Leuten. Aber etwas muss ich loswerden, bevor Sie Ihre Fragen stellen.
Was denn?
Dass es ziemliches Fairplay meinerseits ist, dass ich zugesagt habe, Red und Antwort zu stehen.
Warum?
Der BLICK war mir gegenüber total negativ. Die Spieler wurden in ein viel zu gutes Licht gerückt. Und das in sicher 25 bis 30 Artikeln. Ich wurde in der Folge beleidigt, erhielt Drohungen und gar eine Aufforderung, mich aufzuhängen. Und auch an der Verhandlung vor dem Fussballverband war ich einsam: Ich hatte keinen Anwalt. Die vier Spieler je einen, der FC Wettingen einen. Alle sprachen Deutsch, auch der Präsident. Ich schlug mich als Romand irgendwie durch.
Fühlten Sie sich im Stich gelassen?
Ja. Niemand unterstützte mich. Keiner vom Verband, keiner aus den Kommissionen. Nur der damalige Schiedsrichterchef Rudi Scheurer hielt bedingungslos zu mir.
Haben Sie mittlerweile den Spielern vergeben?
Klar. Wir haben uns ja zwanzig Jahre nach dem Fall getroffen. Alle kamen mit ihren Frauen. Nur ich war alleine, weil meine Frau kein Deutsch spricht. Diesen Mittwoch werde ich nie vergessen ...
Wegen der Sprachbarriere?
Nein. Am Morgen dieses Tages ist mein Vater verstorben. Meine Frau sagte mir: «Du kannst am Abend doch nicht zu diesem Treffen gehen!» Ich antwortete: «Klar gehe ich hin. Sonst heisst es, ich sei ein Angsthase.» Und dann stieg an diesem Tag auch noch das WM-Quali-Spiel zwischen Irland und Frankreich mit einem der legendärsten Schiedsrichter-Fehlentscheide, dem Hands von Thierry Henry ...
Ein halbes Jahr nach dem Vorfall hörten Sie auf. Warum eigentlich?
Ich wäre 1990 Fifa-Ref geworden. Ich liebte die Pfeiferei. Wegen der Ereignisse im Tourbillon stieg ich in der NLB wieder ein. Wenn ich im Welschland pfiff, ging es noch. Aber in der Deutschschweiz hörte ich immer: «Klötzli, Sion-Wettingen!» Immer und immer wieder. Irgendwann ging es nicht mehr. Bis ich nicht mehr konnte.
Sie waren damals Banker. Wie kam es, dass Sie dann Beizer wurden?
Ich hatte aktiv Fussball gespielt, bis in die 1. Liga beim FC Moutier. Dann wurde ich Schiedsrichter. Immer war dieses Adrenalin mit im Spiel. Auch als Ref. Man ist alleine gegen 26 Spieler und die Fans. Das ist eine Riesenherausforderung, die ich liebte. Als das alles wegfiel, begann ich zu spielen. Poker, ich war immer im Casino. Ich hatte Schulden und kriegte Probleme in meinem Job, den ich dann verlor. Erst als ich die Möglichkeit hatte, das Restaurant Croix Blanche im 500-Seelen-Dorf Crémines im Berner Jura zu übernehmen, wurde alles gut.
Was können Sie sich heute, nach dreissig Jahren, vorwerfen?
Ich hätte ganz einfach den Freistoss von Jean-Paul Brigger wiederholen lassen müssen. Er schoss ja einen Wettinger an, der niemals 9,15 Meter Abstand hatte. Das waren vielleicht fünf Meter. Dann hätte Brigger nochmals geschossen – und ich hätte gleich abpfeifen können.
Sind Sie dem Fussball noch verbunden?
Nicht in einer Funktion. Aber mein Sohn Frédéric stieg mit Delémont unter Michel Decastel in die NLA auf. Da ging ich immer an die Spiele. Meine letzte Partie, die ich besuchte, war jene zwischen Cornol und Moutier in der zweiten Liga inter. Das letzte Profispiel war Xamax gegen Basel letzte Saison. Und ich schaue viel Fussball im Fernsehen.
Rückblickend betrachtet, hätten Sie sich gewünscht, den VAR zu Ihrer Zeit zur Verfügung gehabt zu haben?
Klar! Das macht den Fussball gerechter. Auch wenn es noch viele Entscheidungen gibt, bei denen man nicht sagen kann, dass sie zu hundert Prozent richtig sind. Im Fall von 1989 hätte der VAR allerdings nichts genützt ...
Und die Schiedsrichter heute?
Sie werden zu oft desavouiert. Ich habe in meiner Karriere fünf Rote Karten gezückt. Dreimal wurde die erstinstanzliche Sperre reduziert. Das geht doch nicht. Nun tritt Stephan Klossner zurück, weil man ihm nicht glaubt, dass er angespuckt wurde. Das ist untragbar.
Der 7. Oktober 1989 verwandelt das Leben des Zürchers Alex Germann. 11 Tage vor dem Uefa-Cup-Hinspiel gegen Napoli (mit Maradona, Careca, Carnevale) spielt der NLA-Klub Wettingen in Sion. Kurz vor Schluss steht’s 1:0 für die Walliser. Da senkt sich in der letzten Spielminute ein hoher Ball von Wettingen-Captain Martin Rueda Richtung verwaistes Sion-Tor. Das sichere 1:1, denken alle im Tourbillon. Doch Ref Bruno Klötzli pfeift ein paar Hundertstel, bevor der Ball über die Linie fliegt, ab. Unbegreiflich!
Die Wettinger Spieler, allen voran Germann, treiben den Schiri durchs Stadion. Es kommt zu unschönen Szenen. Die Bilder gehen um die Welt. Jahre später sagt Germann: «Hätte ich damals zugeschlagen, wäre der Ref nicht mehr so schnell aufgestanden. Ich habe nicht geschlagen, ich habe nur gerempelt.»
Klötzli geht nicht zu Boden. Doch die Justiz zwingt vier Wettinger in die Knie: Germann, Martin Frei (der Onkel von Alex Frei), Reto Baumgartner und Roger Kundert werden bis zu einem Jahr gesperrt.
Zum dümmsten Zeitpunkt. Germann zu SonntagsBlick: «Ich hatte Angebote von Dortmund und Kaiserslautern.» Auch das erste Nati-Aufgebot lag in der Luft. Germann: «Das habt ihr damals geschrieben. Wenn Nati-Coach Uli Stielike wirklich mit mir geplant hätte, dann hätte er wohl dafür gesorgt, dass meine Sperre milder ausgefallen wäre. Da ich auch international gesperrt war, platzte der Traum von der Bundesliga.»
«Dann hätte er mich nicht kennengelernt und hätte keine Kinder», wirft Germanns Gattin Yvonne ein. Die Schwester des ehemaligen FCZ-Ersatzgoalies Ruedi Hauser lernt Germann als Spieler des FCZ kennen. Seit 1994 sind sie verheiratet. Die Söhne Nicolas (21) und Yannick (23) wachsen auf dem Hämikerberg oberhalb Müswangen LU an einem Waldrand mit Sicht auf Eiger, Mönch und Jungfrau auf. Yannick ist im Militär Hauptfeldweibel und im Job Grenzwächter. Germann: «Die grosse Klappe hat er vom Vater...» Nicolas jobbt neu als Bar-Keeper in Zürich.
Alex Germann wird im November 1993 als Profi des damaligen NLA-Klubs Kriens BLICK-Fussballer des Monats. «Mein einziger Titel.» Als sein Arbeitgeber Bellinzona 1995 Konkurs geht, muss er zum zweiten Mal aufs RAV. Seine fussballerischen Highlights? Die Uefa-Cup-Spiele mit Wettingen gegen Maradonas Napoli. Und 1985 mit St. Gallen gegen Inter Mailand mit dem heutigen Bayern-Präsidenten Kalle Rummenigge. Germann zeigt ein Bild, das ihn bei einem Luftkampf gegen «Rummelfliege» zeigt. «Da macht er gleich das 4:0.» Am Schluss steht es im San Siro 1:5 aus St. Galler Sicht.
Heute jobbt Germann als selbstständiger Versicherungs-Broker im Bereich Vorsorge und Vermögen.
Übrigens. Im November 2009, gut 20 Jahre nach dem Skandal von Sion, kommt es in der Bergwirtschaft von Markus Frei in Oberbuchsiten SO zum grossen Wiedersehen der vier Wettinger Sünder mit Klötzli. Hat sich Klötzli für seinen verfrühten Pfiff entschuldigt? Germann gestern: «Nein, aber er sagte, er habe damals von allen möglichen Entscheidungen die schlechteste getroffen.» (mk)
Der 7. Oktober 1989 verwandelt das Leben des Zürchers Alex Germann. 11 Tage vor dem Uefa-Cup-Hinspiel gegen Napoli (mit Maradona, Careca, Carnevale) spielt der NLA-Klub Wettingen in Sion. Kurz vor Schluss steht’s 1:0 für die Walliser. Da senkt sich in der letzten Spielminute ein hoher Ball von Wettingen-Captain Martin Rueda Richtung verwaistes Sion-Tor. Das sichere 1:1, denken alle im Tourbillon. Doch Ref Bruno Klötzli pfeift ein paar Hundertstel, bevor der Ball über die Linie fliegt, ab. Unbegreiflich!
Die Wettinger Spieler, allen voran Germann, treiben den Schiri durchs Stadion. Es kommt zu unschönen Szenen. Die Bilder gehen um die Welt. Jahre später sagt Germann: «Hätte ich damals zugeschlagen, wäre der Ref nicht mehr so schnell aufgestanden. Ich habe nicht geschlagen, ich habe nur gerempelt.»
Klötzli geht nicht zu Boden. Doch die Justiz zwingt vier Wettinger in die Knie: Germann, Martin Frei (der Onkel von Alex Frei), Reto Baumgartner und Roger Kundert werden bis zu einem Jahr gesperrt.
Zum dümmsten Zeitpunkt. Germann zu SonntagsBlick: «Ich hatte Angebote von Dortmund und Kaiserslautern.» Auch das erste Nati-Aufgebot lag in der Luft. Germann: «Das habt ihr damals geschrieben. Wenn Nati-Coach Uli Stielike wirklich mit mir geplant hätte, dann hätte er wohl dafür gesorgt, dass meine Sperre milder ausgefallen wäre. Da ich auch international gesperrt war, platzte der Traum von der Bundesliga.»
«Dann hätte er mich nicht kennengelernt und hätte keine Kinder», wirft Germanns Gattin Yvonne ein. Die Schwester des ehemaligen FCZ-Ersatzgoalies Ruedi Hauser lernt Germann als Spieler des FCZ kennen. Seit 1994 sind sie verheiratet. Die Söhne Nicolas (21) und Yannick (23) wachsen auf dem Hämikerberg oberhalb Müswangen LU an einem Waldrand mit Sicht auf Eiger, Mönch und Jungfrau auf. Yannick ist im Militär Hauptfeldweibel und im Job Grenzwächter. Germann: «Die grosse Klappe hat er vom Vater...» Nicolas jobbt neu als Bar-Keeper in Zürich.
Alex Germann wird im November 1993 als Profi des damaligen NLA-Klubs Kriens BLICK-Fussballer des Monats. «Mein einziger Titel.» Als sein Arbeitgeber Bellinzona 1995 Konkurs geht, muss er zum zweiten Mal aufs RAV. Seine fussballerischen Highlights? Die Uefa-Cup-Spiele mit Wettingen gegen Maradonas Napoli. Und 1985 mit St. Gallen gegen Inter Mailand mit dem heutigen Bayern-Präsidenten Kalle Rummenigge. Germann zeigt ein Bild, das ihn bei einem Luftkampf gegen «Rummelfliege» zeigt. «Da macht er gleich das 4:0.» Am Schluss steht es im San Siro 1:5 aus St. Galler Sicht.
Heute jobbt Germann als selbstständiger Versicherungs-Broker im Bereich Vorsorge und Vermögen.
Übrigens. Im November 2009, gut 20 Jahre nach dem Skandal von Sion, kommt es in der Bergwirtschaft von Markus Frei in Oberbuchsiten SO zum grossen Wiedersehen der vier Wettinger Sünder mit Klötzli. Hat sich Klötzli für seinen verfrühten Pfiff entschuldigt? Germann gestern: «Nein, aber er sagte, er habe damals von allen möglichen Entscheidungen die schlechteste getroffen.» (mk)
Es schüttle ihn richtiggehend durch, sagt der damalige Sion-Trainer Yves Débonnaire, als er am Telefon die Szenen vom 7. Oktober 1989 im Kopf nochmals durchgeht. «Ich habe sie im Nachgang nur auf Fotos gesehen, in Zeitungen. Aber nie im Fernsehen, als Bewegtbilder. Ganz bewusst. Ich konnte das nicht. Das angsterfüllte Gesicht des armen Schiedsrichters Klötzli und die Gewaltbereitschaft der Wettinger Spieler haben sich in meinem Hirn eingebrannt. Für immer.»
Damals war Débonnaire 32, ein junger Coach, der drei Monate zuvor seinen ersten Trainerjob angetreten hatte. Und das gleich im Wilden Wallis. «Das war total verrückt, was da abging!» erinnert sich der heutige U16-Nationaltrainer, der seit zwanzig Jahren für den Schweizer Fussballverband arbeitet. «Es war richtiggehend schockierend. Den Frust der Spieler kann ich nachvollziehen. Aber niemals diese Gewalt. Die ist absolut inakzeptabel und skandalös. Damals wurde eine Linie überschritten, die man nicht überschreiten darf.»
Und eines fragte er sich immer wieder: Wie hätte er reagiert? «Ich weiss es nicht, ehrlich. Ich denke, das kann man nicht wissen, wenn man nicht selbst betroffen ist.» Er hoffe nur, dass er nicht reagiert hätte wie die Wettinger. (aku)
Es schüttle ihn richtiggehend durch, sagt der damalige Sion-Trainer Yves Débonnaire, als er am Telefon die Szenen vom 7. Oktober 1989 im Kopf nochmals durchgeht. «Ich habe sie im Nachgang nur auf Fotos gesehen, in Zeitungen. Aber nie im Fernsehen, als Bewegtbilder. Ganz bewusst. Ich konnte das nicht. Das angsterfüllte Gesicht des armen Schiedsrichters Klötzli und die Gewaltbereitschaft der Wettinger Spieler haben sich in meinem Hirn eingebrannt. Für immer.»
Damals war Débonnaire 32, ein junger Coach, der drei Monate zuvor seinen ersten Trainerjob angetreten hatte. Und das gleich im Wilden Wallis. «Das war total verrückt, was da abging!» erinnert sich der heutige U16-Nationaltrainer, der seit zwanzig Jahren für den Schweizer Fussballverband arbeitet. «Es war richtiggehend schockierend. Den Frust der Spieler kann ich nachvollziehen. Aber niemals diese Gewalt. Die ist absolut inakzeptabel und skandalös. Damals wurde eine Linie überschritten, die man nicht überschreiten darf.»
Und eines fragte er sich immer wieder: Wie hätte er reagiert? «Ich weiss es nicht, ehrlich. Ich denke, das kann man nicht wissen, wenn man nicht selbst betroffen ist.» Er hoffe nur, dass er nicht reagiert hätte wie die Wettinger. (aku)
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | FC Zürich | 14 | 7 | 26 | |
2 | FC Basel | 14 | 20 | 25 | |
3 | FC Lugano | 14 | 6 | 25 | |
4 | Servette FC | 14 | 2 | 25 | |
5 | FC Luzern | 14 | 4 | 22 | |
6 | FC St. Gallen | 14 | 6 | 20 | |
7 | FC Lausanne-Sport | 14 | 2 | 20 | |
8 | FC Sion | 14 | 0 | 17 | |
9 | BSC Young Boys | 14 | -5 | 16 | |
10 | Yverdon Sport FC | 14 | -10 | 15 | |
11 | FC Winterthur | 14 | -21 | 11 | |
12 | Grasshopper Club Zürich | 14 | -11 | 9 |