Guillaume Hoarau exklusiv im Interview
«Als ich zu YB kam, dachte ich: Da bleibe ich kaum lange»

Guillaume Hoarau (34) über die Identifikation mit den Bernern, die Meister-Feier und Musik.
Publiziert: 20.05.2018 um 10:59 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 01:40 Uhr
«Ich bin die Schildkröte, die den Hasen überholt»
2:20
YB-Knipser Hoarau verrät sein Torgeheimnis:«Ich bin die Schildkröte, die den Hasen überholt»
Alain Kunz

Verfolgen Sie die YB-Meisterfeier in Bern auf dem Bundesplatz am Sonntag live im BLICK-Stream ab 14 Uhr!

Guillaume Hoarau, wie erleben Sie diese Tage?

Guillaume Hoarau: Ruhig. Aber auch stolz. Ich gebe es gern zu: Auch stolz auf mich. Stolz im Hinblick auf die letzten Jahre. Stolz auch für den Klub. Eine Hauptrolle zu spielen in solch einer Krönung, das tut als Spitzensportler schon gut. 

Haben Sie keine Probleme in Bezug auf die Vorbereitung des Cupfinals ob der vielen Partys?

Überhaupt nicht. Ich habe die Gewohnheit, mich vor solch einem Spiel 48 Stunden vor Kickoff abzuschotten. Nicht früher. Der Cupfinal ist nun die Kirsche auf dem Kuchen. Das wird ein ganz spezielles Spiel werden, weil es ein Final ist. Ich kenne dieses Gefühl. Ich habe Cupfinals gewonnen und verloren.

Dann ist es also ruhig im Hoarauschen Bauernhaus?

Es ist immer ruhig dort.

Wie muss man sich dieses Haus vorstellen? Ist das eine Art WG, wo ständig Leute kommen und gehen?

Vor dem Final wird es speziell sein, denn meine Familie aus La Réunion wird einfliegen. Diesmal allerdings nicht sehr viele. Nur vier. Zwei Cousins, meine Schwester und ihr Freund. Dazu enge Freunde aus Paris. Insgesamt werden es schon um die zwanzig sein.

Die werden aber nicht alle im Bauernhaus untergebracht?

Nein, nein. Die haben Hotelzimmer  gebucht. Klar, wenn wir gewinnen, machen wir ein Camping bei mir zuhause. Das wäre cool!

Wer lebt denn sonst in Ihrem Haus?

Einer meiner Cousins lebt ständig hier. Mein Sohn wird am Sonntag hier sein. Aber der Rest meiner Familie lebt auf La Réunion. Rund fünfzig Personen. Mittlerweile kenne ich auch einige Leute aus Bern, die ich wie Familienmitglieder integrieren kann.

Ist Ihr Sohn öfters hier?

Ja, in den Schulferien. Er ist jetzt auch schon neun. So, das muss nun reichen in Sachen Privatleben.

Guillaume Hoarau ist die YB-Leitfigur.
Foto: Blicksport

In einem BLICK-Kommentar stand, Hoarau habe die Mentalität in Bern geändert. Eine Siegermentalität hineingebracht. Einverstanden?

Ja, also wenn Sie das schreiben… ich bin nun vier Jahre hier. Wenn wir gleich im ersten Jahr alles gewonnen hätten, hätte man gesagt: Der Kerl kam, sah und siegte! Das war nicht so. Dann hätte man nicht von einem Mentalitätswechsel gesprochen. So aber, weil wir nach vier Jahren diesen Titel geholt haben, ist es einfach zu sagen, wir hätten die Mentalität verändert.

Zumindest haben Sie sich weit aus dem Fenster gelehnt und gesagt, Sie würden nicht ohne Trophäe aus Bern weggehen.

Klar und ich übernehme die Verantwortung dafür. Daran wurde ich gemessen. Ich hatte aber nie Probleme damit. Ich habe in diesem Metier immer versucht Klartext zu reden. Nicht unüberlegt, aber Klartext, mit möglichst wenig Filtern. Aber zuerst musst du solch ein Ding halt schon gewinnen. Die ganze Geschichte dahinter, diese 32 Jahre, die habe ich erst später erfahren, als ich das schon gesagt hatte. Die Story begann irgendwann schon zu nerven im Alltag. Ich identifiziere mich mit den Leuten hier. Wir Insulaner haben eine natürliche Nonchalance. Ich habe begonnen, mich gegen diese aufzulehnen. Ich wollte nicht, dass man mich in diese Schublade steckt. 

Keine Nonchalance. Aber vielleicht ist es eine gewisse Leichtigkeit des Seins, die sie nach Bern gebracht haben. Es war wohl genau das, was hier fehlte.

Ich weiss nicht, wie es vorher war. Das ist für mich also schwierig zu beurteilen.

Es war schon, wie soll man sagen: schwerer…

Ich habe eine gewisse Leichtigkeit, das stimmt. Ich kam hierher mit der Mentalität eines Kindes, das sich amüsieren will. Das Spass am Fussball haben will. Denn damals sagte ich mir: In Bern wirst du kaum lange bleiben! Ich will spielen, Tore schiessen, Selbstvertrauen zurückgewinnen. Natürlich will jeder zuerst das Beste für sich selber. Das war natürlich egoistisch, diese erste Idee. Doch man kennt die Fortsetzung der Geschichte... 

Was ebenso wichtig war, ist Ihre Verletzung. Für die Mannschaft, weil die begriff, dass es auch ohne Hoarau geht. Und für Sie, weil Sie sich alle Zeit der Welt lassen konnten, um zurückzukommen.

Das hat allen gut getan! Natürlich mir zuerst. Denn es wurde schon langsam mühsam, ständig monatelang zu fehlen. Aber kein Spieler darf in einer Mannschaft unersetzlich sein. Es gibt Schlüsselspieler, ja. Wenn ich ein Egoist wäre, wäre ich geschmeichelt, wenn mir die Leute sagen: Schau, ohne dich gewinnen sie nicht. Aber wenn die Mannschaft nicht  gewinnt, heisst das auch, dass auch ich nichts gewinne. Nein, es hat mir gutgetan, die Mannschaft ohne mich derart aufblühen zu sehen. Diese Euphorie gab mir den nötigen Schwung, um zurückzukommen. Denn ich hatte es satt, die Spiele immer von der Tribüne aus ansehen zu müssen. Aber ich habe dann tief in meinen Körper geschaut und festgestellt, ich müsse ihm nun die nötige Ruhe verschreiben! Seither rollt es!

Haben Sie je an Ihrem Versprechen gezweifelt?

Ich habe mir immer gesagt: Solange mein Vertrag noch läuft, kann ich das Versprechen einlösen. Gezweifelt also nicht. Aber als wir mehrmals nach wenigen Runden schon zehn, zwölf Punkte Rückstand auf Basel hatten, da wurde das schon belastend. Wir wussten aber, wo das Problem liegt: am Saisonstart. Wir wussten also, dass wir das korrigieren mussten. Als es uns diese Saison gelang, zum Beispiel mit dem 2:0-Sieg im ersten Spiel gegen Basel, haben wir nicht mehr losgelassen.

Hoarau trifft diese Saison 15 Mal für YB.
Foto: Sven Thomann|Blicksport

Wie kamen Sie auf die Idee dieses Versprechens? Es gab  Präsidenten, die bloss von der Phase drei sprachen, was ja völlig harmlos war, und dafür geteert und gefedert wurden?

Weil ich so denke. Diese Worte kamen ganz natürlich. Und weil ich spürte, dass es Änderungen brauchte. Natürlich brauchst du Kontinuität und Stabilität. Aber ebenso braucht es den Moment, der wehtut. Ich wollte damit bloss die Palme etwas schütteln. Aber ohne zusätzlichen Druck aufzuladen. Das sollte keineswegs arrogant klingen. 

Adi Hütter geht weg. Was bedeutet das für YB?

Dass wir nun das Double holen! Er wird nun erst recht alles dafür tun, um diesen Final zu gewinnen. Aber er wird kaum der einzige bleiben, der gehen wird. Die jungen und erfolgreichen Spieler erhalten Angebote. Das hat längst eingesetzt. Wir sind wohl ein Kollektiv. Aber jeder hat da seine eigene Karriere. Wir sind alle nur Reisende. Dass der Coach geht, gehorcht einer gewissen Logik. Das überrascht nun wirklich niemanden. Der Meistertitel von YB hat Schlagzeilen in ganz Europa gemacht. Ich kann ihm nur sagen: Adi, meine Türe steht Dir immer offen! Alles Gute!

Ich habe gehört, auch mit 34 Jahren höre das nicht auf mit den Angeboten. Es seien Ihnen zahlreiche ins Haus geflattert?

Ach so? ich habe ja gesagt: Junge UND erfolgreiche Spieler… Aber ich ordne jetzt alles der Champions League unter. Wenn wir das mit YB schaffen, das wäre die nächste komplette Ekstase! Aber heute denke ich nicht: Was brauche ich noch? Viel eher sagen mir viele: Mensch, Du hast mit YB die richtige Wahl getroffen! 

Wie wichtig war Adi Hütter für den Titel?

Enorm wichtig! Er hatte ja schon im Herbst verschiedene Angebote. Und sagte damals: Nein, ich will das mit YB zu Ende bringen. Das war für die Mannschaft sehr wichtig zu spüren: Er steht zu 100 Prozent hinter uns!

Also kein Problem damit, dass er nun geht, kaum ist der Titel unter Dach und Fach?

Kein bisschen! Ich bin ohnehin nicht legitimiert, in dieser Hinsicht auch nur die geringste Kritik anzubringen. Man soll auf einen vorbeifahrenden Zug aufspringen. Ich habe es auch getan, als ich nach China ging. Und dies nur wegen dem Geld! Dazu stehe ich. Und auch deshalb darf ich nicht sagen: Bleib hier, wir wollen doch zusammen in die Champions League. Und ich bin sicher, dass YB wieder eine gute Lösung präsentieren wird.

Hoarau ist auch ein begnadeter Musiker.
Foto: TOTO MARTI/BLICKSPORT

Sie haben einst gesagt, Sie wären ohne Musik nicht derselbe Fussballer.

Musik ist mein anderes Ich. Das ist eine Frage des Ausgleichs, des Gleichgewichts. Es gibt keinen Menschen, der Musik nicht liebt. Jeder hat seine Musik, die ihn zum Weinen, zum Lachen, zum Tanzen bringt. Ich liebe es zu komponieren. Das ist für mich ein Mittel, mich auszudrücken. Der Mensch ist noch nicht geboren, der mir sagt: Musik oder Fussball!

Es gibt aber keine Klausel in Ihrem Vertrag, wonach Sie auch an Samstagen vor einem Spiel Konzerte geben dürfen? Dieses Gerücht geht um.

Gerüchte sind in diesem Business allgegenwärtig. Ich bin doch kein Idiot! Was mich an dieser Geschichte nervt: Ich habe ein Image, das ich genau kenne. Aber das heisst nicht, das ich dauernd Party mache, nur weil ich Musik liebe. Aber die Leute kürzen da oft ab. Vor allem als ich verletzt war, hiess es, ich arbeite nicht seriös, weil ich da mehr Zeit für die Musik hatte. Mein Leitmotiv ist der Respekt. Und zuerst respektiere ich mich selber. Ich bin Spitzenfussballer. Und mache alles, um in diesem Job erfolgreich zu sein. Immer die Türe offenlassend, auch ein bisschen Musik zu machen, solange ich gute Leistungen abliefere. 

Aber sind Sie da nicht auch ein bisschen mitschuldig, wenn Sie das in den Sozialen Netzwerken posten?

Ich mache das, um «in» zu sein. Wie jedermann. Oder wenn ich ein Mini-Konzert gebe, poste ich das. Denn ich spiele das auch mit Kumpels, die man nicht kennt. So kann ich diesen helfen. Was dann gewisse Leute denken, ist mir egal. Mein Ziel ist es eher, eines Tages eine einsame Insel zu kaufen… Ich gehe selten aus. Mein Lieblingsklub in Bern heisst «at home».

Ihr Image ist Ihnen aber wichtig?

Schon. Wäre ich der grösste Idiot auf der Welt, aber der beste Fussballer, wäre ich nicht glücklich. Ich will auch als Mensch ein gutes Image haben. Und das ist mir bisher nicht so schlecht gelungen, denke ich.

Geht die Meisterparty am Sonntag auch als Mini-Konzert durch?

Das wird eine echte Party sein! Wir haben bereits geprobt. Ich singe mit Open Season den Meistersong.

Aber nicht nur.

Nein, ich werde ein bisschen auf der Bühne rumlungern. Auch mit Züri West und Lo & Leduc. Auch wenn die Bärndeutsch singen… Es wird viel improvisiert sein und den Fans sicher viel Spass machen.

Es gibt da eine Parallele zum Meistertitel von YB: Die sind auch Berner und die ersten Schweizer seit vier Jahren, welche die Spitze der Charts erklommen haben.

Lo hat mir gesagt, er habe eine französische Übersetzung von «079». Also werde ich das wohl singen.

Sind Sie Kuno Lauener schon mal begegnet?

Nein. Ich freue mich darauf. Züri West ist immerhin THE Band de la Suisse, sehr eng mit YB verbunden. 

Kennen Sie Patent Ochsner?

Ja, klar. Wegen «Gäubschwarz». Aber der Typ hat gesagt, er könne mit Fussball nichts anfangen. Er stehe auf Eishockey (lacht).

Und Sie? Wie oft haben Sie den SC Bern live gesehen?

Zweimal. Beim zweiten Mal habe ich die Regeln ein bisschen besser verstanden. Es war ein Playoff-Spiel letzte Saison, als sie Meister wurden. Die Ambiance war unglaublich! Ich habe mir gesagt: Wenn wir das auch mal hinkriegen... Und diese Saison haben wir es hingekriegt! 

Was macht Hoarau nach der Karriere: Trainer oder Musiker?

Es gibt in mir etwas, das mir sagt: Du hast soviel mitbekommen, behalte nicht alles für dich! Gib das weiter! Wir Spieler sind doch Bibliotheken. Ich kenne die Antwort noch nicht auf die Frage, was es braucht, um erfolgreich zu sein. Vielleicht will ich das herausfinden. Als Trainer? Eventuell eher im Management. Vielleicht finde ich eines Tages auch heraus, dass ich eher Entertainer bin und auf die Musik setze. Ich weiss es nicht.

Spielen Sie Instrumente?

Ein bisschen Gitarre, Piano und Schlagzeug.

Welches am liebsten?

Gitarre. Ich habe mir alles autodidaktisch beigebracht.

Was sind Ihre Lieblingssänger?

Ui, die leben alle nicht mehr. Bob Marley, Michael Jackson und Amy Winehouse. Leider habe ich sie nicht live gesehen.

Wer hat Sie live am meisten beeindruckt?

Sting. Das war artistisch gigantisch. Und die Red Hot Chili Peppers. Als ich die sah, dachte ich: Mann, sind die Jungs verrückt! Im Moment schaue ich mir aber eher Dokumentation auf Netflix an. So über Kurt Cobain oder Avicii. Ich habe im Fussball ein Gleichgewicht gefunden. Wenn ich diese Biographien sehe, denke ich: In dieses Business will ich doch nicht einsteigen. Das ist ungesund.

Was ist Ihr Lieblingsalbum?

Alle Alben, ja jeder Song von Bob Marley. Dazu «Bad» und «Thriller» von Michael Jackson.

Wie kam es zum Meistersong mit Open Season?

Vor zwei Jahren habe ich mit Open Season zusammen die Idee gehabt, einen Song für die Euro 2016 zu machen. Ich sagte mir: Wenn die Schweiz unseren Song nicht will, singen wir ihn halt in Frankreich. Der offizielle Song wurde dann jener von Gustav. Open Season und ich  kamen dann überein, einen neuen Song zu schreiben sobald YB Meister ist. Aber wir hatten die Zeit nicht mehr. Also haben wir eine Neuversion des Songs von 2016 gemacht. Weil ich unbedingt etwas Bärndeutsches drin haben wollte, habe ich die Rapper von Wurzel 5 angefragt, einen berndeutschen Teil beizutragen. Et voilà!

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